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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Feilmann, Johanna: Weltstadt-Skizzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0129

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liieltstadt-

Von Johanna Feilmann.

-- [Nachdruck verboten.]

in die Nacht hinein Tausende und aber Tausende an ihr Ziel befördern.
Da müssen neben der „Unterirdischen“ oft auf einer Tour Omnibusse,
Tramwagen, Boote auf der Themse oder irgend ein Miethwagen zur Weiter-
beförderung dienen, wenn man nicht gar zu viel Zeit verlieren will.

Nirgends berühren sich die Extreme wohl mehr als in London. Das
Cab mitsammt Ross und Lenker sind der Inbegriff des Langsamen, Herab-
gekommenen, man möchte immer zum schneheren Fahren antreiben, rufen:
„Go on Cabbie“; wie anders aber das Hansom, der Liebling des Londoners,
der zweisitzige, leichte, anmuthig gebaute caleschenartige Wagen. Pfeil-
geschwind eilt er mit seinen zwei hohen Rädern und dem muthigen Pferde
vorwärts; hinten am Deck thront auf seinem Bock der meistens jugendliche
Kutscher und lenkt mit erstaunenswerther Sicherheit sein Fahrzeug durch
das dichte Gewühl von Omnibussen und allen anderen Klippen des hoch-
wogenden Londoner Wagenmeeres.

Gewöhnlich ist das Hansom offen, aber es regnet. Schnell wird nun
die bis an das Knie des Fahrenden reichende Flügelthüre zugeklappt, ein
Ruf durch die kleine runde Scheibe oben an der Rückwand und sofort
lässt der Kutscher das bis an den Deckenrand aufgezogene Fenster herab-
gleiten; man ist geschützt, der Blick aber schweift noch immer ungehindert
vorwärts.

Das Hansom benutzt Jeder, der möglichst schnell hier und da etwas
besorgen will; es ist durch seine Geschwindigkeit der Retter in der Noth,
wenn man sich verspätet hat und den abgehenden Zug noch erreichen
muss; es dient dem Künstler, dem Schauspieler, der noch nicht wie seine
glücklicheren Collegen über das eigene Brougham verfügen kann; es ist
der Wagen des fashionablen Musiklehrers, der sich in einer fünfundzwanzig
Minuten währenden Lection seine Guinee verdient und selbst die kurzen
Strecken von einer Schülerin zur anderen im Westend nicht zu Fusse
zurücklegt, um auch nicht eine einzige Minute zu verlieren.

Das Hansom ist gewiss ein wichtiger und angenehmer Factor im
Londoner Strassenverkehr, wer aber die grossartigen Bauten, das inter-
essante Menschengewühl vom Wagen aus beobachten will, der besteige
das Deck eines Omnibusses und durchfahre zu verschiedenen Tages- und



kizzer\.

nter allem Erstaun-
lichen in London
giebt es Nichts,
was beim erstenAnblick
einen so überwältigen-
den Eindruck auf den
Fremden macht, wie der

j^ossale Verkehr, das Treiben der aus den verschiedenartigsten Elementen
estehenden Menge an den zahlreichen Bahnhöfen, in den Strassen, auf
eri Brücken und auf der Themse.

In der City, der Stätte des Welthandels, im Eastend, dem Arbeiter-
V* ertel, überall da, wo hauptsächlich Berufspflichten den Londoner hin-
herführen, bleibt sich die Stärke des Verkehrs ziemlich gleich, un-
eeinflusst vom Wechsel der Jahreszeiten; anders aber im Westend, dem
^ltionablen London mit seinen Parks, seinen grossartigen Magazinen,
^ e'nen Theatern und Concerthallen; hier schwillt vom Frühling bis zu
°tnrnersanfang die Menschenmasse bis in's Ungeheure an. Mit der Er-
I nung des Parlaments haben die oberen Zehntausend ihre Landsitze ver-
assen und ihre Paläste im Westend bezogen. Damit ist auch das Signal

LQv« ..

die Provinzler des wohlhabenden Mittelstandes gegeben: in ganzen
chaaren kommen sie herbeigezogen und nehmen auf kurze oder längere
_ ed Quartier in der Metropole. Auch der mit den Londoner Verhältnissen
ertraute Ausländer, der des Vergnügens willen herkommt, weiss, dass es

f(ir

M.

ihn nur zu einer Zeit ein London giebt, das London der sonnigen

°date Mai und Juni. Welch’ falsche Begriffe hegt so Mancher von der

\ty i

e|tstadt der sich nur während der nebligen Herbsttage in ihr auf-

gehalten.

Es ist Frühling. Eine millionenköpfige Masse, eine Menge von Menschen
^ er Zonen, aller Physiognomien, aller Sprachen, aller Lebensverhältnisse
^ rchfluthet die Adern des Steinungeheuers; wie ein farbiger sich wälzender

Sti

rom

von eilenden Fussgängern und den verschiedenartigsten Fahrzeugen

& csst es sich nach allen Richtungen hin, indess die vielen Züge der
uterirdischen‘ durch die Tunnel dahin brausen und unaufhörlich bis tief



fy

Unterirdische Eisenbahn.

Originalzeichnung von O. Marcus.

IX. 3. I.
 
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