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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [13]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0309

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2l8

Humoristischer Roman von Heinrich Vollrat Schumacher.

—[Schluss.]

oMur ein Gütes ist dabei“, sagte Brechtling, Herrn von Rocholl
einen Schritt näher tretend, „der . . der neue Besitzer ist doch
aueh ein Rocholl. Und die Rocholl's . . .“

„Waren Verschwender von jeher!“ erwiderte Winand dumpf. „Um
was geschah's denn sonst, dass wir uns trennten damals im Streit? Weil
ich sah, dass er es von meinem Vater geerbt hatte, das Familienlaster!
Auch ich wäre ihm vielleicht verfallen, wenn ich nicht das Elend von
Jugend auf mit angesehen hätte und wenn . . .“ er stockte. „Und nach-
her — glauben Sie, das Geld hätte mich nicht versucht? Es zuckte oft
etwas in mir und drängte mich zu ihm hin. Aber es war nicht mein
Eigenthum. Das hielt mich ab. Sonst . . .“

Brechtling erwiderte nichts. Dann kam er wieder einen Schritt näher.
Und nun lehnte er neben Herrn von Rocholl am Fensterbrett.

„Hat er’s schon zurückgefordert?“ fragte er leise.

Herr von Rocholl fuhr auf.

„Er weiss es ja nicht! Woher sollte er es wissen? Hätte er sich dann
nicht schon längst gemeldet?“

Brechtling nickte.

„Ja, ja!“ sagte er langsam, wie grübelnd. „Er weiss es nicht. Und
weil er es nicht weiss, und weil es Niemand weiss, ausser uns Beiden . . .“
„Brechtling!“ schrie Winand auf. „Das . . . das . . .“

Wieder nickte jener.

„Gewiss, Herr! Ich sagte es schon, dass viel Kraft dazu gehört.
Nicht Jeder kann’s. Er muss dazu geboren sein, zum Befehlen. Wie die
Anderen zum Gehorchen geboren sind. Was Anderes ist’s nicht! Nichts
Anderes!“

Ein Keuchen kam aus des alten Mannes Brust.

„Aber ich . . ich . .“

Der Oberinspector trat von ihm hinweg.

„Ich habe immer des Herrn Barons Kraft bewundert. Wenn Einer
es kann, dann können Sie’s’“

„Und wenn ich es könnte, wenn ich es thäte?“

„Niemand würde es wissen, ausser mir!“ erwiderte Brechtling flüsternd.
„Und ich . . es ist wahr, ich gehöre zu den Schwachen, zu denen, die ge-
horchen, die gezwungen werden müssen. Aber ich würde wohl schweigen,
denk’ ich, wenn ich gezwungen würde. Obgleich ich ein ehrlicher Mensch
bin, dem’s eigentlich gegen das Gewissen geht, zu . . . Aber der Herr
Baron können mich zwingen. Niemand, selbst mein Gewissen nicht, ver-
möchte von mir zu verlangen, gegen meinen nächsten . . . Das erlauben
sie selbst vor Gericht, dass Einer sein Zeugniss verweigert, wenn es seinen
nächsten Verwandten belasten würde!“

Herr von Rocholl erwiderte nichts. Seine hohe Gestalt lehnte wie
gebrochen an der Wand und seine Hände hingen schlaff hernieder. In
ihm wühlte und bohrte wieder jene vorwurfsvolle, verurtheilende Stimme,
Otti’s Stimme.

„Weisst Du auch, dass ich dann nie, niemals wieder . . .“

Er richtete sich gewaitsam auf.

„Leo?“ fragte er kurz und tonlos.

Und ebenso kurz kam die Antwort.

„Fräulein Mia!“

„Ich . . . ich kann nicht heute . . . morgen! Kommen Sie morgen und . . .“
Brechtling öffnete diensteifrig die Thür.

„Dürfte ich den Herrn Baron vielleicht begleiten? Es ist schon dunkel
draussen und der Weg . . .“

Herr von Rocholl wehrte stumm ab. Dann verschwand er langsam
im Dunkel des Hofes.

Mia war nach dem Rencontre mit ihrem Onkel sofort in ihre Mansarde
hinaufgegangen, um sich dort auszuweinen, während Leo empört in den
Tanzsaal gestürmt war, in welchem Frau Amalie inmitten von halbgeleerten

[NachHruck verboten.l ^

Sectgläsern, von schmutzigen Tellern mit Compot- und Bratenresten 1111

deü

von ordnungslos durcheinander gerückten Stühlen und Tischen sass, u .
Zeugen der unterbrochenen Geburtstagsfeier.

