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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Liman, Paul: Carnevals-Stimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0292

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203

nsere

ilder.

YX/o wir den Ursprung der Liebesmähler zu suchen haben, ob in dem zwang-
losen, primitiv einfachen Rauchcollegium Friedrich Wilhelm’s I., ob in der
Tafelrunde der Ritter vom heiligen Gral, ob vielleicht sogar in dem Liebesmahl
der Apostel — immer waren die Theilnehmer streitbare Herren, die nach den
Mühen des Tages Erholung und neue Kräftigung suchten im engeren Zusammen-
schluss an gleich gesinnte Kameraden und Kampfgenossen. Und zu allen Zeiten
träufelte die Rebe ihr belebendes Blut in die Herzen der Versammelten, bald
sie zum Ausharren im Kampfe um die höchsten Ideale des Menschthums be-
geisternd, bald, wie es uns das „Liebesmahl“ von R. Warthmüller zeigt, mit
heiterem Humor das trockene Einerlei des Friedenslebens würzend.

Auch das haben diese Liebesmähler unserer modernen Söhne des Mars
mit jenen einer längst verrauschten Vergangenheit gemein, dass trotz der an-
scheinenden Hinweisung in ihrem Namen Liebe und Weib von ihnen verbannt
sind — ein Zug, der vorwiegend den herben, reckenhaften Charakter des Nordens
kennzeichnet, während für den feurigeren, leichtlebigeren Süden kein Fest, kein
Genuss ohne das Weib vollkommen ist. Dem wenig zu hartem Kampfe mit
einer spröden, kargen Natur geschaffenen Südländer ist das Weib eben an und
fiir sich ein Fest, ein Genuss. Weniger ihr zarter feinfühlender Sinn und ihre
Eigenschaft als Hüterin der heiligen Heerdflamme lässt ihn ihre Gemeinschaft
suchen, als die heisse, wechselvolle Gluth ihres Naturells, der berückende Zauber
ihrer Grazie. So ist der Tanz eine Hauptbeschäftigung der Frauen des Südens
geworden, von den naturwüchsigen, wild bewegten Volkstänzen der Neger an

gerechnet bis zu den Ghawagis der verschwiegenen arabischen Harems, den
Beiramstänzerinnen der Kabylen und den civilisirteren Nationaltänzen der Spanier.
Und nur das Weib tanzt hier, allein, ohne Führung des Mannes; wie es auch
J. Slovera in seiner „Tarantella“ schildert. Begleitet von Castagnetten, Tam-
burin und Guitarren singen die im Kreise herumsitzenden Zuschauer die seltsam
monotone, schleppende, fast schluchzende Melodie, die sich mählig und mählig
steigert und schneller wird, bis zu einem rasenden, bacchantischen Taumel.
Mit ihr werden auch die Bewegungen der Tänzerin feuriger und lebhafter, ihre
Augen glühen heisser, und ihre Füsse drehen sich flinker und leichter. Immcr
aber ist sie graciös, in jeder Linie ihres Körpers von einer fascinirenden, wunder-
bar edlen Formengebung; unbewusst den intimsten Gesetzen plastischer Dar-
stellungskunst gehorchend. Das instinctive Schönheitsgefühl in ihr hat die Natur
zur Kunst geadelt, und der Tanz ist in dieser Form zum Ausdruck des Gc-
dankens, zur Verkörperung des Liedes und des Gesanges geworden.

Tanz und Gesang drücken natürliche Empfindungen aus, die allen Menschen,
seien sie in ihren Culturbedingungen und ihrer Entwickelung auch noch so ver-
schieden, gemeinsam sind. Aber während der Tanz sich mehr aus nationaler
Sonderheit herausbildet und seine Formen dieser Eigenart angepasst hat, ist der
Gesang in seinen Grundzügen zur internationalen Sprache geworden. Unver-
änderlich sind die Elemente, in denen sich diese Sprache bewegt, und darum
hat C. Kiesel in seinem Gemälde „Der Gesang“ es mit Recht vermieden, seiner
Idealgestalt ein specifisch nationales Gepräge zu geben.

Von Paul Liman.

