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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Malkowsky, Georg: Weihnachten in Bildern
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0203

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IIO

MODERNE KUNST.

eifmachten in (föildern.

Von Georg Malkowsky.

.^jÜtuch die Natur hat ihren Heiligabend,
ihre friedliche Rast vor dem Feste.

Auch sie redet ihre stumme Sprache, auch
sie singt ihr Weihnachtslied in Farben und
Formen. Purpurfarben ist der Sonnenball fern
am Horizont gesunken, und leise beginnt die
Dämmerung an den Baumstämmen hinauf-
zuschleichen, deren Zweige noch scharfum-
rissen hineinragen in den lichtgrauen Winter-
himmel. Aus Waldesnacht hervor quillt bräun-
liches Dunkel, durchschimmert vom rosigen
Wiederschein der Abendröthe, die sich in
helleren Tönen hinbreitet über dieScheedecke
der Lichtung. Die weissen Massen lagern
weich und locker auf den Wurzeln, lasten
wollig auf den Zweigen und rieseln, wenn
von Zeit zu Zeit ein Hauch die kahlen Wipfel
knarrend beugt, lautlos in Flocken hernieder.

„ Weihnachtabend im Walde!“ Die
schiummernde Natur harrt ihres Erlösers,
des Märchenprinzen, der den Winterzauber
bricht. Die Abendröthe ist verglüht, die
Mondsichel taucht über derDämmerung empor
und lässt ihren Schimmer über den Wald-
weg huschen, die Flächen belebend mit ge-
heimnissvollem Weben. Ueber die stumpfen
Schneemassen hin gleitet das leise Flimmern
der Eiskrystalle, gefrorne Thautropfen, die
aus den Kelchen der Waldblumen gefallen,
da sie vergingen im ersten Frost. Es ist,
als wäre alle belebende Farbe von der Natur
genommen, als habe sie sich voll bräutlicher
Scheu in einen leichten Schleier gehüllt, der
ihre Formen verbirgt. In der Luft schwirrt
ein leises Klirren wie von aneinander klingen-
den Eiskörnchen, und der Schnee knirscht
unter den tiefeindrückenden Rädern der
Kutsche, die einen verspäteten Fahrgast der
Heimath zuführt, vorüber an der armen Häus-
lerin, die ein Bündel Leseholz nach Hause
trägt, um der warmen Stube willen am
Heiligabend. Winterzauber hält die Land-
schaft umfangen, aber nicht mit den harten

Fesseln des Todes, sondern mit der weichen Bande erquickenden Schlum-
mers. Doch auch in den winterlichen Waldfrieden hinein schleicht sich
der Kampf ums Dasein und färbt — ein Drama im Schnee -L die
weisse Fläche mit dem Blute eines unschuldigen Opfers. Meister Reinecke
braucht seinen Festbraten. Lautlos streicht er durch die Büsche. Ein
plötzliches Zufahren, und unter seinen spitzen Zähnen windet sich das
Häslein, das er im Genick gepackt mit tödtlichem Biss.

„Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“
Man muss weit zurückgreifen in seine Erinnerungen, wenn man die rechte
religiöse Stimmung finden will für das Verheissungsfest, dessen Bedeutung
sich verflüchtigt hat im Kinderjubel und Christbaumglanz. Dass man die
Kinder beschenkt zu Ehren des Gotteskindes, ist ein schöner tiefsinniger
Gedanke, aber es ist auch natürlich, dass den jungen Gemüthern die Be-
scherung auf dem Weihnachtstisch wichtiger erscheint als das, was mit
der Geburt Christi für die ganze Menschheit geschehen. Am Festtags-

J. Wengel. Ft* ie'

morgen, wenn es vom Kirchenchor feierlich herniedertönt: „Friede auf
Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ erwacht in den Herzen ein
Ahnen von der Bedeutung des Tages. In den vollen Klang der Orge^
mischen sich feierliche Posaunentöne, und der Friedensgruss der Engel
ertönt von frischen Mädchenlippen. Durch die Kirchenfenster aber fluthet
das Sonnenlicht herein, goldig und sieghaft, eine Verheissung neuen
Menschenthums, wie es von der Wiege in Bethlehem ausgegangen.

Dass der Weihnachtsjubel mitten in den Winterschlaf der Natur hinein-
klingt, entspricht dem germanischen Empfinden, das in heidnischen Zeiten
in dem gleichzeitigen Feste der Wintersonnenwende seinem Frühlingshoffen
Ausdruck verlieh. Da wurde allerlei Kurzweil getrieben, wie sie di e
Jahreszeit erlaubte. Schlittenfahrt und Eislauf, Rutschbahn und Mummen-
schanz halfen über die Winterruhe fort und kamen der Geselligkeit z u
Gute. So ist's noch heute. Die Christnachtsfreude leitet eine Zeit d er
Bethätigung des Lebensgenusses ein, Schnee und Eis zum Trotz. D eS
Winters rauhes Rüstzeug selbst wird zur Scherzwaffe, die Gross und Kl elU
handhabt in neckischem Spiel. Gar gefährlich schaut der Schneeball aus,

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111

eilschen ein Wohlgefallen.

von zierlichen Händchen zusammengeknetet und in weitem Bogeii ge-
schleudert, aber der Getroffene lacht hell auf in frischer Winterlust, wenn
das Geschoss auf seinem Rücken zerstiebt in weiss schimmernde Flocken.
Vier gegen Einen, das ist selbst für den muthigsten Gesellschaftslöwen
ein wenig viel, aber er lässt sich gern besiegen, denn das Schneeball-
werfen ist der Blumencorso des Winters, und die scharfe Winterluft lässt
schöne Wangen nicht minder rosig erglühen, als des Sommers Sonnengluth.

