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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [3]: ein humoristischer Roman
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Roderich, Albert: Gedankensplitter
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0136

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40

MODERNE KUNST.

Von der Wiese nach Amalienruh, in sausendem Galopp, schweigend.
Er war sehr erhitzt. Nur vom Mähen? Frau Amalie hatte sich fortwährend
abgemüht, die alte Reisedecke über seinen Knien festzuhalten, damit er
sich nicht erkälte. Kein Blick von ihm hatte es ihr gelohnt. Nur einmal,
da ihr Haupt dem seinigen nahekommen war.“

„Heiliges Milliarden!“ hatte er geschrieen. „Wenn ich Dir’s doch
sage, dass es nicht geht! Denn, wenn ..."

Seine Lippen hatten sich plötzlich geschlossen, die Peitsche war her-
niedergesaust, — Galopp, Steinregen, Schweigen. Er brachte es nicht
über sich; sein harter Sinn liess es nicht zu.

Auf Amalienruh Revision aller Ställe und Speicher, Abschreiten sämmt-
licher Felder, endlose Conferenzen mit derti Phildoctor über Kleinigkeiten,
die schon tausend mal besprochen waren. Dann wieder Galopp, Stein-
regen, Schweigen.

Als der Einspänner vor der Thür von Rochollshof hielt, war es bereits
dunkel geworden. Herr von Rocholl sprang zur Erde herab, warf einem
herbeigeeilten Knechte die Zügel zu und bot Frau Amalie die Hand zum
Aussteigen. Diese Hand brannte wie Feuer.

Dann standen sie sich für einen Moment gegenüber. Otti’s Vater und
Otti’s Mutter, und etwas wie Mitleid mit ihm kam über sie, da sie in sein
schwärzliches, zuekendes Gesicht sah.

„Oh Winand“, stammelte sie, „sei gut zu ihr, sei gut!“

Er liess ihre Hand los.

„Ich bin gut! Aber bei Gott, Amalie, es ist unmöglich! Denn, wenn —
Was giebt’s zum Abendbrot?“

„Graupensuppe mit Pflaumen!“ antwortete sie erstickt.

„Bring’ mir einen Teller davon auf mein Zimmer!“

Er wandte sich schroff herum und stieg mit schweren Schritten die
Treppe hinauf. Frau Amalie starrte ihm fassungslos nach.

„Winand!“ rief sie endlich, da seine Gestalt in der Thür verschwand.
„Du willst nicht mit uns zusammen essen? Und Otti . . .?

„Auf mein Zimmer!“ klang es rauh zurück. „Und ein Stück Brot!“

Frau Amalie senkte traurig das Haupt. Er hatte kein Mitleid mit ihr
und mit den Kindern. Sein Herz war von Stein. Er war ein Barbar.

Als sie eine halbe Stunde später bei ihm eintrat, eine Tablette mit
der Graupensuppe, dem Stück Brot und einen Löffel in der einen Hand,
in der anderen eine Serviette und unter dieser Serviette etwas Rundes,
geheimnissvoll Verstecktes tragend, lag er auf dem alten, harten Leder-
sopha lang ausgestreckt, dem Zimmer den Rticken kehrend. Er drehte
sich auch nicht um, während sie das frugale Abendbrot auf dem Tische
ordnete, den Löffel rechts, das Stück Brod links und den Teller in der
Mitte, während sie aus der Serviette eine hohle Pyramide formte und in
dieselbe das Runde geheimnissvoll versteckte, so dass er es erst beim
Fortnehmen der Serviette zu finden vermochte.

Dann ging sie geräuschlos zur Thür zurück und erst, als sie diese^ e
geöffnet hatte, sagte sie laut: „Winand, die Suppe ist da!“

Im nächsten Augenblicke war sie draussen und stand Otti gegenübU'
die mit blassem Gesicht ihre Hände über der Brust gefaltet hielt, als woH L
sie selbst das leise Geräusch ihres Herzschlages ersticken.

„Nun, Mama?“ flüsterte sie athemlos.

