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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [8]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0438

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3Si

Wolfgang Kirchbach.

Roman von

[Fortsetzung.]

a war nun der Wein Horst’s heimlicher Tröster. Er trank
mehr als je, und in' dem stillen Rausche, den Niemand
ihm anzusehen vermochte, da er sich äusserlich sehr gut
zu halten wusste, lebte er sich in den Glauben hinein,
?s sei nur eine f'alsche Vorstellung, dass bei ihm alles so schlecht stehe.

war er hingegangen zu Spurmann und hatte einen Voranschlag über
r^e Ernteaussichten gemacht, der das Glänzendste versprach und, indem
?r so hinabschaute aus seiner Höhle auf die Berge, sah er die schönsten
^offnungen wie eine grünende Wirklichkeit an den Reben hängen.

Auf einmal schrak er heimlich zusammen. Er hörte ganz in seiner
^ähe einen Laut, der wie ein stiller Seufzer klang und es schien eine
' Veibliche Brust, aus der er entschlüpft war. Athemlos lauschte Horst;
^nn kroch er langsam auf Händen und Füssen ein Stück vor und steckte
^ en Kopf um die Ecke der Höhlenöffnung heraus.

Ein jähes Gefühl wonniger Leidenschaft befiel ihn, als er Martha nur
'''enige Schritte vor sich auf dem Mauergerölle sitzen sah. Sie hatte ihre
^rbeit in den Schooss fallen lassen und blickte unruhig den Berg hinab,
^ en Rücken der Höhle zugekehrt. Heimlich erhob er sich und mit zwei
^eisen Schritten war er hinter ihr und an ihrer Seite. Sie bemerkte es
erst im letzten Augenblicke, als er sich dicht neben sie auf das Geröll
Setzte und seinen Arm leise um ihre Hüfte legte.

Sie schauderte vor der unvorhergesehenen Berührung zusammen und
^ss ihre Arbeit auf die Erde fallen. Er sah ihr von der Seite in’s Gesicht
^nd flüsterte rasch: „Erschrecken Sie nicht, lieb’s Marthelchen, ich bin's
^Ur. Sie wissen schon, wer!“

-- [Nachdruck verboten.l

Sie wechselte jäh die Farbe, bückte sich, um ihre Arbeit aufzuheben
und sagte beklommen:

„Sie sind’s, Herr Horst. Ich glaubte, Sie wären unten im Berge und
nun sind Sie hier.“

„Gleich hier in der Höhle habe ich gelegen und habe es nicht gemerkt,
dass Sie hier sitzen. Sie sind wohl eben erst gekommen.“

„Ich sitze schon ein Weilchen“, sprach Martha, indem sie sich emsig
über ihre Arbeit bückte und mit der Sticknadel in ihr Muster den bunten
Faden zog.

„Warum sitzen Sie denn hier, Marthelchen?!“ frug Horst, indem er
sich bückte und ihr von unten her in’s gesenkte Afftlitz schaute. ’ Er
lächelte verwegen und seine schwarzen Augenbrauen, sein schwarzes Haar
und sein blondes Schnurrbärtchen kamen ihr so nahe dabei, dass sie ganz
still halten musste, um ihn nicht aus Versehen zu berühren. Dieses Antlitz
war so seltsam, so zauberhaft! Sie musste an ihre oculirten Rosen
denken, die sie selbst gepfropft hatte.

„Warum sitzen Sie denn hier?!“ frug Horst abermals mit einem ver-
führerischen Blicke.

Sie erröthete und sagte: „Ach, ich dummes Ding, ich weiss es wohl
selber nicht.“ Sie musste wieder in dies nahe Antlitz blicken und sass
ganz still aufrecht.

„Aber ich weiss es, ich weiss es, schöne Martha mit den schönen
Augen!“ flüsterte der Winzer leise jubelnd, und im selben Augenblicke
hatte er ihren Kopf gefasst und drückte ihr einen jähen Kuss auf den
Mund. Er küsste feurig und sie konnte nicht widerstehen: sie küsste
 
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