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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [9]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0457

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em.


Roman von Wolfgang Kirchbach.

[Fortsetzung;.] 1

— Rüdig, der stille Herr Rüdig! Der hat also geklatscht!“ rief Horst
mit wildem Lachen. Nun, da weiss ich wenigstens, woran ich bin.
Was er aber über meine Winzerei sagt, das werde ich ihm schon ein-
zuträhken wissen. Im Uebrigen aber ist es mir ganz einerlei, ob ich Ihren
verfaulten Stöcken geschadet habe oder nicht.“

„Sind Sie toll geworden?!“ frug Spurmann, der keine Ahnung hatte
von den heimlichen Weinorgien, welche sein Winzer feierte. „Wollen Sie
mir hier eine verrückte Comödie vorspielen, um sich als unzurechnungs-
fähig hinzustellen.“

„Ich habe mich nicht dazu gedrängt, ich habe mich nicht angeboten,
ich weiss, dass ich dazu nicht tauge, so etwas zu überwachen. Es ist Ihre
eigene Schuld, Sie hätten sich andere Leute suchen sollen!“

„Sie werden augenblicklich Ihre Sachen zusammenpacken und machen,
dass Sie fortkommen. Aus meinen Diensten sind Sie entlassen. Morgen
früh verlassen Sie meinen Grund und Boden; ordnen Sie unterdessen,
was Sie zu ordnen haben.“

Horst blickte den Chef erst eine Weile wie starr und abwesend an.
Dann aber steckte er die Hände in die Hosentaschen, zuckte verächtlich
mit den Achseln und sagte:

„Sie wollen mich entlassen?! Ja, schau! Wenn Sie es nur könnten!
Aber was soll denn werden, wenn die Kunden erfahren, dass Sie heuer
keine Trauben haben und deshalb mich fortjagten?“

Spurmann war wieder für einen Augenblick verstummt. Dann aber
brach der verhaltene Zorn von Neuem los, er riss die Thüre auf, wies
Horst mit dem Finger hinaus und rief:

„Machen Sie augenblicklich, dass Sie hier hinauskommen; ich mag
mit so einem Schuft nichts mehr zu thun haben. Marsch!“

Horst ging aufgerichtet, die Hände in den Hosen, höhnisch lachend
aus dem Zimmer, während der alte Herr, übermannt vor Aufregung, in
ein Sopha zurücksank und sorgenvoll über die nächste Zukunft seines
Hauses brütete.

Horst stieg nach dem Berge hinauf. Er wusste sich heimlich einen
Krug Wein zu verschaffen und stahl sich mit diesem nach der Höhle hin-
auf, in der er schon so manche schöne Stunde heimlich verschwelgt hatte.

Erst trank er wieder scharf darauf los, um sich zu betäuben. Dann
aber begannen die Rachegedanken in ihm zu kreisen. Rüdig also war es,
der ihn verrathen hatte, und woher konnte Rüdig die Kunde haben, wie
es im Inneren der Spurmann’schen Berge aussah? Von Martha, von seiner
schönen Schwägerin mit den heimlichen Augen musste er es erfahren haben,
von ihr, die ja selbst mit ihm im Berge gewesen war. Wie in der Raserei
des Wahnsinns wand Horst sich in seiner Höhle auf dem Boden herum.

Plötzlich lag er still. Ein Racheeinfall war ihm gekommen, der
alles übertraf, was seiner empörten Seele vorgeschwebt hatte. War denn
nicht der Rüdig’sche Weinberg das Eigenthum der Schwestern? War er
nicht auch Eigenthum der Verrätherin? Und wenn man ihn hier schnöde
aus dem Dienst jagte, konnte er den Rüdig’s zum Lohne nicht ein An-
denken hinterlassen, an dem sie bis an ihr Lebensende zu kauen haben
würden?! Bei Nacht und Nebel konnte man es ausführen, man konnte die
Zerstörung, die Krankheit zu Rüdig’s übertragen; man konnte ihren ganzen
Weinberg vergiften.

Beängstigt von diesen Vorstellungen, sprang Horst endlich auf und
suchte sich Luft zu schaffen. Er machte sich auf nach dem Walde oben
hinter den Weinanlagen und irrte, halb im Taumel, halb von verzweifelten
Vorstellungen geplagt, umher. Erst als die Nacht hereinbrach, fand er
sich wieder in der Nähe des Spurmann’schen Gebietes ein, um hier auf
einem sicheren Beobachterposten seine Zeit zu erwarten.

Aus dem Rüdig’schen Garten hörte er einen hellen Gesang, der
träumerisch in den Abend verklang. Dort sass Rüdig neben seiner Frau
am Tische unter dem Birnbaum; Anna lag in den Arm ihres Mannes
zurückgelehnt; Martha und die Kinder sassen ihnen gegenüber und sangen
dreistimmig ein Winzerlied.

