Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Blumenreich, Franziska: Conversion
DOI Heft:
Unsere Bilder
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0417

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

3-> 8

Ganz allein stand sie hier, in der Nacht vor den von der Gasflamme matt
beglänzten Schienen. Die führten in die nächtliche Ferne, in eine Ferne, welcher
er nun schon zueilte, dem sie ihr Schicksal anvertraut. Er hatte sie verlassen,
kein Zweifel. Er konnte nicht anders, glaubte nicht anders zu können, und so
hatte er sich rasch entschlossen.

Eine grässliche Verzweiflung bemächtigte sich ihrer, ein Gefühl unsäglichen
Elends, in dem sie hilflos versank, wie in einer schwarzen, grundlosen Fluth.
Verlassen, schmählich verlassen! Wie ein Bann legte es sich über sie, sie ver-
mochte nichts zu denken als nur dies Eine: Schmählich verlassen.

Und auf einmal fiel ihr Anna Karenina ein, die sich auf die Schienen wirft,
unter einen Zug, um sich an dem Geliebten zu rächen, der kalt und gleichgüitig
gegen sie geworden ist. Das wollte sie auch thun. Ihr schien das gar nicht
schwer, sie empfand keine Todesfurcht. Ihr Wesen war wie aus den Angeln
gehoben. Nur rasch, nur rasch ein Ende — es muss ja bald wieder ein Zug
kommen. Diese Schande, diesen Jammer zu überleben, das war unmöglich.

• Eine ganze lange Weile — sie wusste selbst nicht wie lange, rannte sie
auf dcm Perron hin und her, denn sie wusste ja nicht, woher ein Zug käme.
Sie war wie eine Hypnotisirte, die den Stich nicht fühlt, den man in ihr Fleisch
führt. Nur Eines lebte in ihr: „Es ist zu Ende, ich muss auf die Schienen!“

Da taumelte der Mann mit der kleinen Laterne heraus, noch immer schlaf-
trunken.

Ilse fragte, ob ein Zug käme. Ja, ein Lastzug von dort, und er wies mit der
Hand die Richtung. Ilse lief in dieser Richtung die Schienen entlang. Der
Bahnwärter mochte glauben, dass sie sich nur die Zeit des Wartens vertriebe
und liess sie gewähren. Der Zug nach Berlin, den die Herrschaften ja benützen
wollten, kam erst früh 5 Uhr 7 Minuten.

Auch Anna Karenina hatte sich unter einen Lastzug geworfen, dachte Ilse.
Sie musste dem Zug entgegen gehen, sonst bemerkte man sie am Ende auf der
Station. Sie konnte in der Finsterniss kaum die Strecke unterscheiden, rutschte
aus, glitt halb auf die Böschung herab und fühlte mit den Händen langes, nasses
Gras. Ganz von ferne dröhnte der Zug. Fast wörtlich erinnerte sie sich der
Schilderung aus dem berühmten Romane Tolstois: „. . . Sie verwandte kein
Auge von den Rädern des herankommenden Waggons und genau in dem Augen-
blick, als der Mittelpunkt zwischen den Rädern vor ihr war, schleuderte sie den
rothen Reisesack von sich, fiel, den Kopf zwischen die Schultern ziehend auf die
Hände unter den Waggon und liess sich mit einer leichten Bewegung in die
Kniee sinken. In dem nämlichen Augenblick aber erschrak sie über das, was
sie gethan hatte und wollte sich wieder erheben, sich zurückwerfen, aber etwas
Ungeheures, Unerbittliches stiess sie vor den Kopf — packte sie beim Rücken —“.