Während draussen alles Leben zu erstarren scheint, zieht sich die
Geselligkeit in behagliche Räume zurück, um sich fortzutäuschen über
Werden und Vergehen, dem Wechsel der Jahreszeiten zum Trotz. Weih-
nachten ist ein Familienfest im intimsten Sinne des Wortes, aber innere
Freudigkeit will sich aussprechen im grösseren Kreise. Flüsternd hocken
die Kleinen unter dem Christbaum und zeigen sich gegenseitig all die
Herrlichkeiten, die man ihnen beschert, die Erwachsenen treibt es hinaus
in den Strudel der Gesellschaft. Noch einmal drückt die junge Mutter ihr
Nesthäkchen an’s Herz, das die neue Puppe mit ins Bettchen genommen.
Dann.schlingt sie den Schleier um Kopf und Hals und steigt, zum Fest-

ball gerüstet, in den Wagen. Tjräumerisch
lehnt sie in die Kissen und denkt an das
Baby daheim, bis sein Bild im Kerzen-
schimmer des Ballsaales verblasst, und in
der jungen Mutter das Weib von neuem er-
wacht, das schöne Weib, das sich umworben
weiss wie zu der Zeit ihrer glänzendsten
Triumphe. Denn jede Gesellschaft, sobald
sie aus beiden Geschlechtern gemischt ist,
gestaltet sich zur Concurrenz, in der man
die eigene Person ausstellt, herausstaffirt mit
geistigem und körperlichem Flitter. Daher
die Vorliebe für Mummenschanz und Phan-
tasiecostüm, daher das Streben, sich auch
äusserlich zu maskiren, wie man sein Inneres
verbirgt hinter leichtherzigem Geplauder.
Das stumpfnäsige Backfischchen präsentirt
sich als Pierrette. Mit den kurzen Röckchen
und dem spitzen Filzhut ist alle fromme
Pensionsscheu von ihr gewichen, graziös
streift sie mit gespreizten Fingern die Falten
des Kleidchens zurück, hebt sich in den
Fussspitzen, schaut keck in die Welt und
scheint die Lippen dem ersten Kusse ent-
gegen zu runden. Die reifere Schönheit
ersetzt die bewegliche Anmuth der Jugend
durch ruhigen Prunk der Erscheinung. Die
goldgestickten Prachtgewänder Halbasiens
umhüllen die üppigen Glieder und um das
volle Plaar legt sich der perlenbesetzte
Kokolnik, die Haube der Bojarentochter.
Das Liebeswerben selbst verbirgt sich
gern im lebenden Bilde im Costüm ver-
gangener freierer Zeiten, bis die Demaskirung
erfolgte, und fern vom Gesellschaftsgewirr
der Verlobungskuss gegeben und ge-
nommen wird, der natürliche Schlusseffect
all’ des bunten Getriebes. In der vollen
Hingabe der Liebe wird die Gesellschafts-
dame erst wieder zum echten Weibe. Wenn
die Saison vorüber ist mit ihrem Flirt, mit
ihrem gekünstelten Suchen und Fliehn, dann
kehrt auch sie zur Natur und zur Einfachheit
zurück. Eis und Schnee sind fortgethaut im
warmen Frühlingssonnenschein, und wenn
sie das Körbchen am Arm im einfachen
Kleide hinaus eilt in Wald und Flur, um
Feldblumen zu sammeln zur Schmückung
des Heims, dann erscheint auch sie in
ihrer wahren Gestalt, als Schmuckstück der
Schöpfung, das all’ des Gesellschaftsflitters nicht bedarf, um schön zu sein.

Anders als im Norden gestaltet sich das Weihnachtsfest im Süden.
Monatelang vor den Feiertagen deponirt der weniger Begüterte täg-
lich ein paar Centesimi bei dem Materialienhändler, um am Heiligen
Abend schwelgen zu können in Festbraten und Risotto. Weihnachten
inNeapel gleicht einem grossen allgemeinen Feiertagsessen, zu dem man
sich durch das Abonnement beim Kaufmann ein Recht erworben. Bevor
man aber zu tafeln beginnt, sammelt sich die ganze Familie vor der Nische,
in der die Krippe mit dem Christkindlein aufgebaut ist. Der alte Pifferaro
vereint sich mit dem jüngeren Sprossen der Familie, der die Flöte bläst,
zu einem kirchlichen Concert. Grossmutter wärmt die zitternden Hände
über der Kohlenpfanne, die Mutter nährt ihr Kind, auf der Bank kost
ein junges Paar, so dass auch wohl hier die Feiertage mit einem Ver-
lobungskuss enden werden. Für den Weihnachtsjubel der Kinder aber sorgt
Policinell, der seinen Thespiskarren für die Festvorstellung im Freien
aufgeschlagen hat. Erwartungsvoll harren die Kleinen auf den Holzbänken
der kommenden Genüsse, die ihnen Hanswursts groteske Gestalt verheisst.
 
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