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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Wrangel, Carl Gustav: Die Kunst im Equipagen-Wesen: fahrsportliche Betrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0484

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Fahrsportliche Betrachtungen von Graf C. G. Wrangel.

»SJ^in bejahrter Feinschmecker behauptete einst, dass gut Essen und gut Trinken
als der einzige Genuss zu betrachten sei, der mit dem zunehmenden Alter
'' des Menschen keine Abschwächung, sondern eher eine Steigerung erfahre.
Dieser Brave war bestimmt kein Anhänger des Fahrsports. Hätte er doch sonst
hinzufügen müssen, dass Aehnliches von der Freude an einer in jeder Beziehung
gelungenen Equipage gesagt werden könne. Mit dem Reiten ist es bekanntlich
nach dem erreichten fünfzigsten Lebensjahr nichts Rechtes mehr. Reiten und
auf dem Pferde hocken sind eben zwei grundverschiedene Dinge. Fahrsport
dagegen kann selbst der Achtzigjährige noch mit Passion und Erfolg betreiben.
Fehlt ihm auch die physische Kraft es einem jüngeren Herrn am Kutschbock
gleich zu thun, in den vielen Einzelheiten, aus welchen das Gesammtbild einer
Equipage zusammengesetzt ist, wird er noch immer seine Meisterschaft zur vollen
Geltung bringen können.

England bildet auch hier eine Ausnahme. Will es für das Zügeln eines
Voll- oder Halbblutes garnicht mehr ganz reichen, so bleibt noch immer der
Ponny. Es mag für den alternden Sportsman eine Art von Entsagung bedeuten,
wenn er zum ersten Male in Hyde-Park bequem auf seinem Pferdchen einher-
trottet, aber die Aussicht auf den Kutschbock bleibt, und die ist schliesslich auch
nicht zu verachten.

Doch so wie es nicht Jedem, dem die Kostenfrage keine Schmerzen ver-
ursacht, gegeben ist, ein tadelloses Menu zu verfassen, braucht man auch für
die Zusammenstellung einer correcten Equipage mehr als eine Anweisung auf
so und so viele Tausend Mark. Ja, für Geld
ist sogar der Beifall der Gourmets leichter
zu haben, wie die Anerkennung der zumeist
sehr kritisch veranlagten Sportsmen. Hier in
Berlin giebt es z. B. mehrere Geschäfte, die
uns, wenn wir einmal etwas drauf gehen
lassen wollen, ein Diner in’s Haus stellen,
an dem selbst der blasirteste Commercien-
rath nichts auszusetzen haben wird. Man ver-
suche es aber nur von einem Pferdehändler,
und sei er auch firimzis inier fiares, die Liefe-
rung einer completten, mustergiltigen Equi-
page, Kutscher und Diener nrit einbegriffen,
zu veriangen. Ich fürchte, selbst der nnposan-
teste Check würde da keine Garantie gegen
unliebsameEnttäuschungen gewähren, denn die
in allen Einzelheiten gelungene Equipage ist
ein Kunstwerk, und zum Künstler muss man
geboren werden. Mit der blossen Pferde-,

Wagen- und Geschirrkenntniss reicht man im
vorhegenden Falle nicht aus. Fehlt es dem
Betreffenden an Schönheitssinn und an Gefühl
für Chic, kennt er nicht die ungeschriebenen
Gesetze, welche die Mode und die Etiquette
für das Equipagenwesen erlassen haben, so
bringt er auch beim besten Willen und mit
unverhältnissmässig hohen Kosten nur das
Zerrbild eines eleganten „iurn-out’s* heraus.

Dies erklärt, weshalb man in Berlin, wo
doch Gott sei Dank kein Mangel an Millionären
herrscht, so überaus selten eine Equipage zu
sehen bekommt, die den Fachmann vollkom-
men befriedigt. Ich denke hierbei nicht allein
an das Fuhrwerk des reich gewordenen Käse-
händlers oder Schlächtermeisters. Der „nouveau
riche“ pflegt ja selten maassgebend in Sachen
des Geschmacks und der feineren Lebenskunst
zu sein. Leider fehlen die guten Vorbilder
auch in solchen Kreisen, wo der Fahrsport
seine besten Stützen haben sollte.

Die Ursache für diesen Umstand liegt
übrigens nicht so fern. Berlin ist eine Stadt,
in der man das Nützliche möglichst mit dem
Angenehmen zu verbinden sucht. Das eigent-
liche Luxusfuhrwerk ist hier viel seltener, als
es der Reichthum der Besitzer vermuthen
lassen sollte. Für den Fabrikherrn wie für den
Banquier ist seine Equipage zunächst und vor
Allem ein Geschäfts-Vehicle d. h. ein Mittel,
möglichst schnell und bequem von einem Orte

[Nachdruck verboten.]

zum andern zu gelangen. Derselbe Wagen dient dann seiner Gattin für die
Besorgung von Einkäufen und für die obligate Spazierfahrt im Thiergarten.
Handelt es sich um eine glänzende Ausstattung, so führt die Idee der Geschäfts-
Reclame leicht zu übertriebenem Luxus.

