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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [5]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0394

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3°4

MODERNE KUNST.

zeichnen, die ihn von den Anderen trennte. Einige Frauen fingen, gerührt
durch die Haltung des Geschäftsherrn, leise zu schluchzen an; Horst aber
schaute über den Leichnam weg unverwandt auf Martha, die mit ver-
lorenem Ausdrucke vor sich niederblickte und an das dachte, was Horst
von den Mädchen und von den Weinstöcken gesagt.

In diesem Schweigen Aller wurde es den Meisten sehr beklommen
um’s Herz; sie wären am liebsten wieder weggewesen bei ihrer Arbeit,
und abergläubige Vorstellungen gingen Manchem durch den Kopf. Endlich
setzte Herr Spurmann die Mütze wieder auf und er sagte zu Horst:

„Tragen Sie den Alten in seine Stube und legen Sie ihn auf sein
Bett; Sie sorgen dafür, Horst, dass er sauber gewaschen und in einen
guten Sarg gelegt wird; er hat keine Verwandten, als einen einzigen Sohn
in Südamerika, der ist ein Farmer; ehe der Nachricht hat, kann viele Zeit
vergehen; wir aber müssen den alten Mann morgen Abend schon begraben.
Und es soll bei diesem Begräbniss keiner von meinen Leuten fehlen. Jetzt
nehmen Sie ihn auf; es ist ein schwerer Schlag, aber wir müssen weiter
arbeiten.“

Der Weinherr wandte sich ab, um mit dem Reisenden und dem Keller-
meister sich in's Vorderhaus nach dem Comptoir zu begeben. Die Leute
zerstreuten sich und gingen wieder an ihre Arbeit, während Horst und
sein Genosse die Bahre wieder aufnahmen und nach dem kleinen, ver-
einsamten Häuschen trugen, wo der Alte gehaust hatte. Bald hörte man
wieder die regelmässigen Schläge des Böttchers auf seine Fassreifen an
die Dauben, das Rollen der im Schwefeldampfe gedrehten Fässer auf dem
Hofe, das Hämmern vom Zusammenschlagen der Weinkisten, während
unten in den dunklen Schachten der Kellereien eine stille, wachsame
Thätigkeit sich regte und in den Fässern der Wein seine heimliche Arbeit
selber besorgte, gährend und sich klärend, brausend und sich still ver-
zehrend, geheimnissvoll, lichtscheu im Dunkeln sich zur goldenen Sonnen-
klarheit läuternd.

Im Comptoir angelangt, trug Herr Desire Müller einige weitere Er-
fahrungen vor in Gegenwart eines Comptoiristen, der das „Chicanenbuch“
verwaltete. Das war ein grosser Foliant, in welchem die Handlung alle
Klagen und Einwendungen der Kunden gegen gelieferte Weine, Flaschen,
Fässer, Verpackungen, kleine Unfälle bei der Lieferung und dergleichen
gewissenhaft verzeichnete. Dieses Chicanenbuch war ein Sammelband
praktischer Erfahrungen, die man weiternützen konnte, gleichzeitig aber
auch ein Ausweis iiber den Geschmack der Kunden, über die Wieder-
verkäufer der Weine und etwaige Fälschungen oder Eingriffe, welche
letztere in die Natur der Weine sich gestatten würden, ein Merkbuch,
welches viel zum soliden Betriebe des ganzen Geschäftes beitrug und eine
dauernde Aufsicht ermöglichte. Miiller verbrachte längere Zeit damit,
dem Comptoiristen die Erfahrungen und Reden wichtiger Kunden von
seiner eben vollendeten Reise zu berichten und sie möglichst wortgetreu
in die Feder zu sagen, während Spurmann, eine Cigarre rauchend, ge-
wissenhaft zuhörte und nur gelegentlich ein Wort fallen liess über das,
was gebucht werden sollte und was dieser Buchung nicht bedurfte. Als
man hiermit fertig war, lud Herr Spurmaun den Reisenden ein, bei ihm
das Mittagsmahl zu nehmen und Müller folgte dieser Einladung um so
bereitwilliger, als seine Pläne ihm es sehr wünschenswerth machten, mit
Fräulein Marianne Spurmann zu sprechen und ihren Einfluss auf den Vater
für sich geltend zu machen.

Ehe man ging, hatte der Weinherr noch eine vertrauliche Besprechung
mit dem Kellermeister, die sich auf die Idee des Reisenden bezog, den
Winzer Horst zum Oberwinzer auf den Spurmann’schen Weingütern zu
ernennen. Der Kellermeister setzte in seiner bescheidenen Weise auf die
Frage des Chefs auseinander, dass er diese Idee nicht unterstützen könne.
Er habe kein Zutrauen zu der Umsicht und Gewissenhaftigkeit des Mannes;
er schlug mehrere ältere Winzermeister aus der Umgegend vor, die bessere
Bürgschaften bieten würden. Horst sei zwar bei den Meisten sehr beliebt,
aber seine unberechenbare Natur könne für einen so grossen Betrieb eher
zu einer Gefahr werden. Müller schwieg still und trat dem Kellermeister
mit keinem Worte entgegen; er wartete seine Zeit ab. Als aber das Ge-
spräch beendet war und man zum Aufbruch rüstete, sagte der Chef:

„Ich sehe ein, es wird mit dem Horst nicht gehen. Der Kellermeister
hat Recht, wir müssen uns nach einem Anderen umsehen.“