Das stampfende, taktmässige Rollen kam heran und das grelle Licht der
Locomotive. Da war es — gleich würde alles vorbei sein. Ihr war Alles wie
ein Traum, sie zog den Kopf zwischen die Schultern wie Anna Karenina. Da
dröhnte die Locomotive heran — Ilse wollte sich erheben, glitt in dem nassen
Grase aus und kletterte mit einem Ruck die Böschung empor. Ueber ihrem

Kopfe polterte der Zug — sie stürzte — fiel, wurde herumgerissen, endlos donne> 1
der Zug an ihr vorbei ... ^

Während er drüben schon in die Station einfuhr mit schrillem Pfeifen, -
sie wieder in dem nassen Grase, aber zwei Arme pressten sie, und eine keuchen
Stimme schrie:

„Ilse, um Gotteswillen . . f

Es war Robert, der sie dem sicher&n Tode entrissen hatte. Nun hieh
sie fest. Barsch schrie er sie an:

„Wie kommst Du hierher?“

Offenbar glaubte er an eine Anwandlung von Geistesstörung. OhneaufH 11^
Antwort zu hören, schleppte er sie fast rücksichtslos, vor Aufregung zitter 11
nach der Station zurück. Und da waren sie wieder, wie auf einem ander eI1
Ufer, auf dem kleinen, finsteren Perron mit der flackernden Gasflamme.

Nun hielten sie sich fest umschlungen, wortlos beinahe vor Erregung.

Flüsternd gestand sie, dass sie hatte sterben wollcn, weil sie sich von
verlassen wähnte.

. Er wurde ganz wüthend. Wie hatte sie das glauben dürfen! Nie \vür
er sie verlassen, auch ohne Caution würden sie heirathen und glücklich se' n
Und nun lachten sie über alle ihre Angst, denn was Iag an dem dummen Geld e’
sie hatten ia einander.

7h“

Robert erklärte jetzt, wie er dem Stationschef nachgelaufen, der den r
abfertigte. Es gab hier keinen Nachtdienst, aber Robert hatte doch noch ellie

\W

Depesche an die Berliner Behörden absenden wollen. Und das Alles hatte

ein e

ganze Weile in Anspruch genommen. Man war in die Wohnung des Beani'
gegangen, die eine Treppe hoch im Stationsgebäude lag.

Ruhig, ja glücklich, kamen sie in den Wartesaal zurück. Die Tante,
ein wenig geschlafen hatte, glaubte, sie hätten ihre Geldtasche wieder. Sie na 1

ten

di e

abermals Kamillentropfen und klagte über Kälte. Robert schnallte den Pl al
riemen auf, der ihren Mantel enthielt und — da fiel etwas Schweres heraü 5'
Es war die Geldtasche, welche die Tante selbst, sie mit der Apotheke v’ er
wechselnd, in den Mantel gewickelt hatte, um höher zu liegen. Sie hatte d aS
aber nachher verschlafen.

Das junge Paar jauchzte auf, aber es lag doch ein tiefer, ernster Schafi e|1
auf ihrer Jugend.

Ihre Conversion war vollzogen.

Sie hatten den Ernst des Lebens begriffen, von dem sie bis heute eig eI1*
lich noch keine Ahnung gehabt. Ein einziger Blitz war, wie aus blauem
vor ihnen eingeschlagen und hatte ihnen die Abgründe enthüllt, an denen nP 11
so ahnungslos hinwandelt, täglich und stündlich.

Sie hatten einander tief in die Seele gesehen, und waren andere Mensch efl
geworden. Ja, in ihren eigenen Seelen hatten sie Abgründe entdeckt von 1,11
geahnter Tiefe . . .

Nun wussten sie, was es heisst, ein gemeinsames Schicksal tragen. l* 1^
Conversion war vollzogen.

\

nsere

ildei\

lllie anmuthigste Waffe der Coquetterie ist seit Jahrhunderten der Fächer,

Aufmerksam lauschend schauen die drei antiken Schönen auf A. Schneide 1"

und es war von jeher eine der lohnendsten Aufgaben der Kunst und des Bilde in das langsam herniedersinkende Abenddunkel hinaus. Auf der weis'

