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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Metzsch-Schilbach, Christine Marie; Metzsch-Schilbach, Wolf von: Die Marquesita
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Ewers, Ludwig: Lübeck
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0303

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212

MODERNE KUNST.

„’s ist ein liebes Geschöpfchen, die kleine Anita, und sie scheint auch
Ihnen zu gefallen, Senor Espada,“ wandte sich Don Ramon an den neben
ihm Stehenden. Der Angeredete wurde ganz verwirrt.

„Nun, dä wäre doch nichts Arges dabei, wenn man sich prima vista
in ein so niedliches Lärvchen verliebt,“ fuhr der Marques wohlwollend,
ohne eine Antwort 'abzuwarten, fort, „weiss nicht, ob mir’s an Eurer Stelle
anders ergangen wäre, und sieggewohnt, wie Ihr von der Arena nun
einmal seid, warum solltet Ihr Euch nicht auch im Sturme ein Herzchen
erobern. ’s ist fast alles im Leben Glücksspiel, und nun gar erst in der
Liebe.“

Die Güte des alten Herrn und der freundliche Ton, in dem er zu
Rios sprach, gab dem jungen Espada zu einer offenherzigen Antwort
den Muth.

„Ihr Bild verfolgte mich heute den ganzen Tag, seit ich sie an der
Puerta del Sol zuerst gesehen.“

„Ja, ja, hab’s oft gesagt, die kleine Anita wird sich uns noch einmal
in einen der schmucken Toreros vergucken, und dann wird sie für uns
verloren sein. Da ist keine Corrida, die sie versäumt, und alle Toreros
in ganz Spanien, glaub’ ich, kennt sie mit Namen.“

„Sie war gewiss auch heute im Circo?“ frug Rios in freudiger Erregung.

„Ich wollt’s meinen, das hätte sich unsere Anita wohl nicht nehmen
lassen.“

Hatte der Wein bei den jungen Leuten die Lebenslust und Freudigkeit
geweckt, bei dem gereiften Manne liess er eine andere Saite seines inneren
Denkens und Fühlens erklingen, die des Wohlwollens und der Freude am
Glück der Jugend.

Liebe Erinnerungen traten ihm mit verklärter Deutlichkeit vor die Seele.
Er gedachte seiner eigenen, romantischen Liebesgeschichte; inmitten eines
rauschenden Ballfestes hatte er sich während einer Quadrilla vor fast dreissig
Jahren der jungen, gefeierten Condesina erklärt.

Als er sich damals das Ja für’s Leben erfragte, gerieth er freilich mit
den Regeln des Tanzes in Zwiespalt, woher es denn auch kam, dass die
erste Anrede, welche nach den leise gehauchten, beglückenden Worten
des Einverständnisses an ihn gerichtet wurden, in schreiendem Widerspruch
zu seiner inneren Ueberzeugung stand.

„Aber, Marques, jetzt haben Sie eine Dummheit gemacht,“ hatte an
jenem Abend die Dame seines vis-ä-vis ihm mit dem Fächer drohend
zugerufen. — Lächelnd blickte er bei diesen Gedanken nach der Mitte des
Patio, wo in Person des jungen Herzogs von Medina der Sohn dieser
falschen Unglücksprophetin mit demselben fröhlichen Lächeln vor seinen
leiblichen Augen stand.

„Ja, ’s ist ein Hazardspiel, die Liebe,“ fasste Don Ramon das Resultat
seiner Jugenderinnerungen zusammen, indem er sich wieder an den jungen

Torero wandte, „und ich weiss nicht, vielleicht wäre es ein gutes W er^’
wenn ich bei unserer Kleinen da oben ein Wort für Euch einlegte. ^ 1
gefallt mir Senor Rios, und ich bin überzeugt, sie würde Euch beglü c' veI1’
wenn sie Euch lieben lernt.“

Mit leidenschaftlicher Bewegung ergriff Ricardo die Hand seio e
Gönners.

f/<

„O, wenn Sie das thun wollten, es würde mich überglücklich mach e11'

„Nun denn, es sei!“ Unbemerkt von der Gesellschaft stiegen sie
schmale Treppe zur Gallerie empor. Ricardo wusste nicht, wie ihm » e
schah, stürmisch klopfte sein Herz, wie damals er zum ersten Mal in sem er
Vaterstadt Granada die plaza de Tores betreten. So unbestimmt zwisch eI1
jubelnder Freude und leichtem Bangen schwebte auch an jenem
seine Seele.

Als sie die letzten Stufen erstiegen, kam ihnen mit der Frage, w
der Marques befehle, Anita entgegen.

