Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Höcker, Paul Oskar: Frühlingsstimmungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0358

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
268

MODERNE KUNST.

der Alpen wird jenseits des Mittelmeeres in den heissen Sandgebieten des
Aegypterlandes der Frühling herbeigesehnt, der Frühling. der dem durstigen
Nilthal dic „Nacht des Tropfens" bringen soll und damit Gedeihen und Frucht'-
barkeit. Die Thränen der Isis, die sie um, den todten Gatten weint, sie seien
es, die den Nil schwellen machen — so wissen die der uralten Sage kundigen
Aegypter zu berichten, so oft die Friihjahrsregengüsse sich mit den Schnee-
wassermassen vereinigen, die von dem abessinischen Hochgebirge brausend und
donnernd herabstiirzen. Allein die Sage irrt. Thränen des Mitleids sind es:
Die heilige Blume des Nils ist todt und muss zu neuem Leben erweckt werden
— das Kind des feierlichen alten Wunderlandes — die Lotosblume! Wenn
der Nil im Friihling zu schwellen beginnt. dann erwacht auch die Lotosblume
im tiefen Gruride des Stromes wieder zum Leben, dehnt und streckt sich, bis
ihr himmelblaues oder saphirgrünes Köpfchen über die Wasserfläche reicht,
wenn der Strom seinen reichen Segen spendet, dann entfaltet sie auf den grünen
schimmernden Fluthen ihre feinadrigen Blätterteller und zarten tulpenartigen
Blüthen, und wenn der Strom allmählich zu sinken beginnt, dann stirbt sie
langsam ab — die keusche Nyrnphäe, die nur des Nachts dem milden Glanz des
Mondlichts ihre Blüthe öifnet, sie aber schämig schliesst vor den sengenden
Strahlen der Sonne. — Den unbewölkten Himmel, der
brennende Gluth verbreitet, hasst der Lotos nicht allein.

Gleich ihm und seinem gebräunten Landsmann, dem
Aegypter, ersehnt der Fellah Arabiens den regenspenden-
den Frühling, der den wasserlosen, einförmigen und
afrikanisch dürren Boden endlich zur grünen Flur machen
wird. Beim Untergang der Sonne sitzt der Fellah hinter
dem arabischen Dörfchen, der freundlicheren Nacht
mit ihren flammenden Sternen und ihrem kühlenden
Niederschlag, dem einzigen Labsal der schmachtenden
verkümmerten Natur, harrend. Sein Auge erquickt sich
nicht an dem wonnigen, berauschenden Farbenspiel des
gluthgebadeten Westens; es ist müde und heiss von der
Qual des dürren Tages. Und wenn er schlaftrunken in
sein armseliges Zelt kriecht, so kennt seine Seele nur
den einen Wunsch: dass Allah Fruchtbarkeit gebe dem
durstigen Lande. Nach Mekka gewandt betet er’s zum
fiinften Mal am Tage, und so täglich, täglich — auch
wenn Allah jahrelang das Frühlingsgebet des armen
Fellah nicht hört. Doch der ist zäh und gottergeben
und verzagt nicht; gleich Hiob, dem grossen Philosophen,
der vor Jahrtausenden an gleicher Stelle seine Heerden
trieb und seine demüthigen Gebete sprach.

Im Mittelalter schaarten sich die Glaubensritter in
demtithiger Verehrung um die geweihte Reliquie, die an
diesem Tag Zeuge der Leiden Christi gewesen — um
den heiligen Gral, das smaragdene Gefäss, das des
Gekreuzigten Blut aufgefangen. In süssem Dämmer ver-
mischen sich poetische heidnische Vorstellungen mit der
rührenden christlichen Legende. Auf dem Boden der
Provence entsteht die Sage vom Chevalier des fleurs,

Wolfram von Eschenbach verflicht sie mit der Parsifals und des Grals, und der
Bayreuther Meister kntipft daran an, wenn er den von seiner Mutter Herzeleide
fortziehenden reinen Thoren durch seinen ritterlich gläubigen Sinn die lockenden
Verführungen liebeheischender holdduftender Mädchengestalten siegreich über-

C. Fröschl. Der neugierige Amor.

winden lässt. Das war noch nicht das galante Ritterlhum der späteren Zeit.