„Mama!“ hatte Leo gleich beim Eintritt gerufen. „Nun sage mir hl°*
was das mit Papa eigentlich ist? Und wo sind denn die Anderen al e
Was . . .?“

Sie hatte jäh abgebrochen und ’war mit glühender Röthe auf Üa'
und Wangen stehen geblieben. Denn aus der Zimmerecke neben Fi a
Amalie, in welcher er durch deren Gestalt verdeckt gesessen, hatte si
ein Mann erhoben, ein Mann ungefähr in der Mitte der Dreissig, mit lang eI11'
braunen Vollbart, grossen, blauen Augen und Zähnen, die hinter den v°
einem verstohlenen Lächeln gekräuselten Lippen hervorblitzten.

„Nicht wahr, Malchen?“ hatte er Jener zunickend gefragt. „Das 13
Leonore? Entschuldige Fräulein Stiefnichte, dass ich mich erst erkundig el
muss; aber als ich Dich zum letzten Mal sah, da hattest Du — erinn ers
Du Dich noch des Gedichts, Malchen, mit dem ich Deine Hochzeit vel
herrlichte? Da hattest Du ...

. . . Da hattest Du ein schief Gesicht
Und sonderlich Gebahren.

Da warst Du noch ein Unverstand,

Wie alle jungen Leute;

Du wusstest noch nicht, was die Hand,

Und was der Kopf bedeute.

Vom Herzen hast Du nichts verspürt,

Und damals hat Dich nichts geriihrt,

Als nur Dein eigen Schreien!

„So war’s damals auch mit Dir, Lorchen,“ hatte er Leo neckisch Zl1

ll

blinzelnd geschlossen, „als der ungerathene Lieutenant Fritz von Roch°
nach Amerika durchbrannte. Und nun ist er wieder da und das Fräul el1
Leonore von Rocholl scheint es in den achtzehn Jahren immer noch ni^ 1

pl

gelernt zu haben, was Hand und Mund bedeuten. Sonst würde sie ' v'°
nicht so fremd vor ihrem alten Stiefonkel stehen, sondern ..."

Er hatte ihr seine Hand entgegengestreckt und sich ein wenig zU
herabgebeugt, wie etwas erwartend. Aber Leo hatte sich bereits gefe sS
gehabt, trotzdem dass das Neue, Ungeahnte mit der plötzlichen Helle h es
Blitzes auf sie eingedrungen war. Und so hatte sie ihm einfaeh h eI1
Rücken gekehrt und mit einem feindseligen Zug um die Lippen erwid £lt
„Da könnte ^Jeder kommen! Wenn derartige alte Stiefonkel sich a eh £
zehn Jahre lang nicht um ihre Familie gekümmert haben, so können 5
nicht erwarten, dass man ihnen nun gleich wie auf Commando um
Hals fällt!“

Sie hatte sich in die entfernteste Ecke des Saales gesetzt, und L
hatte ihr verdutzt nachgesehen. Dann war er zu Frau Amalie zui'ü c'
gekehrt.

„Wahrhaftig, sie hat Recht, Malchen! Ob das wohl auch der Gi' url

von Winand’s seltsamem Benehmen ist?“

Dann hatten die Beiden die Ereignisse dieses Nachmittags noch e' n

1

mal durchgesprochen und dabei vergebens nach einer Aufklärung
Räthselhaften geforscht. Bis Fritz unbewusst in eine Schilderung sei nL
amerikanischen Erlebnisse hinübergerathen war.

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Und Leo hatte wider Willen, angezogen durch die bunten Bilder,

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er gezeichnet, und durch seine lebhafte Sprache, zugehört und etwas
warme Theilnahme war in ihr aufgestiegen. Aber sie hatte sie gewalt saltl

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niedergerungen. Was war denn der Mittelpunkt, das Ziel dieses eiser'
Strebens, dieser tollen Wagnisse und dieses rastlosen Fleisses gewes el
Nichts als dasselbe, um das sich auch hier in der alten Welt Al'
drehte, das das Leben der Rocholls und ihrer Kinder vergiftet und al
einandergesprengt hatte; das Geld.

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Oh, wie sie es hasste! Und wie sie die verachtete, die in m m
Höchstes, ihr Alles erblickten!

Gehörte nicht auch Fritz von Rocholl zu ihnen?

Und so hatte sie die Hand nicht beachtet, die er ihr beim
nehmen entgegengestreckt hatte.

Absch> ed
 
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