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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Wrangel, Carl Gustav: Die Kunst im Equipagen-Wesen: fahrsportliche Betrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0485

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MODERNE KUNST.

einziges, wirklich elegantes
nicht zur Kategorie der Bug-
gies gehörendes Fuhrwerk
aufzuweisen vermochte.

Charakteristisch für die
neueste Equipagen-Mode ist
ihre Tendenz, zum Empire-
Stil zurückzukehren. Alle
fashionablen Wagen, die im
Jahre des Heils 1895 aus
den vornehmeren Werk-
stätten hervorgegangen sind,
erinnern in ihrer Bauart
und Ausstattung an den Ge-
schmack des ersten Kaiser-
reiches. Sehr beliebt ist z. B.
gegenwärtig die tiefe, lange
und niedrige Victoria „genre
Josephine“. Hohe Räder,
bauchiger Kasten, über-
mässig weite Eintritts-Oeff-
nung und riesige Laternen
verleihen dieser Schöpfung
der modernen Wagenbau-
kunst ein höchst eigenartiges
Gepräge. Das genügt nicht
nur im Lande des Dollars,
sondern auch diesseits des
grossen Wassers. Denn
Originalität gilt als ein Pri-
vilegium der oberen Zelin-
tausend, wohingegen Schön-
heit unter Umständen eine
sehr billige, d. h. ordinäre
Sache sein kann.

Der Brougham, auch
Coupe genannt, ist natür-
lich ebenfalls von der neuen
Mode beeinflusst worden. Er
hat einen tief hängenden
Kasten und so kleineFenster
erhalten, dass den Passanten
jeder Blick in das Innere
des Wagens verwehrt ist.

Trotzdem wird dieses stets
mit kostbaren Stoffen be-
kleidet, wie denn überhaupt
ein unerhörter Luxus in der
Garnirung eleganter Wagen
ein besonderes Merkmal der
neuen Mode bildet. So fährt
die auch in Europa bekannt
gewordene Miss Pullmann
in einer Victoria, deren Gar-
nirung aus Silberbrokat be-
steht. Wer sich das nicht
leisten kann oderwill, nimrnt
schwarzen Atlas, falls ihm
nicht purpurroth besser zu
Gesicht steht. Immer aber
muss die Toilette der In-
sassin bis auf die Hand-
schuhe zur Garnirung des
Wagens passen. Für die
Lackirung des Kastens und der Räder werden mit Vorliebe dunkle Farben
gewählt. Auch für die Pferde sind diese die beliebtesten. Möglichst viele, eben-
falls mit genauer Berücksichtigung der Farben gewählte Blumen im rückwärtigen
Theil des Wagens vervollständigen das Bild einer allen Anforderungen der
Fashion entsprechenden Equipage. Manche der über die Boulevards von Paris
und New-York rollenden Victorias gleichen einem aufRädern gestellten Blumen-
teete. Wer dann noch einUebriges thun will, versehe das Verdeck der Victoria
mit seinem in Gold oder Silber ausgeführten Monogramm.

Die Franzosen sagen bekanntlich von sich selbst, dass sie von „la rage des
galons“ besessen sind und Niemand wird bestreiten, dass dieser Ausspruch auf
Selbsterkenntniss beruht. Merkwürdigerweise sieht man jedoch in Paris weit
weniger betresste Hüte und mit Litzen geschmückte Livreeröcke wie bei
uns in Deutschland. Diese befremdende Thatsache tritt uns sogar in der Litteratur
entgegen. Ein ehrlicher deutscher Romanschriftsteller wird bei der Schilderung
einer eleganten Equipage oder eines vornehmen Hauses nie unterlassen, „reich

galonirte Diener“ auf die
Scene zu bringen. Diese ge-
hören zum Inventarium der-
artiger Schilderungen wie
der wehende Schleier und
das wallende Reitkleid der
meist auf einem Vollblut-
hengste (!) einhergaloppiren-
den Amazone, die dem Hel-
den des Romans so viel
Herzeleid bereitet.

Nun, zum Glück sieht
es auch bei uns in Deutsch-
land in der wirklich vor-
nehmen Welt nicht mehr
gar so vorsündfluthig aus.
Geschmackvolle Einfachheit
ist hier mit Bezug auf die
Bekleidung der Dienerschaft
allmählig Regel geworden.
Tressen am Hut, Fang-
schnüre und Litzen am bun-
ten Livreerock, Knieehosen,
Gamaschen oder seidene
Strümpfe und mit Schnallen
versehene Schuhe gehören,
wie bereits erwähnt, nur
zur Galalivree. In länd-
lichen und kleinbürgerlichen
Kreisen aber scheint bei
uns noch immer die An-
sicht vorzuherrschen, dass
Tressenhut und bunteLivree
für den Kutscher ebenso
unentbehrlich seien wie das
traditionelle schneeweisse
Gewand für den Koch. Eher
spart daher der Landjunker
am Wagen, an den Pferden
und an den Geschirren, als
dass er auf eine möglichst
auffallende Livree für seinen
Kutscher verzichten würde.
Die breite Tresse am Hut,
die blanken Wappenknöpfe
und die Litzen an dem hell-
blauen, grünen oderbraunen
Roclt, die hochrothc Weste,
die Lederhose und die
Kappenstiefel des Pferde-
lenkers klären doch Jeden
darüber auf, dass da kein
Pächterwagen, sondern eine
herrschaftliche Equipage
vorüberrollt! Ausserdem
giebt der martialische
Schnauzbart des braven Jo-
hann zu erkennen, dass
dieser bei der Cavallerie ge-
dient und somit eine gründ-
liche Ausbildung in allem,
was zu den Obliegenheiten
eines Kutschers gehört, ge-
nossen haben muss. Kein
Wunder daher, dass unser Landjunker meint, berechtigte Ansprüche auf die
Anerkennung jedes Fachmannes erheben zu dürfen.

Es hat mir oft herzlich leid gethan solche Illusionen durch kritische Be-
trachtungen in bange Zweifel verwandeln zu müssen. Ich dachte da immer an
das Dichterwort:

„Ein Wahn, der mich beglückt,

Ist eine Wahrheit werth, die mich zu Boden drückt.“

Andererseits aber heisst es auch: „Es ist unmöglich die Fackel der Wahr-
heit durch ein Gedränge zu tragen, ohne Jemand den Bart zu sengen.“ — Will
ich bei meiner Schilderung des modernen Equipagenwesens der Wahrheit die
Ehre geben, werde ich somit kaum umhin können, Manches vorzubringen, was
dem Johann und seinem Brodherrn nicht in den Kram passt. Der soll mich
aber nicht sonderlich schmerzen, wenn es mir nur gelingt, dem Leser der
„Modernen Kunst“ einiges Interesse für die Hebung des arg darniederliegenden
deutschen Fahrsports abzugewinnen.
 
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