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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [3]: ein humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0133

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37




as Äungerioos.



Humoristischer Roman von Heinrich Vollrat Schumacher.

O —-

[Fortsetznng;.]

. ls Frau Amalie im Comptoir dem Oberinspector gegenüberstand,

, war’s ihr, als drücke ihr etwas die Kehle zu, dass sie kein Wort

°tzubringen vermochte. Aber sie musste davon sprechen. Leo
tete und Otti’s Kutscher wartete.

i)Ich . .“ würgte sie endlich heraus, „ich habe die ganze Nacht keine

^ Uilige Minute gehabt, Brechtling! Ich fiirchtete, dass er es entdecken

Ulde, den Betrug. Denn es ist Betrug, Diebstahl und Unterschlagung!“

ßrechtling stiess einen fast kichernden Ton aus, während er auf dem

^eibtische das Papier für die Bons zurechtschnitt.

nAber, gnädige Frau, welch’ schwei'e Worte für einen simplen Schmu-

® lQSchen! Alle Frauen machen doch Schrnu! Glauben Sie, dass ich Ihnen

^ 211 gei-athen hätte, wenn es ein Unrecht wäre, ich, dem die Treue gegen

6,1 Herren Baron über Alles geht? Gerade seinetwegen that ich’s. Ich
• ...

*i Wie er selbst unter seiner Spai-samkeit litt, ich fürchtete, dass dieses

^ehrungsvolle Leben seiner Gesundheit schädlich wei'den könnte. —

' e hoch befehlen gnädige Frau den ersten Bon?“

h rau Arnalie fasste sich verwiiTt nach der Stirn, dann besann sie sich.
^ iiPastoi's kommen am nächsten Sonntag zum Kaffee. Bitte also ein
Kaffee zu einer Mark sechszig!“

Hberinspector Brechtling schi'ieb.

nEine Mai'k sechszig! •— Eine Entdeckung ist völlig ausgeschlossen,
f Uadige Fra

rau, sobald Sie nur so voi'sichtig zu Wei'ke gehen, wie gestern.
her Hen" Baron gesehen, dass Sie das Gemüse beiseite schafften?


eitl> er war ja in Amaliennih! Hat er bemerkt, dass Christine es heute
Sen zu dem anderen, dem officiellen, auf den Wagen lud? Keine Spur;

^O)-,

jn ^ar hier bei mir im Comptoir und ich habe rnich wohlweislich vor das
enster gestellt. — Und der zweite Bon?“

I nEtwas Kuchen werde ich Pastors doch wohl vorsetzen müssen. Bitte
s° zwei Pfund Mehl zu fünfundzwanzig, Zucker für dreissig, Mandeln,


«b,

° sinen, Hefe . . zusammen vielleicht für zwei Mai'k!“

,,Zwei Mark!“ wiederholte Brechtling schreibend. „Sonst nichts?“
Erau Arnalie schüttelte ti'übe das Haupt. Es war ihr, nun, da sie
lf' chtling so ruhig über ihr Verbrechen sprechen hörte, als habe sie es

en

»S:

Hti-

zum zweiten Male begangen.
uWirklich gar nichts mehr, gnädige Frau?“ fragte Jener eindringlich.
le sollten sich das mit den Bons recht übei’legen. Sie sind oft besser
haares Geld. Gerade deshalb habe ich dem Herrn Baron dazu ge-

len. Weil ich gnädige Fi -au bedauerte. Es ist eine ganz einfache und
Schuldige Sache. Sie können sich von dem Lieferanten ja baares Geld

uVür

fÜ:

w,

geben lassen. Dem Kaufmann kann das egal sein, besondei-s wenn
fiim einige billige Pi'ocente zugestehen!“

i,E)ie Winand nachher doch bezahlen muss?“ fuhr Fi’au Amalie ent-
Stet auf, „Er, der sich jeden Bissen arn Munde für uns abspai't! Nie

eH,

e ich Das thun, niemals!“

g * le war dem Weinen nahe. Nie zuvor hatte sie sich so gedemiithigt

,■ ^Hlt, wie jetzt, da sie dem süss lächelnden Menschen da am Schreib-
tisCk

le, dem Untergebenen ihres Gatten, ein Recht gegeben hatte, so mit

1 SDrechen. Aber dennoch — sie musste den Kelch bis zum Grunde

ieCl.

ei1- Leo wartete und der Kutscher wartete.

’it-'nd . . und . .“, bx-achte sie sich gewaltsam fassend heraus, „haben
das Gemüse vex’kauft?“


Er hatte

sie heimlich beobachtet. Würde sie der Vei'suchung wider-

len?

u ’iEu demselben Preise wie das andere!“ erwiderte er.