Ein Widerspiel der Minne ist dcm ritterlichen Recken die Jagd! Niclit
anbetend staunen wiil er mehr — in wilder Lust erjagen, bei schmetterndem
Hörnerklang das kostbare Wild erbeuten! Des Ritters Schildzeichen ist der kühne
listige Falke. Und dieser schlanke Räuber ist auch der Liebling der minnigen
Frau, die ihn auf ihrem zierlichen Daumen trägt, vvenn sie hoch zu Ross den
Stöberhunden folgt auf der lustigen Reiherjagd. In verschwiegenem Horst
hoch oben im Gezweig liegt das Falkennest, das der kühne Wandervogel
im Frühling bei seiner Rückkehr aus dem fernsten Süden sich erbeutet
hat. Trotz seiner räuberischen Natur, die unter anderem gefiederten Volk,
den Tauben, Rebhühnern und Kiebitzen, die ärgsten Verheerungen anrichtet,
beweist er dem Weibchen, das im Nest bei den piepsenden und die Hälse
aufsperrenden Jungen zurückbleibt, eine ritterliche Zärtlichkeit. Er wagt
sich für das hungernde Völkchen weit, weit fort über Wald urid Felsgebirge,
ja, bis in die Städte und zu den Burgen. Im Flug erhascht er die Nahrung,
indem er von oben her auf sein Opfer stösst; an abgelegener Stelle rupft
und enthäutet er das zuckende, noch warme Thier —- dann bringt er die
Beute zum Neste heim, wo er das Weibchen mit zärtlicher Sorgfalt füttert. Dcr
Falke ist der Raubritter unter den Vögeln. Allein, auch er ist räuberischen
Ueberfällen ausgesetzt. Bald naht der Falkenier seinem Horst, um die flügge
gewordenen Jungen einzufangen, ihre Füsse mit schlariken Lederriemen zu fesseln
und ihnen die Kappe über die Augen zu ziehen, die sie hilflos und willig macht,

sich fiir die Beizjagd abrichten zu lassen. Armer zappelnder kleiner Räubei ■
Doch gedulde dich; wenn du das Glück hast, Ritter und Edelfrauen noch zU
deinen Zeitgenossen zu zählen, so wirst du Zeuge sein blumiger, verliebter Rederi,
heisser Werbungen und loser Schelmerei — auf dieser Jagd der Minne, auf d £1
nicht nur dem Wilde Gefahr droht, sondern auch dem Jäger.

Durch dunkelnde Wälder rast die Jagd — der Fuss dcs Rosses sinkt in tiefe
Gruben — unheimliche Nachtvögel umkreisen den Jäger — der Zelter scheut
vor den höhnenden Irrlichtern der Wildniss — und Ross und Reiterin, deneri
der stürmische Ritter mit kühnem Liebesfordern folgte, sie wandeln sich in g. e"
spenstische Gestalten. Ein leuchtendes Gewand umfliesst den wonnigen jung eU
Leib — goldschimmerndes Haar umrauscht das herrliche Antlitz. Es ist die
Hexe Lorelei, die dem Jäger im nachtdunkeln Wald Verderben bringt — ' vie
dem Schifler, den ihr vom hohen Felsen herabklingendes Zauberlied berückf
hat! . . . #

