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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Mann, Heinrich: Ist sie's?: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0433

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346

MODERNE KUNST.

das zarte Oval, dessen Contouren, mit den feinen Senkungen, die die Grübchen
andeuteten, sich mir so oft in mancher Nacht vor den geschlossenen Augen ab-
gezeichnet, das waren die sanften Linien des Mundes, der Nase, der Stirn, das
waren auch ihre Augen, zu denen sie nun, mit dieser unvergesslichen Bewegung,
das langgestielte Lorgnon erhob.

Ich stand auf und ging langsamen Schrittes der Dame entgegen. Sie hatte einen
Arm auf die Rückenlehne des Sessels gestützt. Weiss wie ihr Kleid umrahmte
ein breiter Spitzenhut die Fülle des schlicht aufgenommenen mattgoldenen Haares.

Wie unter dem Bann ihres Blickes ging ich auf sie zu, als sich ihr im
Rücken aus dem Schatten der Laube eine kleine schwarzgekleidete Dame los-
löste, um mir beweglich entgegenzukommen.

„Sie sind es also doch!“ rief sie mir zu. „Und Sie Schlimmer geben sich
erst jetzt zu erkennen!“

Ich erkannte die Cousine und sie wenigstens fand ich verändert. Ihre rund-
liche kleine Erscheinung, die mich daran erinnerte, dass zwanzig Jahre vergangen,
rief mich in die Wirklichkeit zurück. Ich begrüsste die Dame, die mich der
Laube näher zu kommen hinderte. Mich einige Schritte fortziehend erklärte sie
mit gemässigter Stimme:

„Das ist Jeanne’s Tochter. Sprechen Sie ihr nicht von der Mutter, sie ist
so namenlos empfindlich. Ach, Sie wissen wohl gar nicht, dass unsere arme
Jeanne todt ist. Unser Erlebniss hat damals doch schlimmen Einfluss geübt
Bald darauf kam das Kind zur Welt, und es hat der Mutter das Leben gekostet.
Sie haben auch nicht das Ableben meines Mannes erfahren. Wohin sollten wir
die Mittheilung richten? Welch’ Glück, dass wir nun doch einmal wieder zu-
sammentreffen!“

Halb betäubt hörte ich sie an und wartete ab, dass sie geendet und mich
dem jungen Mädchen zuführte.

So förmlich die Worte waren, die ich an dieses richtete und die sie
mir erwiderte, so waren, was ich sah, dennoch dieselben Bewegungen, die
mir aus den Stunden der holdesten Vergessenheit, der trautesten Träume im
Gedächtniss, die mein Leben gekannt; das machte mich unfähig, auf die Unter-
haltung der Tante einzugehen. Nur zum Schlusse ward ich wieder aufmerksam.

„Wie schade,“ rief sie aus, „dass Sie erst heute Abend anlangen mussten.
Wir beide, Jeanne und ich, wären froh, hier einen so guten Bekannten in der
Nähe gehabt zu haben. Aber wir müssen morgen früh abreisen. Wenn es nur
nicht so dringende Abmachungen wären, die uns zwingen!“

Ich versprach, am nächsten Morgen zur Stelle zu sein und geleitete die
Damen in ihr Hötel.

Gegen Morgen erwachte ich aus fühllosem Schlaf, um alsogleich halbwachen
Einbildungen zu verfallen, die mir bald Jeanne in meiner Nähe, am gleichen
Platze gegenwärtig zeigten, mich bald mit mir in ein uferloses Traumland ent-
führten, an das ich keine Erinnerung bewahre. Mit dumpfen Gedanken erhob
ich mich und eilte, die Damen abzuholen.

Sie waren bereit und hielten darauf, in der Morgenfrische den Weg an den
Bahnhof zu Fuss zu machen.

Unter kargem Gespräch waren wir bis an den steil zur Bahn aufsteig en'
den Weg gekommen, der See und Berge in weiter Aussicht beherrscht-
Die Tante war, trotz meiner Versicherung, dass ihre Sorge um das Gepäck uH'
nöthig sei, einige Schritte zurückgeblieben. Mein Blick suchte heimlich das
Profil des jungen Mädchens, das sich gegen den lichtweissen Himmel abzeichnete-
und erspähte ihre Augen. Ja, das waren die Augen der Mutter, in ihrer un-
weltlichen, räthselhaften Vagheit gemacht, in den schimmernden, webenden
Sonnendunst dieses See’s zu blicken. Das war, wovon ich nun mein Leben
lang geträumt zu haben meinte. Ich fühlte es heiss in mir aufsteigen und wenn
ich nicht in Thränen ausbrechen wollte, so musste ich sprechen, musste auS'
sprechen, was geheimnissvoll und unverstanden vielleicht von den Phantasiee 11
dieses Morgens in mir zurückgeblieben? Zum dritten Mal liess mich ein b e'
deutsamer Augenblick den einzigen Namen nennen.

| (l

„Jeanne!“ begann ich flüsternd, und als sie keine Miene bewegte: „Jeanne-
wiederholte ich, „gedenken Sie jenes Augenblicks ?“

Athemlos wartete ich, bis ich ihre Lippen sich bewegen sah. Sie bewegten
sich, aber die Worte, die sie sprach, schienen dennoch nicht aus ihrem Munde
zu kommen. Es war wie wenn sie sich aus einer geisterhaften Luft, die un 1
ihr Gesicht spielte, eines nach dem andern, gleich unsichtbaren Perlen lösten-

Sie sprach aber diese Worte:

„Ja, ich denke daran.“

Mir ward es darauf, als verdichtete sich die frische Luft zu einem eiskalte’ 1
Mantel, der sich auf meine Schultern legte. Ich wunderte mich, dass ich unter seine 111
drückenden Gewicht weiter schritt. Wir gelangten aber ruhig an den Bahnhof'
mechanisch besorgte ich die Angelegenheiten der Damen und drückte mein e
Lippen auf die dargebotenen Hände.

