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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Alberti, Conrad: Wiesbadener Kurleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0102

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Ein Ausflug der Wiesbadener Kurgäste.


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Von Conrad Alberti,

,in fideler Kurort, dieses Wiesbaden, das muss man sagen! Die wohl-
erfahrene Badeleitung geht von dem sehr richtigen Grundsatz aus,

dass Unterhaltung und Festlichkeiten weder den Kranken schaden, noch den
Gesunden. Jene begrüssen mit Freude eine gelegentliche Aufheiterung,
die sie die ernsteren Gründe vergessen macht, äus denen sie zum Bade-
aufenthalt genöthigt sind —• die Gesunden aber, beständig an die Nähe
der Leidenden gefesselt, begrüssen jede Stunde des Lachens und Scher-
zens wie eine Befreiung. Das ist das ganze Geheimniss der Kunst einer
Badedirection: den Badegästen den erzwungenen Aufenthalt als einen
freiwilligen erscheinen zu lassen.

Die Veranstaltungen dazu sind in Wiesbaden von mannigfaltigster
Art. Schon im Alltagsgewande macht die Stadt durch die Nähe des
Rheins, durch den Wechsel des internationalen Lebens einen grossen und
erfrischenden Eindruck. Die Promenaden, die Anlagen, von prächtigen
Gebäuden und Villen eingehegt, wimmeln von eleganten und sich wohl
haltenden Menschen. Rheinische Fröhlichkeit, gehoben durch den inter-
nationalen Fiintergrund des Weltbades, herrscht bei den grossen Kur-
festen. Da giebt es italienische Nächte voll prasselnden Feuerwerks,
bengalisch glühender Waberlohe, liederschallender Hallen. Da sind jene
berühmten Kostümfeste, bei denen durch die mondstillen Gänge des Kur-
parks Ritter und Zigeunerinnen eng aneinander geschmiegt wandeln, die
Büsche ihre Häupter in zierlichem Walzertempo bewegen und die Blumen-
parketts mit Sect begossen werden.

Dasind jene gemeinsamen Rheinausflüge, welche denTheilnehmern noch

Jahre lang als ange-
nehme Erinnerungen
gern hervorgeholten
Plauderstoif geben.

Die Kurdirection übernimmt das ganze Arrangement — man
zahlt seinen geringen Beitrag und lässt sie für Alles sorgen. Sie
verhandelt mit den Zahnradbahnen, sie miethet den Dampfer, sie bestellt
das Mahl.

Der Niederwald ist das wichtigste Ziel der frohen Fahrt. Schon auf
dem Dampfer hat sich die behaglichste Stimmung entwickelt
plaudert, scherzt durcheinander, klatscht wohl auch ein wenig. Man ist
wie in einer grossen Familie. Dann geht’s den steilen Berg hinan,
zwischen den niederen Weingärten, in denen die köstlichsten deutschen
Gewächse ranken. In wenigen Minuten führt uns die hülfreiche Zahnrad-
bahn zu dem Stolz des Rheingaues, dem herrlichen Niederwalddenkmal,
das, unten vom Flusse her klei'n wirkend, erst hier oben seine gewaitige
Grösse entfaltet, wo hoch über den Häuptern der kleinen, kranken Men-
schen die gewaltige Frau von Erz ihre schützenden Arme ausbreitet.
Unzählige Postkarten werden hier geschrieben, tausend illustrirte Grüsse
fliegen den Lieben der Heimath zu.

Und dann geht’s in bequemem Marsch durch kühlen, lieblichen Wald
dem Jagdschlösschen zu. Gastliche Tafeln, mit Weinbatterien wohl gß"
spickt, laden zum stärkenden Mahl. Höflich gekrümmte Kellner harren,
bis der letze Stuhl im Sturm genommen ist, um dann sofort mit jenern


v°gelartigen Vorwärtsschiessen, wie es die meisten Ganjmiede an
Slch haben, die dampfenden Schüsseln heranzubringen. Im Nu sind
^ie Plätze belegt — was sich schätzt, sucht sich an gemüthlicher
Ecke zusammenzufinden. Die mitgebrachte Kapelle tönt von locken-
den Weisen, und die Bäume, deren Zweige sich zur Tafel nieder-
neigen, wünschen guten Appetit. Ein fröhliches Tänzchen erhöht die
vom Weine, von der milden Luft des Rheingaues heiter gestimmten
Gemüther. Dann geht’s zurück per Schiff. Bei Biebrich endet
Abends wieder die Fahrt, und wenn der Dampfer an der Landungs-
brücke anlegt, so erglänzen die Ufer, das Schloss, die prächtige

Rheinallee in bunten Feuerdämpfen.

Das ist Wiesbaden an Festtagen. Aber ist es nicht auch ohne

besondere Veranstaltungen gross und herrlich? Welcher Tourist,
der um des Bades willen auch nur einen Zug überschlagen,
hätte nicht den berühmten Neroberg besucht? Wiesbaden ohne
den Neroberg ist wie Rom ohne den Papst. Er ist das Wahr-
zeichen des Ortes, um ihn dreht sich das Interesse, die Unter-
haltung. An seinen Abhängen liegt die Perle der Gebäude
Wiesbadens, die griechische Kapelle, zu Ehren der zahlreichen
russischen Gäste erbaut, mit ihren prachtvollen Mosaiken, ihren
unvergleichlichen Bildern.

Wer hätte nicht schon hoch oben auf der Piattform des
Berges gestanden und auf das liebliche Städtchen herniederge-
blickt, das so einladend da unten liegt mit seinen weissen Hallen,
 
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