Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Malkowsky, Georg: Das moderne Weib, [4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0291

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
202

MODERNE KUNST.

FSää»

Ballvorbereitungen im Boudoir. Originalzeichnung von Henry Tenre.

W

)as moderne

e i b.

Von Georg Malkowsky.


Mit einer Originaizeichnung von Fritz Gehrke.

er alte Mathematiker Archimedes soll einmal gesagt haben: „Gebt mir
Ä einen festen Punkt ausserhalb des Weltalls, und ich will die Erde
Qy aus ihren Angeln heben.“ Die Verbindung der trockensten aller
Wissenschaften mit der Krone der Schöpfung, dem Weibe, mag auf den ersten
Blick ein wenig gezwungen und aller Grazie bar erscheinen, und doch. will uns
bediinken, als ob die exceptionelie Machtstellung des schöneren Geschlechts
innerhalb der modernen Gesellschaft nicht zum geringsten Theil auf seiner
viel bemängelten Position ausserhalb der socialen Rechtsordnung beruhte.

Die Stärke des Weibes offenbart sich am augenfälligsten in dem Kleinkriege,
in den Guerillascharmützeln, die es liefert, um sich seine rechtlich nicht an-
erkannte Machtsphäre zu erobern und zu sichern. Der Kampf der Geschlechter
gegen einander, der in der naturalistischen Literatur so verzweifelt ernsthaft
genommen wird, besteht, aber er wird noch immer am erfolgreichsten nicht mit
den schweren Waffen der socialen Agitation, sondern mit dem Galanteriedegen
der Koketterie, nicht mit volltönenden Reden, sondern mit leichtem Wort-
geplänkel geführt.

Der Satz von der Abhängigkeit des Mannes von seinen Verhältnissen schliesst
einen Doppelsinn in sich. Unter dem Wortspiel, das der. Verhältnissen das
Verhältniss unterschiebt, birgt sich ein tieferer Sinn. Der Mann schafft sich
durch ehrliche Arbeit seine Umgebung, den festen Boden, auf dem seine Existenz
ruht, sein Milieu. Dann aber tritt die Reaction ein. Däs Milieu gewinnt Macht
tiber ihn, es umschliesst und engt ihn ein, es beherrscht ihn durch die Haupt-
repräsentantin des Milieus, durch — das Weib.

Hunger und Liebe regieren noch heute die Welt. Bis zur Hungergrenze ist
das Weib die Gefährtin des Mannes, im gelobten Lande der Liebe wird es
seine Herrin. Dieses Doppelverhältniss der Geschlechter zu einander tritt viel-

leicht nirgends merklicher zu Tage, als im „Paradiese der Frauen“, in Frank-
reich, für den scharfsinnigen Beobachter ist es in der ganzen civilisirten Wck
im wesentlichen das gleiche. Der Mann bedarf der Gehülfin, so lange er um des
Lebens Nahrung und Nothdurft ringt. Hat er sich durch andauernde Arbeit da s
Recht aut Musse erworben, so wird ihm das Weib zum Luxus, und der Luxus
beherrscht den, der seiner bedarf.

Das Einzelgeschick liefert die Probe auf das theoretische Rechenexempek
Aus den niederen Schichten der Bevölkerung hatte er sich emporgearbeitet m 1*-
Anspannung aller Kräfte, in rastlosem Mühen. Seine erste Frau hatte ihm treu-
lich zur Seite gestanden, nur um ihn sich sorgend, sein Heim behaglich gestaltend
für die wenigen Stunden der Ruhe. Als er sich am Ziele seines Strebens saK
als der Wohlstand sich zum Reichthum gestaltete, starb sie, frühzeitig gealtei' 4
in einem Leben voll Arbeit und Sorge. Mit ihr versank hinter ihm die Vergangem
heit. Er blieb allein zurück in dem Milieu, das er sich mühsam geschaffen, neuen
Verhältnissen gegenüber als Fremdling. Allmählich und unmerklich gewinnt die
Umgebung Macht über ihn. Erkannsich gesellschaftlichen Anforderungen, die er
früher nicht gekannt, nicht entziehen. Sein Haus bedarf einer neuen Herrin, nicM
einer Verwalterin mehr, sondern eines glanzvollen Mittelpunktes. Hat er seine
zweite Ehe aus Liebe geschlossen? Vielleicht rechnete er auf eine weiche Hand.
die ihm in den Ruhepauscn über die heisse Stirn streicht und die Sorgenfalte 11
glättet. Im Reitkleide tritt sie in sein Arbeitszimmer. „Ich mache einen Spazie 1”'
ritt, der Reitknecht begleitet mich“. Der Blick des müden Mannes gleitet trübe
über die schlanke Gestalt der schönen Frau, die mit einem kurzen Grusse def
Thür zuschreitet.

Das selbstgeschaffene Milieu hat Gewalt über ihn gewonnen und mit ih 111
die Vertreterin dieses Milieu’s — das Weib.
 
Annotationen