^^^ierzig Tage soll nach den Bestimmungen der katholischen Kirche der gläubige
Christ fasten und sich bereiten auf die Mysterien der Osterzeit; wenn der
Morgen des Aschermittwochs zu grauen beginnt, dann soll er bussfertig seiner
Sünden gedenken, sich des Fleisches enthalten und die Freuden dieser Welt mit
der Miene eines Asketen betrachten. Das ist schwer, sehr schwer, und so hat
denn die alte Kirche, die den Weg zum Paradiese nicht allzusehr erschweren
wollte, der Zeit der Kasteiung eine Zeit der üppigsten Lebensfreude, des fröh-
lichsten Geniessens vorangestellt. Das ist psychologisch gar fein ersonnen, denn
niemals erscheint das Dasein grauer, niemals ist man besser bereitet, Ascher-
mittwochsstimmung zu empfinden, als wenn man durch lange Nächte geschwärmt,
an vollen Tischen gesessen, von blühenden Lippen genascht und aus spitzen
Gläsern oder breitbauchigen Humpen gezecht hat. Nicht Gerüchte, sondern
päpstliche Verordnungen, die einst sogar besondere„Pfaffenfastabende“ bestimmten,
geben uns Kunde davon, dass die Kirche auch die Busspredigt für überzeugter
und wirkungsvoller hielt, wenn der Kanzelredner vorher am eigenen Leibe er-
probte, dass in allen Blüthen dieses Jammerthals ein kleiner, ärgerlicher Wurm
sich rege.

Dort wo man am Strengsten fastet, ist darum auch der Carneval die Zeit
der tollsten Ausgelassenheit. In den Städten des Mittelalters gab es noch fröh-
liche Feste, bei denen sich Jung und Alt, Arm und Reich zusammenfanden, um
des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu geniessen, heute spielen unsere Töchter
seufzend den „Carneval von Venedig“ und wir selbst blicken voll Sehnsucht in
Goethe's Beschreibungen der römischen Festzeit, dann hüllen wir den Hals in den
steifen Vatermörder und den müden Leib in den Frack, lassen den Claque auf-
springen und gehen zu Geheimraths auf den Familienball oder zur Redoute im
Saale des Stadttheaters. Uebrigens haben wohl auch unsere wackeren Vor-
fahren den Carneval nie ganz mit der Grazie gefeiert, wie die Bewohner der
Wasserstadt am Lido und die Nachkommen des Romulus; sie warfen sich nicht
mit Blumen und Confect, sondern gestalteten ihre Genüsse so, dass die beiden
Hauptfesttage die vielsagenden Namen „schmalziger Sonntag“ und „Frassmontag“
erhielten. Schweres Essen, ein reichlicher Umtrunk, dazu die derben Spässe von
Hans Folz und Rosenblüth: das gab die natürliche Stimmung für eine lange,
kaum durch den Hering gemilderte Fastenzeit. Nur im Westen, wo der goldene
Wein die Gemüther Iröhlicher stimmt und die Menschen zutraulicher macht,
feiert man auch heute noch den rechten Carneval.

% *

*

Und doch ist sie schön, die lustige Faschingszeit, und sie war auch damals
schön, als der Grossvater die Grossmutter nahm und sie im zierlichen Schritt
des Rococo heimführte, als man die Courante und Povane, die Trenise und das
Menuet tanzte und der Frohsinn im steten Bunde mit der Anmuth stand.
Antoine Watteau hat uns diese Tage geschildert, da eitel Liebe und Lust,
heiteres Spiel und selige Träume, Bchagen und Geniessen herrschten und auch

im Jubel des Carnevals
an jenen Tagen, an den
tuetten den Schloss-
park schmücken,
an den arkadischen
Schwärmern, am
Pierrot und seiner
Columbine, an den
glatten geschniegel-
ten Cavalieren, und
an den eleganten

die Grazie nicht verloren ging. Es haftet etwas Puder
Anlagen und Bäumen wie an den Göttinnen, deren Sta-

. . • •


iäff

4:


Ballvorbereitungen im Chambre garni.

Originalzcichnung von Fritz Gehrke,
 
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