„Er schläft!“ gab Frau von Rocholl ebenso zurück. „Oder er tb llt

nur so! Er thut es immer, wenn er nicht reden will! Er hat es desh« 1^

auch nicht gemerkt, dass ich das Tellerchen mit den Erdbeeren und de'”
Zucker unter die Serviette stellte. Ich hätte sie sonst wieder mitnehm el1
müssen, da er will, dass sie verkauft werden. Wenn er nur nicht bös e

darüber wird! Oh, Otti, musst Du wirklich heute noch zu ihm gehen?“

Otti’s Gesicht wurde noch blasser und ihre Hände drückten sich no^ 1
fester in einander.

„Heute noch Mama! Morgen muss ich zur Stadt zurück. Und we* 111
Erich erfährt, dass ich hier war und nichts ausgerichtet habe, — und cl
wird es sicher erfahren; denn ich kann ihm nichts verheimlichen! — s°
wird der Bruch mit Papa noch schlimmer. Erich ist so stolz! Er sag f>
ein Richter dtirfe von Niemand ungestraft verletzt werden! Und da F’b
seine Frau bin, so . . .“

Sie wandte sich ab und Frau Amalie sah, wie ihre zarten Schulte 1* 1
zuckten.

„Weine nicht, Kind!“ sagte sie leise und zog Otti an sich, um ihr di e
schmalen Wangen mit ihren arbeitsharten Fingern zu streicheln. „Es Wü’^
ja alles noch gut werden. Und Papa wird . . . wenn er nur die Erdbeere 11
isst! Wenn er sie nur nicht stehen lässt! Denn, Otti, davon hängt all eS
ab! Er hat in diesem Jahre noch keine gegessen, wir haben sie alle aU
den Markt geschickt. Und er isst sie doch so gern! Leidenschaftliob-
Nichts isst er lieber! Und sie machen ihn so nachgiebig, fast weich-
Glaubst Du denn, dass Leo im vorigen Sommer das Kattunkleid bekomm el1
hätte, wenn ich Papa nicht Erdbeeren mit Zucker . . .?“

Sie vollendete nicht. Das Sopha drinnen hatte geknarrt und zW el
Füsse hatten sich schwer auf die Diele gestellt. Gleich darauf tön te
Winand’s Stimme zornig auf den Corridor hinaus.

„Zum Henker, was ist das wieder für einUnsinn! Mir Erdbeeren voi'
zusetzen und gleich von den besten! Als wenn das Geld hier nur so 111
Haufen umherläge! — Amalie! Zum Donner, Amalie!“

Seine Schritte näherten sich der Thür, und Otti zog ihre Mutte 1
angstvoll in eine dunkle Nische des Corridors.

„Er wird hierher kommen, Mama, und sie zurückbringen!“

„Dann wäre alles verloren!“ seufzte Frau Amalie, um dann erwartung 5'
voll aufzuhorchen und hoffnungsvoll zu lächeln. Die Schritte waren nicb 1
bis zur Thtir gelangt, sie waren wohl in der Mitte des Zimmers stehe”
geblieben, zögernd, als ob sie sich nicht entschliessen könnten, sich vort
den Erdbeeren zu entfernen. [Fortsstzang foigt.]

edankensplitter.

Von Alb. Roderich.

■*—>'--v

7ic Ihr beschcid'nes Gliick ertrugt,

Gebt Acht, scheint Euch ein grösseres zu winken!
Wo man bei Ebbe Muscheln sucht,

Da kann man bei der Fluth ertrinken.

Jchön ist Deine Braut, doch wie konnt’ es gescheh’n,
Dass Du all’ ihre Fehler hast überseh’n?“

Drauf hat still ergeben mein Freund gesprochen:
„Sie hat mir in die Augen gestochen!“

[(llzubang sucht kein Gescheidter
Zu vermeiden jedes Wagen;

Man kann einen Blitzableiter
Doch nicht in der Tasche tragen.

u zogst allein, das Herz voll Sehnsucht, aus,
Die ganze Welt war Dir ein ödes Haus;
Daheim ein Herz, das treu sich Dir gesellt,
Dein klei'nes Haus ist eine ganze Welt.

7as Leid erst zeigt, das Ihr durch sie empfunden,
Ob treue Lieb’ zu treuer Lieb’ gesellt;

Der Nagel muss sie beide erst verwunden,
Wenn er zwei Dinge fest zusammenhält.

*

_ler danach nur sein Werk begann,

0 Wie’s seine Bekannte ihm rathen,
Der zieht sich Gummischuhe an,
Um durch einen See zu waten.
 
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