Erst auf dem Heimwege, langsam und unsicher, begannen Fragen sich 111
meinem Geiste zu ordnen.

Waren jene bedeutungsvollen Worte von dem jungen Mädchen, das nü r
das erste Mal im Leben begegnete, unter dem Einflusse meines eigenen WiH erlS
gesprochen, der den dieses zarten empfindlichen Geschöpfes gebeugt? War el1
sie durch eine jener seltsamen „Wirkungen in die Ferne“ vorbereitet, ind el11
sich meine morgendlichen Phantasieen auf ihren Geist erstreckt? So wäre sie
innerlich ohne Antheil an dem gewesen, was sie gesagt.

Hat Jeanne, in deren Seele eine so grosse Dankbarkeit lebte, meiner a' s
dessen gedacht, der, wenn er ihr eigenes Leben nicht mehr retten k°nn te'
dennoch das ihres Kindes bewahrt? Hatte sie, bevor ihr letzter Athem von
ging, diese Dankbarkeit, die in ihrer edlen Seele das vornehmste war, dem Kin^ 6
zugleich mit ihrem Leben vererbt und ihm so eine geheimnissvolle, verborg eIie
Ahnung und wie eine Erinnerung an jenen einzigen Augenblick hinterlasse 11 •
Ist, was aus ihrer Tochter gesprochen, Jeanne’s Seele? Ist sie’s?


[fls weiblicher Tscherkessenofficier wird sich in
Circussaison eine junge Spanierin produciren,
von Geburt Amerikanerin, jedoch Tochter
eines spanischen Grossindustriellen. Die
junge 18jährige Sefiorita gilt als Beaute
und ist eine Reiterin seltner Classe. Schon
frühzeitig zeigte das junge Mädchen eine
grosse Passion fiir Pferde, und als ihr im
verflossenen Jahr ein ziemlich bedeutendes
Vermögen zufiel, beschloss sie, werthvolle
Pferde zu kaufen und sich zur Schulreiterin
ausbilden zu lassen. Sie erwarb zu diesem
Zweck zwei schöne Trakehner Fuchs-
hengste, die sie dem Schulreiter Gustav
Hüttemann in Dressur gab, sowie einen
tadellosen englischen Vollblutwallach „Look
out“, welcher, zum Springpferd wie ge-
schaffen, mit seiner Reiterin Sprünge über
feststehende Barrieren bis zu einer Höhe
von 1,80 Meter ausführt. Auf diesen
Sprüngen wird die Senorita von einem
grossen sibirischen Windhund begleitet.

Rita del Erido ist selbst auch Elevin der
Hüttemann’schen Reitschule und hat ihr
ausserordentliches Talent in Jahresfrist
vortrefflich auszubilden gewusst, so dass
ihr Debüt in Berlin einen interessanten
Abend für alie Circushabitues bilden wird.

Sie reitet mit viel Verve und erinnert in

der bevorstehenden Berliner
Rita del Erido, eigentlich

ihrer vorzüglichen Haltung zu Pferde, namentlich im Herrensattel ä califourch° p'
an die elegantesten Amazonen vergangener Zeiten. Der moderne Circus zei fl°

selten derartige fesselnde Erscheinung
wie die junge spanische Reiterin, we

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von guter Erziehung und trefflicher v
dung, bei dem reiterlustigen Volk Deu tsC
lands, dem James Fillis, der berüh' 1' 1
Schulreiter, das grösste Verständniss ^
die Reitkunst zuschreibt, gewiss eine 11
getheilte herzliche Aufnahme finden ^

Der Erbauer des Nord-Osts e
Canals, der Wirkliche Geheime Ob e^
baurath Baensch, ist am 6. Juni 1825
Zeitz geboren als Sohn des P° str&l y
Baensch. Nach Absolvirung des Gy 111^
siums widmete er sich dem Studium
Mathematik und des Baufaches aU* _,a
Berliner Bau-Akademie und trat 184o

ßis
. deü

Land- und Wasserbau-Inspector m

preussischen Staatsdienst. Auf dern
. • . , _ers 1

Rita del Erido. Nach einer Photographie von M. Ziesler, Berlin.

biete des Wasserbaues war seine
Arbeit der Entwurf zu einer Ueberbrü 1
der Elbe, welche jedoch nicht zur
führung gelangt ist. In einer späteren
lung bei der Regierung zu Liegn ltz’ ^
welcher ihn Hochbauten in Ansp rU
nahmen. richtete er sein Studium auf

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