Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Remin, Ernst: Ein Besuch
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0112

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
T3

lin Sesueh.

®51vs*c)

Von Ernst Remin.


[Nachdruck verboten.]

^M^Ias richtige. gelbe Sommernachmittagslicht war in des alten Schul-
y£> meisters Stübchen. Es war einer von den Tagen, in denen es gar
nicht Abend werden will, weil es Sonntag ist und man nichts zu thun hat.

Sein ganzes Leben in diesem Miethsstübchen war eigentlich ein
stiller langer Sommernachmittag, an dem es immer noch nicht Abend
Werden wollte . . . und er war doch nun dreiundsiebenzig alt.

Er sass wartend im Grossvaterstuhl. Durch das eine niedrige Fenster
fiel so viel Licht, dass es ihm ordentlich die Augen stumpf machte und
eine dumpfe behagliche Schläfrigkeit auf sein Gehirn zu drücken begann.

Wie er dämmernd vor sich hin träumte, in seinem friedlichen arm-
seligen lichten Stübchen und in der grossen satten Sonntagsstille rundum,
da war sein Ohr doch gespannt wach, das erste Rollen des Zuges draussen
in der Ferne ja nicht zu überhören, der ihm einen Besuch bringen sollte.

Minni hatte sich so einfach wie nur möglich gekleidet und meinte,
sie sähe aus wie eine Confirmandin, nur dass sie natürlich im Hut war.

Aber selbst das einfache schwarze Kleid verrieth in Schnitt und Stoff,
dass es von wohlgespickter Börse bezahlt worden oder bezahlt werden sollte.

Gott sei Dank, der gute alte Mann daheim, der hatte kein Gross-
städterauge ....

Da läutet es zum zweiten Mal und da erscheint ein wohlbekanntes
Gesicht an der Coupethür.

„Alfred!“ ruft sie, mit dem Fuss zornig aufstampfend „das ist stark!“

Alfred steigt gleichmüthig ein, legt den hellen Sommerpaletot neben
sich, streicht mit einei leichten Handbewegung das Seidenfutter glatt und
schleudert die Cigarre zum Fenster hinaus.

„Siehst Du, Kind“, sagt er, „nun weiss ich wenigstens, was Du vor-
hattest und wohin die Landpartie geht. Und nun weiche ich nicht von
Deiner Seite, bis ich auch weiss, welche alte Flamme Du da draussen be-
suchen willst. Aber schön ist das nicht von Dir, und wir hätten den
Nachmittag besser anlegen können . . .“

Der überlegene Ton und der gemüthliche Blick dieses Mannes machen
ihr ganz klar, wie sicher er sich ihrer Abhängigkeit fühlt. Es kocht in
ihr. Aber fremde Leute steigen ein, und sie presst stumm die Lippen
aufeinander.

Warum hat sie ihm von dem Besuche nichts sagen können? Nun
erstens hat sie immer gethan, als sei sie aus guten Verhältnissen, Guts-
besitzerstochter oder so etwas; und es würde sie jetzt geniren, mit der
Wahrheit herauszurücken. Aber sie hätte ja irgend einen Vorwand finden
können, den Besuch daheim zu motiviren . . . Nein, sie hat einfach nicht
igemocht', hat dem Alfred nicht von dem guten Alten daheim, dem
vertrauensseligen guten Alten daheim reden mögen, denn sicher hätte
der früher oder später einen Witz darüber gemacht.

Sie schwieg nun beharrlich und sann, wie sie ,ihn‘ loswerden könnte.
Er war empörend gleichgültig gegenüber ihrem Trotz — endlich gab sie
sich drein und gewann ihre sonstige muntere Art wieder.

In Löwenberg stiegen sie aus.

„Wohin nun?“ fragte er.

„Nach Glienitz!“ sagte sie lachend.

„Wie weit?“

„Eine gute Meile durch die Fjaide!“

Er hielt sich die Seiten und starrte sie verbltifft an. Das ging ihm
über den Spass.

„Schön,“ entschied er dann, „Du bleibst hier im Wartesaal, ich werde
einen Wagen auftreiben!“

Sie zuckte die Achseln und setzte sich vor die Restaurationsthiir auf
die rebenüberdachte Bank.

„Minni, Du bleibst mir hier!“ wandte er sich noch einmal gegen sie
üm, die Augen zusammenkneifend — und dieser scharfe Blick unter den
schwarzen Wimpern und dicken Brauen hervor sagte ihr, dass es einen
Licksichtslosen Bruch bedeute, wenn sie ginge . . .

