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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Hevesi, Ludwig: Frühling in Nizza
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Höcker, Paul Oskar: Frühlingsstimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0357

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MODERNE KUNST.

267

rühlingsstimmungen.


Von Paul Oscar Höcker.

J^jTus dem grämlichen Winterhimmel lugte die Sonne verstohlen hervor. Ver-
1 schleiert war ihr Blick und kühl. Selten nur durchdrang sie in voller Pracht
^ie neidischen Nebelwogen, sieghaft leuchtend und wärmend. Doch wenn es
Seschah, dann freute sich alles, was Odem hatte. Als ob Feiertag sei, so glänzten
^ie Menschenaugen. Und frohe Ahnung zog in die Brust der unter dem Druck
^es harten langen Winters seufzenden grossen und kleinen Lebewesen. Für-
Vitzjg es Volk gefiederter Sänger wagte sich auf weite gefährliche Reisen, die
Schnecke, die Eidechse und die Fledermaus ermunterten sich vom langen Winter-
Schlaf, neugierig lugte der Dachs aus seiner Erdhöhle, in der er sich behagliche
hossen aus Heu und Baumblättern bereitet hatte — und der steuerzahlende
ßflrger der grossen Stadt stand in der geheizten Stube, sah mit seiner Brille
^urch's Doppelfenster, constatirte, dass der Frühling da sei — und nahm eine
tlefsinnige Statistik auf über städtische Schneefall-Unkosten, über Kohlenverbrauch
Utld Influenza. — Docli die Sonne hatte sich nur einen tückischen Spass erlaubt.
ftr Lächeln war geschminkt — und der Jubel verfrüht. Manch’ bunter Sänger,
^ er von ehrenreichem Gastspiel fern an afrikanischer Küste zurückkehrte, sah
Uttter dem trügerischen lichtblauen Himmel der Heimath seiner kurzen Carriere
eitl jähes Ziel gesetzt — und der undankbare Mensch, der im schärferen Licht
^ es ersten goldenen Sonnenstrahls an seinem Winterpelz mit einem Mal so gar

viel auszusetzen hatte, dass er seinen mondelangen Begleiter verschämt daheim
liess — er holte sich ohne Gnade einen Schnupfen.

«■ *

Endlich aber hat Frau Sonne ein Einsehen. Die Schneedecke, die wie ein
grosses Leichentuch sich ausgebreitet hat über Wiese und Ackerland, zerschmilzt
vor ihren alles durchdringenden Sendboten — die langgestreckten Eisflächen der
Flussläufe biegen und krümmen sich und zerkrachen in Milliarden von Schollen,
die ungestüm zu Thale treiben. Höher und immer höher erhebt sich die Himmels-
königin. Die Natur hat ihr Winterkleid abgestreift. Nun liegt sie da in ihrer
herben unberührten Schöne, jungfräulich schier; und doch schlummert schon in
ihrem Schooss die unerschöpfliche Fülle reichster Segenspenden. Ein wohliger
würziger Hauch geht durch das Land. Es sprosst und keimt und treibt und
quillt —- doch blüht’s noch nicht. Kein Gras, kein Halm deckt die Blössen der
schwärzlichen thaufeuchten Erde. Und dennoch duftet’s auf der Wiese, im
Garten, am Waldesrand, am Wasser — aufregend und lindernd, kräftigend und
wonnig ermättend — zart und keusch gleich dem Hauch aus jungfräulichem
Munde. Friihlingsdüfte! . . . Doch nicht nur in nordischen Landen weckt
Frühlingsahnen neues Hoffen und neues Leben. Inbrünstiger noch als diesseits


wirbelnd, wie die Spitzkugel aus einem gezoge-
nen Flintenlauf. Ein berühmter Luftzug das; kein
Wunder, dass das von ihm bestrichene Casino
schon einmal verkracht ist. Dieses Stückchen
Klima ist das ungünstigste unter den zwölf
verschiedenen Klimas, die es in Nizza giebt
und deren jedes der Arzt nach Bedarf ver-
schreibt.

Ungefährlicher ist es unter den Palmen,
Caroubiers und Araucarien des Jardin Public,
wo die Magnolie blüht und die berühmte Gold-
orange duftet. Das ist die grosse Flirtstation,
in deren Mitte ein Pavillon voll Musik steht, wie
eine riesige Voliere voll Singvögel in einem
Thiergarten. Hier flirtet Alles, selbst jene Wä-
scherinnen, die hier — zwanzig Jahre, ehe sie
in den Paillon steigen und auf nasses Linnen
losklatschen — pikante junge Bonnen und der-
gleichen sind. Wer vornehme Ohren hat, geht
freilich lieber zu der kostspieligen Musik im
Cercle de la Mediterranee, im mittelländischen
Club. Da sitzen die Damen steif, als würden
ihnen bei der ersten Bewegung goldene Kroncn
vom Haupte fallen. Da geben sich die Brillanten
ihr funkelndes Stelldichein und Toiletten des
seligen Worth messen einander mit hochfahren-
den Blicken. Noch schöner freilich ist es aut
der grossen Estacade, der jetee promenade, die
zumCasino marin führt. Da sieht es asiatisch aus;
ein japanisch-chinesischer Krieg von Bauformen,
mit etwas Koreanisch gemischt, und mit etwas
Russisch gemischt; modernes Alhambra, für
tausend und eine Nacht aufgebaut und dann
abgebrannt. Aber einstweilen ist es schön.
Ein Märznachmittag, oder ein Aprilabend, oder
einc Mainacht auf diesen Terrassen, unter diesen
bunten Zelten, mit einer Schaar rosenrother
Balletbeine vor sich in der Luft, . . . ach, Ver-
zeihung! es kann ia auch zufällig nur leichtge-
schürzte Pausencomödie oder Operette sein,
oder eine Tombola, oder eine Kermes, oder
eine russische Bauernhochzeit mit einem vorzüglich nachgemachten Admiral
Avelan, oder eine Bouille-ä-Baisse, ein aristokratisches Fischessen zu 20 Francs,
oder ein Sportfest in Jockeycostümen, die Kleider hochgeschürzt, um die
Kappenstiefel, die „hessians“ zu zeigen, oder eine andalusische Nacht mit
Seebad-Nixen in lampionbehangenen Gondeln, unter Guitarrenklang und Ca-
stagnettengeklapper, oder . . . Was weiss ich? Es ist der Friihling in seinen
tausend Formen, mit seinen ungezählten Reizen; der Frühling im reichen
Süden, am gnädigen Meer, wo der Vollmond eine Sonne ist und die Sonne
eine zauberhafte Gralsschüssel, und jeder Mensch ein König, ein Gott . . .
sofern er nur das nöthige Baargeld mitgebracht hat.

f’aillon, in dessen Kiesbett die Wäscherinnen reihenweise knieend Wäsche
vraschen; womit, das hat noch kein Naturforscher ermittelt. Die Wäscherinnen
des Paillon, o, die halten den scharfen Luftzug aus, der von den Schneehöhen
des Col diTenda durch diese Stromschlucht niederfährt, schraubenförmig einher-



Auf der Fahrt zur Blumenschlacht
in Nizza.

Originalzeichnung von E. Rosenstand.
 
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