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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [10]: Roman
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K., E.: Die Hochzeit des Fürsten Radolin
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0478

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MODERNE KUNST.

Die verhängnissvollen Tage, wo erst bei Spurmann’s und dann bei
Rüdig’s die Ausrodungsarbeiten beginnen sollten, rückten heran.

Der Morgen kam, die Arbeiter erschienen mit den Aexten und den
Hacken, mit den Ivannen voll Erdöl, mit Sägen und Spritzen, welch’
letztere die Erde mit Schwefelkohlenstoff einspritzen sollten. Rüdig und
Martha traten gefasster heran; man hielt eine Besprechung, wie man sich
im Berge vertheilen sollte, wie man am zweckmässigsten vorging, um
alles von Grund aus zu zerstören und ja keinen vergessenen Wurzelrest
übrig zu lassen, der etwa neue Reben treiben konnte. Der Wohllahrts-
beamte, der die Vernichtungsarbeiten zu überwachen hatte, schärfte den
Besitzern gleich von vornherein ein, dass, wenn sie später, vielleicht erst
nach Jahren, noch Wurzelläufe fänden, die wieder ausschlügen, sie auch
diese ganz von selbst wieder ausgraben und tödten müssten, damit sie
nicht etwa nachträglich noch zu Ernährern der Seuche würden. Dies
alles hörte Anna scheinbar theilnahmslos an.

Als aber gerade unterhalb des Hauses der erste Axthieb auf Befehl
des Beamten geschah, mitten in einen der schönsten, ältesten Weinstöcke
hinein, da warf sich Anna wie von einem plötzlichen Wahnsinn erfasst
vor dem Arbeiter über den Weinstock weg, umklammerte seine Reben
und Verästelungen, als müsse sie dieselben mit ihrem Leibe decken.

Rüdig und Martha suchten ihr zuzusprechen und sie wegzubringen,
aber es war umsonst. Sie klammerte sich fest in dem Geranke des alten
Stockes und war nicht fortzubewegen. Da gingen die Männer traurig
weg, um ein Stück weiter ihre Arbeit zu beginnen und mit mächtigen
Hieben in das ergrünende Rebenwerk hineinzuschlagen. Anna aber um-
klammerte ihren Weinstock und blieb lange so liegen.

Als Martha sah, wie nach einer Weile die Männer schon in die tiefen
Gruben sprangen, um die untersten Gerinne auszuheben und als sie das
erste Sägen hörte, das nervenzerreissend in dem Holze knirschte, da
warf sie sich auch selber mit lautem Weinen ihrem Schwager an die Brust
und verbarg ihren Kopf, um das Schreckliche nicht zu sehen und zu hören.

Aber nicht lange blieb sie so. Dann ermannte sie sich plötzlich. Sie
richtete sich stark und entschlossen auf, strich die Haare aus der Stirn
zurück und glättete ihren Rock. Sie hatte ein Mittel gefunden, um sich
über den Wahnsinn dieses Wahns hinwegzubringen.

Sie bückte sich und hob die nächste Axt auf. Sie schritt selber in
den Weinwald hinein und begann mit starkem Arm selber in die Stämme
zu schlagen, die Reben abzuhacken, dass sie ächzend abflogen, und an

den Wurzeln zu zerren. Sie fasste mit beiden Armen hinein, stemmte
sich mit Riesenkraft zurück und zog allein die ältesten Gerinne herauf
an’s Licht, um sie zu zerspalten und zu Haufen zu tragen. Und indem
sie diese Arbeit mit unermüdlichem Eifer betrieb, war es, als rodete sie
auch vieles Andere, wurzeltief Verborgene aus ihrer Seele aus, was sie
schweigend bedrückt und beängstigt hatte; nicht mehr hatte sie das Gefühl,
als zerstöre sie eine schöne Vergangenheit, sondern als mache sie das Land
urbar zu neuem Leben.

Als Rüdig seine Schwägerin so tapfer selber Hand an’s Werk legen
sr.h, da fasste auch er neuen Muth und ergriff, ihrem Beispiele folge’nd,
stumm seine Axt. Er ging dahin, wo sie weilte, und half ihr, und gemein-
sam arbeiteten sie nun, nicht mehr Thränen, sondern den Schweiss der
Arbeit vergiessend, diese ganze Zeit an der Ausrodung.

Anna sah mit gerungenen Händen, wie diese Beiden es vermochten,
so erbarmungslos in ihren eigenen Wein hineinzuschlagen. Sie vermochte
es nicht. Sie irrte den ganzen Tag im Berg umher, von einem Weinstock
zum anderen.