-- [Nachdruck verboten.l

Dunkler senkte sich die Nacht nieder; der holde Gesang verstummtei
Martha mochte wohl mit den Kindern in’s Haus gegangen sein, um sie
zu Bett zu schaffen.

Bei Rüdig’s war es ganz dunkel geworden.

Da endlich stahl Horst sich von seinem Wachtposten weg und stieg
vorsichtig hinunter in den Spurmann’schen Berg.

Angekommen an dem verhängnissvollen Orte, begann er sogleichi
mit stillem, jähen Eifer die Erde an den Wurzeln auszugraben, heraus-
zuschaufeln und in den Korb zu verladen. Dann zog er seine Stiefel und
Strümpfe ab, um barfuss mit seinem Korbe in das Grundstück def
Schwestern hineinzusteigen. Eine Weile suchte er hin und her und kroch
endlich, um nicht von irgend einem Wachenden bemerkt zu werden, J®
die Mitte des Berges hinein. Hier begann er auf dem Boden tappend
und im Dunklen spähend, sich einige von den Senkgruben auszusuchen,
die nur erst zur Hälfte ausgefüllt waren und aus denen die jungen Reben
herausstachen. In diese Gruben schüttete er seinen Korb aus. —

Der Morgen kam kühl und schauernd über die Berge herauf. Uebef
Nacht war der Herbst schon weiter vorgerückt, ein Nachtreif war gefalleni
der wilde Wein um die kleine Laube bei Rüdig’s war schon blutroth g e"
worden; im Walde oben schimmerten die Blätter goldig und fahl und
begannen allmählich abzufallen. Es war gegen Morgen ein Schwarm von
hungrigen Krähen in Rüdig’s Berg eingefallen.

Da war es wohl Zeit, das Hüten fester in die Hand zu nehmen. Di e
Kinder mussten heraus und nahmen ihre Knarrklappern, mit denen sie
durch den Berg laufen mussten. Rüdig aber lud seine alte Donnerbüchsei
stieg in den Berg hinab und gab mehrere Schüsse ab.

Eben hatte er dies mit den Kindern vollbracht, als sein Knabe
gelaufen kam und sagte: „Vater, es ist Einer bei Nacht über die Spur-
hacke gegangen. Wir sind’s nicht gewesen. Es ist auch ein gan z
grosser Fuss.“

„Wo denn?!“ frug Rüdig verwundert.

Die Kinder zeigten ihm die Stellen im Berge, wo Einer barfuss auf
dem leicht gelockerten Boden hingelaufen war. Rüdig folgte den Spuren,
fand aber nicht, dass man ihm Trauben geraubt hatte. Nur an einigen
Stellen sah er frische Erde, er zerbrach sich den Kopf darüber, was das
bedeuten könnte.

Sechstes Kapitel.

Als Horst das Geschäftszimmer des Herrn Spurmann so jählings ver-
lassen hatte, war der Chef in sorgenvollen und trüben Erwägungen lang e
allein geblieben. Er schloss sich ein und ging seine Geschäftsbücher
durch, um zu übersehen, welcher Schaden für ihn aus dem Verlust der
Weinernte dieses Jahres erwachsen musste. Zwar isi den Kellern lagerte
noch manches schöne Capital in Gestalt von älteren und besseren Weinem

Da Müller und ein anderer Reisender indessen es verstanden hatten,
die Aussicht auf die Zukunft sehr zu beleben, indem sie gerade in diesem
Sommer ausserordentlich viel Bestellungen erreicht hatten, so war das
Conto für Anschaffung von Fässern und Geräthschaften ebenso gewachsen,
wie die Bewirthschaftung der Weinberge erhöhte Summen in Anspruch nahm-

Es herrschte eine ausserordentliche Nachfrage nach den Weinen def
Handlung. Das drohende Deficit war beseitigt, war in einen beträchtlichen
Gewinn umgewandelt, wenn das laufende Jahr die erhoffte reiche Wein*
ernte brachte.

Je mehr Spurmann sich in seine Bücher vertiefte, desto bedrohlichef
gestaltete sich das Bild für sein Geschäft. Es gab nur ein Mittel. Stan
eigene Trauben zu pressen, musste man fremde Trauben aufkaufen.

In schweren Sorgen verliess der Geschäftsherr gegen Abend sei°
Comptoir; er war zerstreut und verwirrt, als Marianne ihm das Abendbr ot
vorlegte.

Unruhig frug er, ob der Winzermeister Horst schon das Anwes en
verlassen habe. Man theilte ihm mit, dass er mit dem Packen sein et
 
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