Die Zusammenstellung einer ebenso correcten wie eleganten Equipage scheint
demnach wirklich eine überaus schwierige Aufgabe zu sein. Es ist dies ein Grund
mehr für mich, der vom Herausgeber der „Modernen Kunst“ an mich ergangenen
Aufforderung etwas über die Kunst im Equipagenwesen zu schreiben, mit
besonderem Vergnügen nachzukommen. Wird mir doch hierdurch eine er
wünschte Gelegenheit geboten, denjenigen, die kein Opfer scheuen würden, den
Anforderungen jener Kunst gerecht zu werden, die Wege zum Erfolge zu ebnen.

Was mir in Deutschland besonders aufgefallen, ist die an den herrschaftlichen
Equipagen zu Tage tretende Prunksucht der betreffenden Besitzer. Tressen und
Litzen an der Livree, überreich beschlagenes Geschirr, leuchtende Farben in und
am Wagen, kennzeichnen die elegant sein sollende deutsche Equipage. Vornehme
Einfachheit gehört zu den seltensten Ausnahmen. Es erscheint mir daher nicht
überflüssig hier an den Unterschied zwischen der Strassen- und der Soiree-
Toilette zu erinnern. Die vornehme Dame kleidet sich für die Strasse so ein-
fach wie möglich, trotzdem sieht jeder auf den ersten Blick, dass sie ungezählte
soziale Sprossen über der Theaterprinzessin steht, die in schimmernde Farben-
pracht gehüllt, aufdringlich aus dem Gewühle hervorleuchtet. Gilt es aber ge-
diegenen kunstgerechten Glanz zu entfalten. dann ist es sicher die „grande dame“


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Siebenerzug auf der Fahrt z UI11

MODERNE KUNST.

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die sofort Aller Blicke auf sich lenkt. Aehnlich verhält es sich mit der Equipage.
Für gewöhnlich lasse sie sich mit der Strassentoilette einer eleganten Frau ver-
gleichen, bei ausserordentlichen Gelegenheiten dagegen glänze sie durch die
solide Pracht ihrer Gala.

Man sollte meinen, dass es um so leichter sein müsse, diese Regel zu be-
foigen, als es eine sehr kitzliche Aufgabe ist, im Gepränge Kunstsinn mit den
Anforderungen der Etiquette und des Faches in Einklang zu bringen. Es möge
z. B. nur Einer unternehmen, eine stilgerechte Equipage d la Daumont oder
ein für eine feierliche Auffahrt passendes Galafuhrwerk zusammenzustellen.
Das bringen auch unter Fachmännern nicht gar viele fertig. Da muss eben
alles klappen und kein noch so geringfügiges Detail darf die unerlässliche har-
monische Wirkung des Gesammtbildes irgendwie beeinträchtigen. Wie schwer
dies zu erreichen ist, lässt sich schon an den Equipagen wahrnehmen, die zu
den neuerdings modern gewordenen Corsofahrten herausgebracht werden.
Speciell in Deutschland wird der Kritiker bei solchen Gelegenheiten seines
Amtes mit grosser Milde walten müssen. In der Regel vertragen nur die
Equipagen des Hofes, einzelne Coaches und leicht gezählte Victorias eingehend
gemustert zu werden. Alles was sich sonst noch an’s Tageslicht gewagt, wirkt
wie der in einem Dreimark - Bazar gekaufte Talmischmuck neben dem aus der
Werkstatt eines Künstlers stammenden Geschmeide.

Bei solchen Gelegenheiten wäre zunächst darauf zu achten, dass man dem
Begriff des Wagens nichts Ungehöriges anheftet und seinen Charakter durch
heterogenen Schmuck aufhebt. Eine Equipage kann niemals ein Blumenkorb
werden, und ein fahrendes Boquett ist und bleibt ein Unding. Bei so ausser-
gewöhnlichem Schmuck handelt es sich wie bei jeder geschmackvollen Decoration
um eine ornamentale Hervorhebung der Linien, die das Gefüge des festen Körpers
nicht unnöthig unterbricht oder verwischt.

Aus allen diesen Gründen empfiehlt es sich, im Equipagenwesen lieber
geschmackvolle Einfachheit als geschmackvolle Pracht anzustreben. Nichtsdesto-

weniger halte ich es für unbedingt geboten, mich hier, wenn auch nur flüchtig,
auch mit der letzteren zu beschäftigen, denn erstens giebt es im modernen
Leben Gelegenheiten, wo die Entfaltung von Pracht unvermeidlich ist, und
zweitens kann es keinem Equipagenbesitzer lieb sein, wenn man beim Anblick
seines Galafuhrwerkes daran gemahnt wird, wie unheimlich nahe das Erhabene
beim Lächerlichen liegt.