Da ertönen weihevolle Chorgesänge — feierlich schallt Orgel- und Glocken-
klang zur sündigen Menschheit. Der Zauberspuk ver-
fliegt. Ernst und ergreifend erklingt der Chor der EngeL
„Christ ist erstanden!“ Und das Gebet wird brüristiger
Genuss. Dies Lied der himmlischen Wunderbotschaft
tröstet den Verzweifelnden und Elenden, faustisches
Ringen löst sich in süss erquickende Zähren auf. Der
Frühlingsfeier frohes Glück geniesst Jung und Alt. —
„Jeder sonnt sich heute so gern; sie feiern die Auf-
erstehung des Herrn: denn sie sind selber auferstanden,
aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, aus Hand-
werks- und Gewerbesbanden, aus dem Druck von Giebeln
und Dächern, aus der Strassen quetschender Enge, aus
der Kirchen ehrwürd’ger Nacht sind sie alle an’s Licht
gebracht.“ — Auf der Landstrasse ziehen sie dahin,
die Schaaren gläubiger Christen. Das Wört des Priesters
war in der heiligen Ostermesse tröstlicher, erhebender
und freudiger als während der langen Charzeit; neu er-
frischt ziehen Bauer und Bäuerin, die in ihren schmucken
bunten Trachten von des Berges fernen Pfaden herab-
wallfahrteten, heim zum Osterschmauss.

Vorsichtig wagt sich Gevatter Schneider und Hand-
schuhmacher vor das Stadtthor, wo die Bürgerstöchter
heute die ersten sommerlichen Toiletten bewundern
lassen. Die Wirthsgärten mit den blankgescheuerten
Tischen und Bänken füllen sich, die schlanken knospen-
den Birken, die stämmigen Eichen vernehmen funkel-
nagelneue, zärtliche Geheimnisse verstohlen flüsternder
Liebespaare, und sie nicken behäbig und überlegen
wie Ben Akiba. Unter die festliche Menge auf der
Landstrasse drängen sich fliegende Händler uxid
Musikanten, die ihre schlechte Waare um gutes Geld loswerden; denn heut
ist alles in Gebelaune. Nur der kleine schmutzige Böhm’, der auch an
solchem Tag seinern Gewerbe nachgeht, macht keine glänzenden Geschäfte.
Wo er Menschen sieht, tritt er mit demüthiger Miene näher, und radebrecht eine
Aufzählung seines Musterlagers, denn er ist sein eigener Reisender. So kommt
er auch zu dem holden Mädchentrio, das in duftigen Frühlingsgewändern eng
aneinander geschmiegt auf der Bank in, der Stadtanlage sitzt; es ist in die
Lecture eines Büchleins vertieft, das — die elegante Lederfassung und der blitz-
saubere Goldschnitt sind Verräther — ohne Zweifel gereimten Inhalt hat. Ein
sonderbares Angebot bringst du da an, armer, kleiner Böhm'! Du verstehst
nicht die Komik der Situation, denn du hältst die verlockend dargebotene
Mausfalle für ein durchaus ernst zu nehmendes und der angehenden Hausfrau
Aerger und Leid ersparendes Ausrüstungsstück. Die Vorleserin sicht dicb
aber strafend an. Hättest du nicht so rührend hübsche Augen, armer, kleiner,
schmutziger Böhm' —• — —

Versuch’s lieber bei den Mädchen am Brunnen! Da plaudert sich’s g ut
an lauschiger Stelle, denn das Laub schützt vor scharfen Augen und Ohren, f UI"
die Herzensgeheimnisse nicht geschaffen sind. Und wenn man von Liebesglück
crzählt, geht das Herz auf und man kann eine Bitte nicht abschlagen, selbst
wenn sich's nur um Mausefallen handelt. Den gefährlichsten Lauscher sehen
die Mädchen ja doch nicht: den neugierigen Amor, der „hinter dem Zaune'
lauscht und sich lachend auf Blüthenzweigen wiegt. Er war von jeher ein g e'
iährlicher Bursche, besonders wenn im Lenz alles grünt und blüht, und neues
Leben sich regt all iiberall. Dä kommt jenes Sehnen nach süssem Nichtsthun
über Einen, das die Glieder löst und ein Frühlingsidyll aufkeimen lässt, ' vie
draussen in der Natur, so drinnen im Menschenherzen. Ruhig weiden die Schafe»
vom trcuen Hunde bewacht, denn der Schäfer ruht im Grase und sieht in die
Augen der Schäferin, in denen ein anderer, ebenso sonniger Lenz aufleuchtet-
 
Annotationen