VHrk h •

nreiundsiebzig Pfennige!- 1

Für fünfzehn

^al ;

^ ie fühlte, dass er es ihr absichtlich schwer machte, und zum ei'sten
111 ihrem Leben stieg etwas wie Hass gegen einen Menschen in ihr auf.

Ta

f " Vann lcil das Held bekommen?“ fuhr sie mit ungewohnter Schroffheit

Er

»Jetzt? Ich brauche es! u

sprang mit einschmeichelnder Dienstfertigkeit auf.

[Nachdruck verboten.]

„Aber gewiss, gnädige Frau! Das heisst . . ich vergass . . das Geld
ist in der Geldtasche und die Geldtasche ..."

Fi'au Amalie wui'de todtenblass.

„Hat Winand!“ vollendete sie tonlos. „Nun wird er es entdecken.
Wenn er das Geld findet, wird er . . .“

Der Oberinspector lächelte übei'legen.

„Was wird er, wenn ich es fiir das meine ausgebe? Glücklicherweise
habe ich den Zettel mit der Abrechnung, das Separatconto der gnädigen
Frau, vorher herausgenommen und in meine Westentasche gesteckt. Ilier
ist er!“

Er l-eichte ihr den Zettel hin, den sie mechanisch öffnete.

„Zwei Pfund feinste Ochsenzunge“, las sie, „drei Mark fiinfzig; drei
Vierteldosen Sai'dinen in Oel, Marke Philipp & Canaud . . .“

Brechtling war zusammengefahren und hatte seine Hand heftig aus-
gestreckt, wie um ihr den Zettel zu entreissen. Nun jedoch, da sie ver-
wundert aufblickte, malte sich auf seinern Gesichte ein Ausdruck entzückter
Ueberi'aschung.

„Oh gnädige Frau!“ stammelte er. „Der Zettel — ich suche ihn seit
zehn Jahren und nun — er ist das einzige Andenken an meinen Vater.
Er schrieb auf ihn die Delicatessen, welche meine Mutter zur Feier meitxes
Abschiedes anschaffen sollte, damals, als ich nach Amerika ging. Dürfte
ich gehoi'samst um Rückgabe bitten, gnädige Frau?“

Frau von Rocholl betrachtete sinnend Bi-echtling’s Weste. Winand’s
ehemalige braune Sammetweste war’s, in deren Rücken Frau Amalie einen
bi'eiten Keil eingefügt hatte, damit sie Brechtling passe. Denn als er vor
sieben Jahren nach Rochollshof gekommen war, war er ein wenig reducirt
in der Kleidung gewesen. Und nun hatte er in dieser Weste den Zettel
gefunden.

Er nahm ihn und vertiefte sich in die Reliquie. Dann zerdrückte er
eine Thräne im Auge.

„Ai-mer Vater!“ murmelte er gei-ühi't. „Sardinen in Oel! Sie waren
sein Leibgei'icht!“

„Und der andere Zettel?“ fragte Frau Amalie besorgt. „Der mit der
Abrechnung?“

Er fuhr mit beiden Händen zugleich in die Taschen der Weste.

„Der andere? Aber muss doch . . ich habe ihn doch . . er kann
doch nicht . . .“

Er verstummte. Und er lächelte nun nicht mehr. Auch Fi'au Amalie
lächelte nicht. Sie starrten einander sehr ernst an. Bis Winand’s Stimme
durch das geöffnete Fenster von draussen hereintönte.

„Bis Du fertig, Amalie? Wir wei'den sofort fahren! Hier die Geld-
tasche, Brechtling. Und hier in dem Couvert ist das Recept! Christian
soll noch heute damit nach der Stadt reiten. Sie haben zwar den Roth-
lauf noch nicht, aber sie können ihn ki'iegen. Eil’ Dich, Amalie, ich hole
den Wagen!“

Er legte Geldtasche und Couvert auf das Fensterbrett und wandte
sich nach dem schattigen Winkel am Anbau des Schlosses, in welchem
der Einspänner stand.

Mit einem Satz war Brechtling bei der Geldtasche.

„Nun?“ fragte Frau Arnalie zitternd.

Er hielt sie ihr geöffnet hin. Sie war leer. Weder Geld noch Zettel.

Ueber I'rau Amalie kam etwas wie jammei-voller Todesmuth.

„Wie viel Procent wird Kaufmann Peters für baares Geld nehmen?“
fragte sie fest.

Brechtling hatte sich bereits wieder gefasst. Nun lächelte er sogar,
wie früher.

„Hm •— so an zwanzig!“

„Oh! Doch •— dann schreiben Sie mir noch einen Bon über fünf Mai'k!“

Er schrieb schon. Sie riss ihm das Papier unter der Feder fort und
eilte zur Glasthür.

IX. 3. II.
 
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