„Ich komme nicht mit einem Befehle, diesmal sollst Du zu befehl efl
haben. Ich komme, Dich zu fragen, ob Du wohl diesem jungen Esp a^ aJ.
Seiior Rios, Deine Hand reichen möchtest? Er gestand mir eben, wie Dü aU
ihn heute früh beim ersten Sehen einen so tiefen Eindruck gemacht hätte st>
wie er in dem Gedanken an Dich heute in der Hauptstadt sein Glück h e
gründet. An Dir ist es nun, zu sagen, ob Du Seine Gefühle theilst url
ihm für’s Leben angehören willst.“

Anita war tief erröthet; in schüchterner Verwirrung stand sie einiS e
Augenblicke den Herren gegenüber, dann antwortete sie, wie es v£)l1
Rechtswegen sein soll, nicht mit dem Verstande, denn zum Nachdenk eJl
fand sie keine Zeit, sondern der Stimme ihres Herzens folgend, mit ein efl1
vertrauensvollen „Ja“. Ihr einziges Bedenken war nur, dass der Seh° r
Espada mit einem so armen, einfachen Mädchen, wie sie es sei, sich wol^
genügen lassen.

„Nun, wenn es Euch jemals an etwas fehlen sollte,“ wandte der Marq ue5
ein, „so werde ich mich jederzeit daran erinnern, eine wie treue un
willige Dienerin Du uns gewesen bist. — Möge Euch das Glück auch fet ueI
hold sein, wie es Euch bis jetzt begünstigt hat.“

Wir sind es der Wahrheit schuldig, dass trotz aller Leidenschaft b e
Anitas Worten dem Espada eine innere Stimme just dasselbe sagte, ^
dereinst jene Dame im Ballsaal sich gegenüber dem Marques als J UI1^
verlobten geäussert; aber es blieb auch nur ein flüchtiger Gedanke, Ul1
er kam ihm niemals wieder während seiner langen, glücklichen Ehe.

Der Espada hatte eine kurze Zeit seine kleine Anita für die TocW er
des Marques gehalten und dies blieb das einzige Geheimniss, das Rica r'
vor seinem Weibe bewahrt hat.


3Ei ü b e e k.

Von Ludwig Ewers.

er vom Bahnhof her das am Hafen liegende Holstenthor mit seinen
schweren runden Thürmen durchschreitet und Lübeck so vor sich
liegen sieht, der mag fühlen, dass der Boden ein im Laufe der Jahrhunderte
Stein auf Stein gefügtes Denkmal siebenhundertundfünfzigjähriger Ge-
schichte trägt, und zwar einer Geschichte voll gewaltiger Kämpfe um
Macht und Grösse, Einfluss und Ansehen, Freiheit und Recht, und um
Selbsterhaltung und Existenzberechtigung.

Dasselbe, was ihm die Hafenfront sagt, wird er erkennen, wenn er
die Anlage der Stadt betrachtet, vielleicht von der Höhe qines Thurmes
herab, von wo er in die für eine so alte Stadt immerhin bewundernswerth
geraden Strassen hineinblickt und ihren Lauf verfolgen kann. Da wird
er sehen, dass zunächst nur praktische, nur Rücksichten auf die Sicherheit
und den Verkehr vorgewaltet haben, als man den befestigten Markt Lübeck
auf die eiförmige hügelige Halbinsel zwischen der breiten Wacknitz und
der schmäleren aber stellenweise sehr tiefen Trave verlegte, nachdem er
zuvor an einer minder sicheren Stelle stromabwärts zerstört worden war.
Die Ausdehnung der Ansiedelung, ihre Entwickelung zur Stadt war in die

naturgemässen Grenzen eingezwängt und erfolgte nach einem sehr elU
fachen Plan. Die eine Hauptstrasse, die Breitestrasse, läuft über d e!l

r\l

Rücken des Hügels in einer etwas gebogenen Linie von Norden ua
Süden, die zweite Hauptstrasse, die Königstrasse, verläuft auf einem öst
lichen, tiefer gelegenen Niveau in gerader Richtung und mündet an bei^ el1
Enden in die erste Hauptstrasse aus. Die übrigen Strassenzüge g e^ eV
quer von Ost nach West ansteigend und abfallend, doch ist der Ab^* 1
nach der Travenseite zuweilen auffallend steil. Dass sie untereinand er
wieder durch kleine enge Querstrassen verbunden sind, versteht sich vo11
selbst, doch verlaufen auch diese Querstrassen stets in einer Fluchtl» 116'
Die wunderbare Regelmässigkeit der Anlage wird durch grössere 11 el
Plätze nicht beeinträchtigt.

Ihre Krone ist der Marktplatz, gleichsam das Herz der Stadt, h ie
reichen sich alte und neue Zeit scheinbar die Hände. An der Nordost eC
das Rathhaus, aus schwarzen, glasirten Ziegeln erbaut, ganz einfach uU
mit einer Reihe kleiner Thürmchen und darunter einer Reihe WapP e

• _.g JJ*

die abwechselnd die lübischen Farben und den lübischen Adler z el»
 
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