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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [9]: humoristischer Roman
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149

ungerloos.

Humoristischer Roman von

[Fortsetzung.]

hr wundert Euch?“ sagte er anfänglich stockend, um dann

hastig fortzufahren, wie ein Schüler, der aus Furcht vor

dem Steckenbleiben seine mühsam auswendig gelernte

Lection rapide abhaspelt. „Mein Gott, ich habe es mir

eben überlegt, dass . . . ich dachte . . na ja, zum Henker,

(ltln es immer regnet, gedeiht der Roggen auch nicht. Es gehört auch

. I>r>nenschein dazu. Der Mensch kann doch nicht immer rackern und
>

'übsal blasen und schuften Tag und Nacht! Er muss wenigstens ab und
11 nial eine kleine Freude haben. Besonders, wenn er jung ist. Es giebt
lehts Scheusslicheres, als solch’einen jugendlichen Griesgram. Und ganz
fl1 sich allein leben darf der Mensch auch nicht. Sind wir Einsiedler und

M-

°nche? Nein, wir sind’s nicht! Und darum — in acht Tagen ist Mama’s
^burtstag. Den wollen wir diesmal feiern. Mit dem Amtsrichter habe
* Ch schon gesprochen, er war zwar ein Bischen mucksch, aber — na, er

das Geld an Mama’s Geburtstag haben. Und Procente soll er — ich
' Ve>ss es noch nicht. Jedenfalls kommt er mit Otti heraus. Und ein paar
^dere Menschen wollen wir auch sehen; von den alten Bekannten, die
J l((ber wohl bei uns waren; und auch Jüngere, für die Kinder. Die Ein-
4dungen habe ich schon von der Stadt aus verschickt. Es soll eine Art
0,1 Familientag werden und darum hab’ ich das alles da besorgt. Oder
*^ s Euch nicht recht? Wie?“

Nun sah er sie alle drei der Reihe nach an, und ein fast verschmitztes

I .. . ....

■^cheln zuckte dabei um seine Mundwinkel. Dann blieb sein Blick an

^lchens Gesicht haften, an ihren leise zitternden Lippen. Und da er

'hfen Augen begegnete, ängstlichen, stumm fragenden Augen, in denen

^° rge mit schüchternem Hoffen, Sehnsucht mit Zweifel kämpfte, da beugte

' r sich herab und küsste Frau Amaliens Mund. Die Sorge flog davon,

Hoffen blieb, und die Sehnsucht besiegte den Zweifel. Und Frau
'^tfialie legte ihr Haupt an die Brust ihres Mannes und ihre Augen
^chteten durch glückliche Thränen zu ihm empor.

„Oh Winand! Lieber Winand!“

Er strich ihr sachte das Haar aus der Stirn, jene Löckchen, die sich
ll0ch immer so zierlich kräuselten, wie damals, da er sie sich so oft
' Vcherzend um den kleinen Finger gewickelt.

„Na ja, ich bin wohl zu schroff gewesen gegen Euch!“ sagte er weich
l|°d wie erleichtert aufathmend. „Das soll nun anders werden. Nicht
^ss nun überhaupt nicht mehr gearbeitet würde, meine Damen! Davon
'* rd kein Jota nachgelassen. Aber hin und wieder ein kleines Ver-
küügen wird Euch hoffentlich nicht gleich die Köpfe verdrehen. Haha!“ —
h- r lachte amusirt auf; es machte ihn fast jung, dieses herzhafte Lachen. —
’>Sieh doch die Mädels, Malchen! Wie die Bildsäulen! Könnt Euch wohl
^ch nicht hineinfinden, he? Na beschlaft’s nur erst mal! Und darum —
^crrgott, es ist ja fast drei Uhr! — Marsch in’s Bett! Brabbelt aber nicht
h*e ganze Nacht hindurch! Gute Nacht, Malchen! Gute Nacht, Leo, Dick-
^°Pf! Gute Nacht, Mia, „Maus!“

Er klopfte Frau Amalie sanft auf die Wange und kiisste sie noch
"’ürnal; dann fasste er Leo’s Kopf an beiden Ohren und schüttelte ihn
1>räftig hin und her; dann hob er Mia’s Kinn empor und schaute ihr zärt-
1(ch in die Augen, und dann ging er leise vor sich hinlachend hinaus.

Shlips nahm er mit. Die Drei aber standen eine Weile wie gelähmt
ll°d starten sich an. Bis Frau Amalie plötzlich anfing zu weinen.

„Oh, wie er gut ist! Wie gut er ist! Nur einen Shlips hat er für
s'ch gekauft; nur einen Shlips!“ Es war wie ein Kommando. Sie fingen
;'he drei an zu weinen und dann fielen sie sich mit einem Male um den
und lachten . . lachten . . .

Und sahen es nicht, dass Winand’s Gesicht noch einmal in der halb-
^ eöffneten Thür erschien. „Ich habe noch etwas vergessen!“ sagte er
<0gernd. „Das Fremdenzimmer muss morgen, sobald die Tapezierer damit
ei'tig sind, gleich in Stand gesetzt werden. Wir bekommen abends näm-
1(ch Besuch. Der junge Wichers ist’s, der Sohn des alten!“

Er schloss die Thür wieder hinter sich. Nun lachten sie nicht mehr,

Heinrich Vollrat Schumacher.