Als Alfred endlich mit dem mühsam aufgetriebenen Bauern-Stuhlwagen
wiederkam, war sie fort; und der Bahnhofsrestaurateur bestellte ihm, „dem
Fräulein sei die Zeit zu lang geworden, sie sei immer voran, der Herr
möge nachgefahren kommen . . .“ Er biss die Zähne zusammen — sie
war ihm entwischt.

In der kleinen sonnigstillen Stube sass nun das Mädchen neben dem
alten Manne. Draussen auf der Dorfstrasse schlug immer noch der Finken-
hahn, hier drinnen ging immer noch wie der greise Puls, mühselig und
sacht, das Perpendikel. Der Alte war zufrieden, sein Besuch war da.

Er hielt den Kopf etwas zur Seite, um sie genau sehen zu können,
und die gutmüthigen alten Augen blickten recht behaglich und froh —
sein Kind, dieser Spätling der langen kinderlosen Ehe, sah gut aus, nett
und bescheiden, und es konnte ihr nicht schlecht gehen in dem Berlin . . .
Es war wohl Alles so, wie sie ihm in dem Brief geschrieben, in dem sie
ihren Besuch anzeigte, dass sie eine gute Herrschaft habe, dass sie zu-
frieden sei . . . Mit der Kindergärtnerei sei es doch nichts Rechtes gewesen
— sie habe eine Stellung als Repräsentantin in einem reichen Haushalt
angenommen . . . Geschrieben hatte sie das Alles, um es nicht sagen
zu müssen, dem Alten Aug' in Auge sagen zu müssen . . .

Minni war froh, dass der alte Mann nun in seinem stillen Behagen,
müde vom langen Warten, dasass und sie nicht mit Fragen plagte. Der
„reiche Haushalt“, in dem sie repräsentirte, das war die Dreizimmer-
Wohnung, die Alfred ihr eingerichtet und die sie heut Abend vielleicht
schon verlassen musste.

Nun war auch die Stunde gekommen, wo sie wieder fort musste, um
zu rechter Zeit auf dem Bahnhof zu sein.

„Der Herr behüte Dich“, sagte der Alte, „geh’, vielleicht sehen
wir uns diesseits nicht wieder! Du hast mir eine grosse, grosse Freude
gemacht! Nun, bleibe mir auch in Zukunft brav in dem Berlin!“

In Thränen ausbrechend warf sie sich an seine Brust — eine Erre-
gung, die er gar nicht verstand. „Ja so, der Abschied!“ dachte er dann.
„Sie hat doch ein weiches Gemüth.“

Und doch, eine unbestimmte leise heisse Angst durchzitterte ihn, eine
Ahnung, halbgeboren, gleich wieder verlöschend in dem müden Gehirn,
eine Furcht, wie vor dem unsichtbaren moralischen Gespenst ....

Minni hat ihn gebeten, sie nicht zurückzubegleiten — sie müsse eilen.
Wie sie aus dem Hause tritt, hält da hinten am Dorfeingang zwischen den
alten Linden der Stuhlwagen mit dem Alfred. Der steigt ab und hilft ihr
auf. „Na, wie geht’s Deinem Vater?“ fragt er ganz harmlos und vergnügt.
Der Knecht neben ihm hat ihm wohl Bescheid gesagt und er hat den
Rest errathen.

„Danke.“ Sie ist blutroth im Gesicht, wie auf einer Schlechtigkeit
ertappt.

Wie sie den Menschen an ihrer Seite verachtet und hasst, wie sie
von ihm möchte um jeden Preis, wie sie sich vor Gott und der Welt
schämt, wie sie knirscht, dass sie weiss, sie hat nicht die moralische
Kraft, zu arbeiten und zu darben ... kurz, sie ist heut für Alfred völlig
„ungeniessbar“.

Als sie wieder im Coupö sitzen, sagt er:

„Bist doch ’n gutes Mädel, Minni — hättest Du mir nur gesagt, dass
Du nach Hause willst.“

Sie antwortet nur mit einem bösen Blick.

„Willst Du für den Alten was thun, Kleine. Es kommt auf ein paar
blaue Scheine nicht an,“ fährt er fort, er will sie wieder versöhnen.

Da nimmt sie plötzlich die Faust und schlägt ihm mitten in sein ge-
müthliches halbspöttisches Gesicht, gleichgültig, was darauf käme:

„So, nun rede Du wieder von meinem Vater!“

—> I -<■

TX. 1. IV.
 
Annotationen