Was zunächst den zu Gala-Zwecken geeigneten Wagen betrifft, ist es selbst-
verständlich, dass dieser sich durch eine gediegene Pracht auszeichnen muss.
Coupes und Landauer, wie elegant dieselben auch sein mögen, gehören also
absolut nicht in diese Abtheilung, sondern entsprechen nur den auf C-Federn
ruhenden Glaswagen, sowie die ebenfalls mit C-Federn versehenen Chariots und
Barouches den Ansprüchen der Gala. Die Pferde müssen mindestens das Maass
von 170 cm erreichen und sollen sowohl die imposanten Körperformen, wie auch
die noble Haltung und den „steppenden", versammelten Gang des echten
Carrossiers besitzen. Zur höchsten Gala werden vorzugsweise Schimmel, Rappen
oder Dunkelbraune benützt. Die Schwänze dieser Paradepferde dürfen nicht
gestutzt werden. Die Galageschirre sind selbstverständlich reicher beschlagen
und schwerer als solche zum gewöhnlichen Gebrauch. Englische Kummete,
ziemlich kurzgeschnallte Aufsatzzügel, Kandaren mit gebogenen Unterbäumen,.
mit Metall eingefasste Scheuladen, Rosetten oder Quasten am Kopfgestell, kleine
gallonirte Decken unter den Kammdeckeln und Hinterzeug sind obligatorisch.
Die Livree der Bedienung besteht in gepuderter Perrücke, betresstem Hut, galo-
nirtem Leibrock mit rundgeschnittenen Schössen und Fangschnüren, langer
galonirter Weste, Kniehosen aus Sammt oder Peluche, seidenen Strümpfen und
Schnallschuhen aus Lackleder.

Zu kleinerer offener Gala ist die vierspännige Anspannung a la Daumont
sehr beliebt. Man beachte jedoch, dass die „outriders“ kleine leichte Leute
sein müssen, die das sogenannte Englisch-Traben gründlich erlernt haben.
Bezüglich ihrer Kleidung wäre nur zu erwähnen, dass diese aus einer be-

tressten sammtenen Jockeymütze, gepuderter
Perrücke, sammtener reich galonirter Jacke,
eng anliegenden weissen Lederhosen, Stulpen-
stiefeln und Aufschnallsporen besteht.

Die zweispännige a la demi Daumont-Kqm-
page gehört wohl nicht mehr zu den Gala-
fuhrwerken, eignet sich aber ebenso wie die
solide Coach, die moderne Victoria, der Kut-
schier-Phaeton und der schneidige Siebener-
oder Fünfer-Zug vortrefflich zu Corsofahrten.
Von dem Dog-cart kann dies nicht behauptet
werden. Der einspännige Karren ist eben
stets und unter allen Umständen „Neglige,
und so wie das weibliche Neglige-Kleid nur
zur rechten Stunde und am rechten Orte als
elegant gelten wird, muss es als ein arger
Verstoss gegen die Gesetze der Fahr-Etiquette
bezeichnet werden, wenn eine Dame beim
Corso in einem einspännigen Dog-cart er-
scheint. Bei solchen Gelegenheiten gewinnt
das Dog-cart nur mit Tandem-Anspannung
Anspruch auf die Bezeichnung „chic“. Man
versuche also nicht dieser Wagenart einen
Charakter zu verleihen, der in schroffem
Widerspruch zu ihrer Bestimmung steht. Zum
flotten Spazierenfahren auf wohlgepflegten
Park- und Landwegen das mit Recht bevor-
zugte Fuhrwerk der eleganten Welt, erinnert
das Dog-cart in den Strassen der Grossstadt
und bei Fahrten mit festlichem Gepräge an
eine läudliche Schöne, die aus Versehen in
den Kreis blaublütiger Vertreterinnen des
High-life gerathen.

Die elegantesten wie auch die extra-
vagantesten Equipagen sieht man gegenwärtig
in New-York, Boston und Chicago. Das
kommt daher, dass es dort zahlreiche Oel-,
Schmalz- und sonstige „Könige“ giebt, die,
hauptsächlich ihren Frauen zu Liebe, sich
ehrliche Mühe geben, Staunenswerthes auf
dem Gebiete des Luxus zu leisten. „Vor
Allem theuerer und schöner wie in London,
Paris oder Wien!“ heisst es in jenen Kreisen,
sobald etwas Neues für die Damen des Hauses
angeschafft werden soll. Selbstverständlich
kommt dies auch dem Fahrsport zu Gute.
Es würde mich daher auch gar nicht wundern,
wenn wir demnächst unsere Equipagen-Moden
aus New-York beziehen müssten, demselben
New-York, das noch vor 10 Jahren kaum ein.
 
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