[Nachdruck verboten.]

Frau Amalie und Mia. Nur Leo lachte noch kurz und bitter, und gab
ihrem Haufeit einen Stoss, dass er vom Tisch zur Erde rollte. „Wenn er
glaubt, dass er’s damit erreicht . . . nicht ein Stück rühre ich davon an!“

Wieder brannte die ganze Nacht hindurch im Zimmer des Herrn
von Rocholl Licht, und wieder lagen die Bücher und Papiere aus dem
Geheimfach des Secretärs vor ihm. Aber der alte Herr rechnete diesmal
nicht, er las nur immer und immer wieder das Document durch, das heute
nun zu den übrigen gekommen, die gerichtliche Todeserklärung seines
Stiefbruders Fritz von Rocholl, des Amerikaners, der seit nun achtzehn
Jahren verschollen war. Niemand hatte seinen Aufenthalt ausfindig zu
machen vermocht, und niemals hatte er auf die alljährlich mehrere Male
wiederholten öffentlichen Aufforderungen ein Lebenszeichen von sich ge-
geben. Nur einmal, vor sieben Jahren, war eine unsichere Nachricht über
ihn auf den Rochollshof gedrungen, durch den damaligen Weinagenten,
nunmehrigen Oberinspector Brechtling, der einen sterbenden Menschen,
Namens Rocholl, in den Bergwerken Californiens gesehen hatte. Darum
hatte Winand, einem unklaren Zuge von Pietät folgend, den Boten bei
sich behalten und aus der Verkommenheit herauszureissen gesucht, in die
er im Begriff gewesen war, zu versinken. War er nicht der Einzige, der
dem Verschwundenen näher getreten war, der, nach seinem eigenen, ein
wenig verschwommenen Berichte, Jenen die letzte schwere Stunde nach
Kräften erleichtert hatte?

Denn es war kein Zweifel mehr möglich: Fritz von Rocholl war todt!
Nun hatte auch das Gericht es anerkannt und das Erbe des Aermsten
dessen einzigen Verwandten, dem Herrn von Rocholl auf Rochollshof,
Templin und Amalienruh, zugesprochen. Und dieses Erbe . . .

Winand’s Auge streifte melancholisch das Buch mit dem Stammkapital
und dem Facit der achtzehn Jahre. Dann lehnte er sich schwer in seinen
Sessel zurück und starrte sinnend in’s Leere. Und vor seinem Geiste stieg
es herauf' in scharfen, klaren Umrissen, das Hungerloos der Vergangenheit.

Nichts war den Rocholl’s nach dem Tode des verschwenderischen
Vaters von ihrem reichen Besitz geblieben, als der stark verschuldete
Rochollshof, das Stammgut der Familie. Winand hatte ihn übernommen
und ein Leben bitterer Entsagung und harter Arbeit voll, war gefolgt.
Kaum dass er Malchen Lehnhardt, die lange aussichtslos Geliebte, heim-
zuftihren vermocht hatte. Dennoch hatte er nicht verzagt. Seine ganze
Kraft hatte er freudig und mit eiserner Energie an die Erreichung seines
hohen Zieles gesetzt: die Erhaltung des Vorhandenen und die Wieder-
gewinnung des Verlorenen. Wohl war Fritz, der Spross aus der zweiten,
kurzen Ehe des Verstorbenen, nach dem Hausgesetz derer von Rocholl
leer ausgegangen, aber hatte sich Winand nicht allezeit gemüht, ihm ein
zweiter Vater zu werden, es ihm an nichts fehlen zu lassen?

Hatte er das ungestüme, von dem Heimgegangenen ererbte, zur Leicht-
fertigkeit reizende Naturell des Knaben nicht stets einzudämmen und in
ruhigere Bahnen zu leiten gesucht? Hatte er ihm nicht eine weit über
die ärmlichen Verhältnisse der Familie hinausgehende kostspielige Er-
ziehung gegeben, ihm mit schweren Opfern den Weg zur vornehmsten
Carriere des Staates, zur Offizierslaufbahn, geebnet? Hatte er sich und
den Seinen nicht das Nothwendige vom Munde abgespart, um es Jenem
zu geben?

Nein; Winand von Rocholl traf kein Vorwurf, er hatte seine Pflicht
bis in’s Kleinste erfüllt; mehr als seine Pflicht! Während Fritz . . .

Auf Herrn von Rocholl’s Stirn lagerte eine düstere Wolke. Langsam
stand er auf und durchmass mit schweren Schritten das Zimmer. Selbst
jetzt noch, nach so langer Zeit, überfluthete die Erinnerung sein Herz mit
Bitterkeit, da er jener Stunde gedachte, in der Fritz ihm all’ das mühsam
Errungene vor die Füsse geworfen, in der er, der eben das Lieutenants-
examen glänzend bestanden, den vornehmen Beruf von sich gestossen
hatte, wie ein Nichts, wie werthloses Gerümpel.

Eine unheilvolle Stunde war’s gewesen, in der das geschah, und doch
eine Stunde . . .

IX. 10. II.
 
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