Sie ging nach dem Hause hinauf' und schloss sich dort ein. Sie kam
nicht wieder in den Berg hinab und blieb in dumpfem Hinbrüten auf ihrem
Bette sitzen, ohne Freude am Leben, an ihren Kindern, am Manne und
an sich selbst. —

Auf der Plattform vor dem Hause standen Rüdig und Martha und
starrten hinab auf das rauchende, abgesengte, dampfende Trümmerfeld.
Der Qualm stieg auch bis zu ihnen hinauf, umhüllte das Haus und zog,
zu einer dicken Wolke gesammelt, über das Dach des Hauses und den
Wald dahinter weg. Drüben über dem Strome lagen die grünenden, un-
versehrten Gärten im Frühlingsscheine; hier waltete die Nacht, die trostlose
Verödung, und wie Feuersäulen eines Weltbrandes leckten die flammenden
Weinstöcke in die leere Luft hinaus.

Oben in ihrem Bette aber lag Anna, von heftigen Fieberschauern
geschüttelt, wirre Fiebereinbildungen ausjammernd und in Träumen an
dem dicken Qualme erstickend. Ein zerstörendes Nervenfieber hatte ihren
schwachen Leib ergriffen, das sie hoffnungslos auf ihr letztes Lager streckte.

Als unten im Berge die letzten verkohlten Weinstöcke nur noch er-
löschende, kurz aufflackernde Flämmchen aus dem Aschenhaufen heraus-
zuckten, die schnell erstarben, lag Rüdig weinend über die Leiche seiner
Frau gebeugt, während Martha amFussende des Bettes ihrer armenSchwester
kniete, die solches Leid nicht hatte überleben können. — [Schiuäs foigt.]

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ocbzeit des

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adolin. |§0~

fnter den Vermählungsfeierlichkeiten, die im Laufe der letzten Jahre
im deutschen High-life stattgefunden, war wohl keine glänzender,
als die des Fürsten Hugo von Radolin-Radolinski, Ober-
Truchsesses des Kaisers, des gegenwärtigen deutschen Botschafters am
Petersburger Hofe. Die Braut war die Comtesse Johanna vonOppers-
dorff, Schwester des Reichsgrafen Hans von Oppersdorff, Majorats-
herrn auf Ober-Glogau. Ein imposanter Kreis von Verwandten und Freunden
des angesehenen Hauses hatte sich zu der Trauungsceremonie eingefunden:
Prinz Biron von Kurland, Ilerzog von Ratibor, Herzog von Dino,
Graf Talleyrand, die Grafen Harrach, Praschma, Seherr-Thoss,
Orlowski, Königsmark, von der Goltz, Kanitz, von Lewinsky,
Commandeur des sechsten Armeecorps, von Seydewitz, Oberpräsident
in Schlesien u. a. m.

Eine ganz besondere Auszeichnung wurde dem Brautpaar durch die
Anwesenheit des Kaisers zu Theil. Kaiser Wilhelm wollte es sich nicht
nehmen lassen, dem von seinem Vater und ihm wiederholt ausgezeichneten
Hofmann und Diplomaten in seiner weihevollsten Lebensstunde zur Seite
zu stehen und war bereits am Vorabend der Feier auf Schloss Ober-Glogau
eingetroffen. Da dieser Kaiserliche Besuch einen rein privaten Charakter
trug, so fiel jedes Ceremoniell und Gepränge fort. Der Herrschcr machte
es sich mit gewohnter Jovialität auf dem schönen Schlosse bequem und
genoss mit vollem Behagen dcn Ausblick vom westlichen Balcon, von wo

[Nachdruck verboten.]

aus das Auge über das liebliche Hotzenplotzthal mit seinen üppigen
Feldern, saftigen Wiesen und freundlichen Ortschaften, und weit über den
blitzenden Silberstreifen des Flusses bis zu den blauen Bergen des Alt-
vatergebirges hinausschweift.

Erst das Erscheinen des wachthabenden Officiers mit dem Wacht-
rapport erinnerte den Monarchen an die strengen Regeln militärischer
Etikette. Lächelnd bemerkte er: „Zwölf Husaren auf Wache? Nun, da
werde ich wohl nicht gestohlen werden!“

Unter den verschiedenen Episoden der Festlichkeit war die kirchliche
Trauung des Brautpaares in der katholischen Pfarrkirche durch den Fürst-
bischof von Breslau, Dr. Kopp, nicht bloss die feierlichste, sondern auch
die äusserlich glanzvollste.

Vor dem Haupteingange der Kirche hatten die Schützen Ober-Glogau’s
in Uniform und mit der Fahne Aufstellung genommen. Equipage. auf
Equipage rollte nun heran und bald füllte sich das dämmerige Halbdunkel
des hohen, säulengeschmückten Kirchenschiffes mit duftigen Damentoiletten
und schimmernden Uniformen. Als Brautjungfrauen fungirten ausser den
drei Schwestern der Braut, Comtess Praschma und Fräulein Emilie von
Greindl in einfachen, lichtfarbigen Gewändern. Kurz vor 11 Uhr kam der
Kaiser in einem Viererzuge mit Vorreiter in Begleitung des Bräutigains,
Fürsten Radolin, angefahren, schwang sich elastisch aus dem Wagen und
schritt den Haupteingang entlang zu seinem neben dem Altar unter eincm
 
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