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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Dincklage-Campe, Friedrich von: Auf der Kanzel: zu dem Bilde von J. Fallat
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0395

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3°5

uf der

anzel.

6

Zu dem Bilde von J. Fallat.

er Hirsch schreit! — Mehr und mehr sinkt der Abend.

Raschen Schrittes und dennoch jeden dürren Zweig vermeidend,
schreitet ein Jäger durch den Wald — fast unhörbar eilt er über den weichen
Moorboden. Er trägt den einfachen braunen Lodenrock und den steierischen Hut
mit dem Gemsbart geschmückt — ein älterer Forstmann in graugrünem Wald-
anzuge folgt ihm — Doppelbüchsen und Doppelglas über die Schulter gehängt.

Jetzt hemmt der Jäger seine Schritte und lauscht!

Da plötzlich klingts wie Orgelton herab vonr Hange, dröhnend schallt er
über die Bergeshalde — ianggezogen — klagend — rein — sehnend!

Ein freudiger Glanz gleitet über des Jägers männlich schöne Züge. Fragend
Wendet sich sein Blick auf den Forstmann.

„Ist er das?“

Der aber legt die Hand an den Hut und schüttelt stumm den Kopf. „Der
orgelt noch mächtiger!“ sagt er dann leise.

weit vorgestreckt, die Stangen zurück gelegt — fast an den breiten Hals heran —
beginnt er von Neuem sein Liebeslied.

Und in den Büschen beginnt es, sich zu regen — leisen Schrittes nahen die
Schönen. Zuerst ein Altthier — dann schüchtern — zaghaft — ein Schmalthier —
auch ein Wildkalb tritt neugierig sich umschauend, auf die Blösse.

In stolzer Haltung mustert der Hirsch die Bewerberinnen um seine Gunst.
Noch scheint er unentschlossen. — Da -— dringt ein Ruf an seine Gehöre, der
ihn herausfordert und erschreckt zugleich — ein Schrei von enormer Tiefe, von
ungeheuerer, mächtiger Fülle — die Contraoctave im vielstimmigen Waldorchester.

Das Kahlwild — ein ganzes Rudel hat sich eingefunden — äugt neugierig
hinüber nach dem Ankömmling, — der jetzt aus den Stangen hervortritt — den
Beherrscher des Platzes.

Jetzt schreitet der Capitalhirsch Iangsam vor, das Geäse vorgestreckt.

Der Zehner erscheint unentschlossen. Dann neigt auch er den Waffen-

Benlliure. Grabmal.

Nur ein paar Mal ertönt noch der mächtige Schrei — dann ist es still durch
eine ganze Weile.

Der Wald wird lichter — eine Blösse, rings von hohen Buchenstämmen
Urngeben, breitet sich aus, — nicht zu gross, — fast berühren sich noch die
ßaumkronen in den Wipfeln.

Sie haben eine Kanzel erreicht, im Unterholze verborgen, mit natürlichem
Laubschutz umkleidet. Eine Treppe führt hinauf und oben bietet sich die Aus-
s*cht auf die Lichtung.

Die letzten Strahlen der Abendsonne fallen auf des Jägers braungebranntes
Gesicht. Er schiebt den Lodenhut etwas weiter zurück, um bequemer durch
das Doppelglas sehen zu können, das ihm der Andere dienstfertig reicht.

Der Jäger setzt sich dicht an die von Laub umgebene Brüstung der Kanzel —
r>chtet das Glas nach der Richtung, aus der der Schrei kam. Nicht lange —
^ann bewegt es sich im Unterholze und mit finsterem Ernste, den Windfang tiet
2l'm Boden gesenkt, tritt der Hirsch auf die Lichtung.

Er bleibt stehen, äugt ringsum, als suche er nach der Geliebten, die ihn
*'ier erwarte. Dann schlägt er wie im Zorne, mit den Schaalen mächtig nieder
auf den Boden, dass die feuchte schwarze Erde hoch empor fliegt. — Den Hals

schmuck und durch den stillen Abendwald hallt das harte Aneinanderschlagen
der Geweihe. Still, fast theilnahmlos schauen die Thiere dem Kampfe zu
als ob es sich von selbst verstände, dass der rothe Schweiss den Boden färben
müsste — um ihretwillen.

Der Capitalhirsch hat gesiegt — der Zehner wurde abgeforkelt.

Das Abenddunkel hat sich über den Wald gelegt — feine Nebel steigen
vom feuchten Boden auf — Stille überall. Der Mond glänzt silbern durch das
Geäst und Gezweig.

Ein Strahl beleuchtet des Jagdherren Antlitz. Er giebt dem Begleiter ein
stummes Zeichen und erhebt sich vorsichtig. Waldesgewohnt schreitet er, fast
unhörbar, zwischen den Buchen entlang, einem Gestell zu.

Dort wartet seiner der leichte Jagdwagen. —

„Ist’s nicht herrlich im Walde, wenn der Hirsch schreit?“ fragt der Jagd-
herr im Tone innerster Ueberzeugung den Andern, während dieser ihm den
Mantel über die Schultern legt.

„Herrlich, Euere Majestät!“ antwortet der, „was wäre das Leben ohne den
Wald, ohne die Jagd!“

Der Kaiser lächelt. A. von Dincklage Campe.

IX. 20. II.
 
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