iSen

Kunstgewerbes, ihn geschmackvoll zu gestalten und auszustatten. Auf
der Strasse durch den bequemeren Sonnenschirm verdrängt, hat er sich im Salon
die unbedingte Alleinherrschaft zu sichern gewusst. Ja, er ist seit dem Empor-
kommen des ostasiatischen Stils ein viel begehrtes Decorationsstück geworden.
So lange er seinem Charakter als Luftfächler getreu bleibt, können die auf ihm
angebrachten Schildereien nicht Ieicht und luftig genug sein. Blumen, Schmetter-
linge und Amoretten bedecken am gefälligsten seine durchsichtige Spannfläche.
Wird er zu einem von seiner eigentlichen Bestimmung losgelösten Wandschmuck,
so ist der Maler in seiner Motivwahl durchaus unabhängig. G. Schöbel hat die
Fächermalerei seit langer Zeit als Specialität getrieben. Ein pinselnder Gnom
und sein elfenhaftes Modell durch ein harmloses Häschen erschreckt, das ist der
Stoff, den er dieses Mal gewählt. Das Ganze berührt wie ein im Salonton vor-
getragenes Märchen, wie eine poetische Causerie.

Auch „Hamida“, die arabische Schöne, die L. C. Müller malt, trägt in der
lässig im Schoosse ruhenden Hand den orientalischen Fächer, dessen sich fahnen-
förmig um einen Stab drehende Fläche ein gesticktes Blumenmuster schmückt.
Ihr gebräuntes, in seiner rein ovalen Form eigenartig anmuthiges Antlitz, aus
dem die leicht nach der Nasenwurzel geneigten Augen mit verschleiertem Glanze
herausleuchten, bedarf nicht des Sonnenschutzes, ihr ist der Fächer ein Kühlungs-
mittel fur den schlanken Hals, um den sich eine aus Perlen, Amuletten und
Münzen gebildete Kette schlingt.

Ueber eine sonnige Waldlichtung schreitet J. Koppay’s europäisch civilisirte
Schöne hin. Das runde Gesichtchen schaut aus dem jungen Blattgrün heraus.
Das eben flügge gewordene Dämchen fühlt sich sicher in der Waldeinsamkeit,
denn es weiss sich durch die Dogge, die es am Halsband führt, „treu bewacht“.

Marmorbank sitzend, wenden sie der spiegelnden Meeresfläche, auf der sich ver
einzelte Segel blähen, den Rücken zu. In das melodische Wellenrauschen hiü el
klingt aus den Büschen am Strande sanft klagend und dann hell aufjubelnd „^ e

IqS'

Gesang der Nachtigal“, ein Hymnus der Träumerei und des vom Denken 1
gelösten, in Empfindung aufgehenden Naturgenusses.

Aus der Ruhe harmloser Daseinsfreude heraus versetzt uns C. Laure 11
mitten in das Getriebe menschlicher Leidenschaft. Schmeichelnd ist der in ü 11 ^
Hoffnung auf Glück getäuschten Weltdame der Verführer genaht. Seine
ruht beschwörend auf'der ihren, sein heisser Athem streift ihre Wange. ^
taucht vor ihrem starren Blick schattenschaft das Bild des Gatten auf und cieS
einzigen Kindes. Wird das Gewissen sie abhalten von dem ersten Schritt vcl1
Wege, oder wird sie dem Lockrufe der Leidenschaft folgen? Es ist ein R*- 2

Kampf den sie kämpft, der Kampf der Pflicht mit dem Triebe des HerzenS'
Die Pflicht ist es, die in unserem Kriegsbilde die treuen Brandenburger

Kugelregen der Feinde entgegentreibt. Der Schlachtenmaler G. Koch hat z
Gegenstande seines Gemäldes einen Moment des Entscheidungskampf ßS
Vionville gewählt. Es galt die Franzosen vom Abmarsche nach Westen

d etl1
uü 1
b ei
biü

q\lt

zurückzuhalten und auf Metz zu drängen. Gegen eine vierfache Ueberm

° ° \oX*

musste gestritten werden. Die Brandenburger zeichneten sich neben der o

reichen Reiterbi igade v. Bredow besonders aus. Das 52. Regiment verloi ‘

& if m 8

seine sämmtlichen Officiere, die Fahne des ersten Bataillons wechselte eil

ihren Träger. Die Reihen geriethen in's Schwanken. Da ergriff Majoi

Schlippenbach die Fahne und stürmte hoch zu Ross seinen Füsilieren v

Von einer Kugel getroffen, brach auch er zusammen, aber der Zweck vvaI

reicht, die Franzosen waren gezwungen bei Metz Stand zu halten.
 
Annotationen