In der hübschen altdeutschen Villa des Herrn Spurmann, welche am

Eingange des Seitenthals in einem schönen Garten mit alten Bäum en
bewirthete Marianne den Vater und den Gast. Durch die runden B l ^
scheiben des Speisezimmers fiel ein gemilderter Sonnenstrahl auf die " ^
gedeckte kleine Tafel des schweren Eichenholztisches, schien in die g lL1
Römer hinein und blinkte von den Gedecken zurück. Die weisst» ^
Teller mit den Zwiebelmustern, von derHand des schönen, hochgewachs eI
blonden Mädchens mit der Suppe gefüllt, schienen ebenso vom traim ^ ^
Lichte des Raumes farbig gedämpft wie die Gestalt der lieblichen W n
selbst. Herr Miiller erzählte harmlos von seinen Reisen und mach te ^
einer unauffälligen Weise, mit der Zurückhaltung und Sicherheit

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,

Weltmannes, der Tochter seines Chefs den Hof. Er bediente sie mit
während sie ihm anmuthig den Fisch und Braten selber vorlegte un
bar liber seine Anekdoten und Erzählungen lächelte. Er sprach voU
Weinlese in Ungarn, berichtete, dass er in San Jono da Päsqueiva in

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tugal gewesen sei und dort die Portweinfabrikation studirt habe, w'°
Trauben noch von Männern zertreten werden und man den Most i n

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Fässern mit Cognac versetze, bis dieses Gemenge dann mit gedm 1

Wachholderbeeren gefärbt werde. Dennoch führe dieser Trank den



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echter und reiner Portwein und werde theuer bezahlt, wenn er di el
vier Jahre gelagert habe. Er erzählte diese Thatsache nicht ohn e
Absicht, dass Herr Spurmann sie auch vornehmen möchte, brach dann
schnell wieder ab von diesem Gegenstande und berichtete, dass neuei

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die Weine ihres eigenen Ilauses vielfach und mit Vorliebe von * ^
händlern als Verschnittweine zu besseren Italienerweinen mit staath e

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Genehmigung benützt würden. Er habe es in einer deutschen Stadt s e

gesehen, wie unter der Aufsicht eines Steuerbeamten Fässer mit italiem st

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Weinen durch Spurmann’sche Marken verbessert worden seien uno

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diese Verschnittweine wegen ihres feinen Aromas und ihrer bes s ^
Haltbarkeit sich einer grossen Beliebtheit erfreuten. Marianne hörte 1,1
ohne Stolz dieses Lob der väterlichen Weine, meinte aber doch, es ^
ihr besser gefallen, wenn die Leute ihre Weine nicht als Zusatz zu and £l
sondern in ihrer eigenen Schönheit tränken. ^

„Das sind nicht viele Auserwählte, sprach Herr Müller, die das kön n
Unser Haus bringt, wie Sie wissen, nur eine bestimmte Menge auf
Markt, die wir leider nicht vermehren können.“

Spurmann lächelte behaglich und strich seinen langen Bart, als eI
Anspielungen seines Reisenden merkte, er sagte aber nichts und na (

man gegessen hatte, zog er sich in sein Hinterzimmer zu einem

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schläfchen zurück, aus dem er zur KafTeezeit geweckt zu sein wün sC

Marianne und Müller waren nun allein. Der Reisende bot der .

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tochter den Arm, um mit ihr auf die Veranda hinauszutreten und aU

Balkontreppe in den Garten hinabzusteigen. Gelbe und blaue U 1 ^
hatten ihre lichten Kelche aufgethan; zarte, durchsichtige Prach ttLl11 ^

blühten auf den Beeten und ein leichter Hyacinthenduft stieg zu

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herauf, während an allen Sträuchern und Bäumen ein grünes P ef ,
geschmeide zu hängen schien; die herausperlenden grünen Frühling SK ^
an Flieder und Jasmin, am Rosengebüsch und an den alten Ahornbä 11’ 1

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Rüstern, Birken und Eichen des Gartens.

Man betrachtete erst gemeinsam die Tulpenbeete und die blüh el1 ^
Hyacinthenstengel; Marianne suchte besonders schön entwickelte Pfl al| gJ-
aus, um sie dem Gaste zu zeigen, der sich von ihr belehren liess, " L ^
behauptete, ein viel besserer Kenner der Blumen im Weine als der
des Gartens zu sein. Als Marianne ihn nöthigte, an einer besonders s c
entwickelten alabasterweissen Hyacinthe zu riechen, sagte er schelnliSo Cc)l
„Famose Marke! Chateau d’Yquem zum Mindesten, ja, ehef
Chateau Lafitte! Blume und Bouquet unübertrefflich!“ ^

Er hatte sich nach dem Boden gebückt und erhob sich wiedei- ^
selben Augenblicke fühlte er einen leichten Schlag auf seine Schul tel
hörte ein neckisches, urplötzlich hervorbrechendes: „O — Sie —-h f

Die stille, zurückhaltende, ruhig hoheitsvolle Marianne hatte sicl1
den Scherz vergessen und ihn leicht geschlagen. Müller erfasste
ihre Hand und sagte, indem er sie anschaute: , yi

„Sie müssen mir schon gestatten, diese entzückende kleme i n ^
küssen, Fräulein Marianne, deren geheimnissvolle Kraft ich soeb e11
ersten Male erprobt habe.“ ^iit'

„Sie sind aber auch zu arg“, sagte das Mädchen, indem es ih 111’

halb widerstrebend, die Hand zum Kusse überliess.

[Fortsetzung
 
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