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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Mann, Heinrich: Ist sie's?: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0432

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34 S

sie’s?

Novellette von Heinrich Mann.

'r arum giebt es Menschen, die sehr viel langsamer alt werden als
alle andern, und warum gehöre ich zu ihnen?

Wie meine eigenen, so vergesse ich häufig genug auch die
Jahre der Andern. Es geschieht mir etwa, dass ich in einem
^esicht, von fern erblickt, das eines ehemaligen Reisecameraden zu erkennen
F>eine. „Da ist er!“ sage ich mir sogar ohne Ueberraschung, an die Zufälligkeiten
^es Findens und Verlierens aufReisen gewöhnt. Bis ich dann, näher gekommen,
Füch erinnere, dass das Gesicht zwar dem ähnelt, das ich damals kannte —
dessen jugendfrisches Lächeln nun aber längst durch Züge und Falten verunziert
Sein muss. Das sind meine traurigsten Stimmungen. Doch ist es anderer Art
und mehr als solch’ eine thörichte Verwechselung, das Abenteuer vom vorigen
^rühjahr, dessen ich noch immer mit der gleichen ziellosen Unruhe, mit der
Sieichen gegenstandslosen Reue und Sehnsucht gedenke.

Gegen Ahend in Montreux angekommen, sass ich, während es schon stark
därnmerte, hinter dem Kursaal im Garten, der zum See hinabführt. Das Nach-
rnittagsconcert war beendet, der Garten leer und still; ich glaubte allein zu sein,
als ich plötzlich in einer der Lauben, die keine der spärlichen Gasflammen mit
'hrem Licht erreichte, ein schattenhaftes Profil erblickte, das mich heftig zu-
Sammenfahren machte. Halblaut entfuhr meinen Lippen der Name Jeanne.
h*ann fasste ich mich zwar, um mich zu erinnern, dass die Begegnung, die sich
hier zu wiederholen schien, um zwanzig Jahre zurücklag.

Damals war ich in Montreux mit zwei jungen Ehepaaren dadurch in Verkehr
§ekommen, dass einer der Gatten zu meinen älteren Reisebekanntschaften ge-
hörte. Seine Frau war eine Cousine Jeanne’s. Diese war an einen Mann in den
h'ünfzigern verheirathet, eine hohe vornehme Erscheinung, doch bereits stark
verfallen. Man befand sich wegen seines Lungenleidens dort, allein es schien
hiir, dass auch die Frau ausdrücklicher Pflege bedurft hätte.

Die respectvolle Neigung ihres Gatten schien sie voll zu erwidern und nur
*ür die Sorgfalt zu leben, mit der sie den Kranken umgab. Sie führte ihn jeden
Morgen die wenigen Schritte zu einer Bank am Strande, und während sie das
^laid um seine Schultern legte, sah man, wie sie ihn gleichzeitig mit ihrem
sorgsamen Blick einhüllte, der in solchem Augenblick seine gewöhnliche Vagheit
verlor. Er wurde fester und stützte sich auf den Mann, der wirklich ihr Halt
Sein musste und der ihr vielleicht den Glauben an das Leben und an alles Gute
Segeben hatte. Denn sie war, eine Waise aus verarmter vornehmer Familie, in
ihrer ersten Jugend mancher Unbill ausgesetzt gewesen und erst durch den
^lann zu dem ihr gebührenden Range wieder erhoben worden. Eine unendliche
^ankbarkeit beherrschte ihr ganzes Wesen.

Durch die Zufälligkeiten des täglichen Verkehrs wurden wir zuweilen allein
auf einander angewiesen. Ihr Gatte entfernte sich wenig vom Hause, die Freundin
lürchtete das Wasser, das Jeanne leidenschaftlich liebte. So ruderte ich sie häufig,
liebsten der sinkenden Sonne entgegen, deren Widerschein in ihren grossen
stilien Augen ein Spiel mildgoldener Lichter hervorrief. indess ich ihre liebliche Ge-
stalt von dem zarten Violett des jenseitigen Horizontes schmeichlerisch umgeben sah.

Ein einziges Mal habe ich sie lustig, fast ausgelassen gesehen. Wir feierten
^as Geburtsfest ihres Gatten Abends in einem kleinen Gartensalon des Hötels.
^er Mann ihrer Freundin erzählte drollige Geschichten und Jeanne, die in ihren
^essel zurückgelehnt, sich vor Lachen schüttelte, brachte ihn durch dazwischen
Seworfene Bemerkungen von einem auf’s andere. Dann wieder suchte sie durch
Plötzliche Liebkosungen ihren Mann in ihrer Fröhlichkeit mit fortzureissen. Sie
hatte nur zur Suppe ein wenig Sect genippt, doch zeigten ihre blassen Wangen
e'üe fiiichtige Röthe. Sie drückte das Spitzentuch kühlend darauf, dann sprang
s' e, mitten in der Unterhaltung, auf und trat auf die Terrasse hinaus.

Einen Augenblick später hörte ich sie hereinrufen:

„Seht, das ist ein Steimschnuppenregen!“

Da weiter Niemand darauf geachtet, erhob ich mich und trat zu ihr.

Die Lichtpunkte schossen über den Himmel, der auch noch in seiner nächt-
^chen Färbung wie von dunkelm Stahl, etwas von seiner weichen Schönheit
^ewahrt hatte — und sprühten drüben zwischen dem Gebüsch hernieder. Der
^°nd, in einer blauen Bucht schwimmend, milderte mit seinein Licht die grell-
^ünten Reflexe, die zahlreiche Lampions, phantastisch an den Baumstämmen
^ angend, über das Laub warfen. Der silberne Strahl eines in der Weite
Mätschernden Brunnens schien im Stehen eingeschlafen.

Von der jungen Frau war die Lustigkeit abgefallen. Sie stand, gegen das
^cländer gelehnt, doch so zart als berührte sie es nicht, wie eine Erscheinung,
* üftig, durch die der Mondstrahl hindurchfliessen zu können schien. Das kleineHaupt
' Var leicht rückwärts geneigt, wie von dem Gewicht der Frisur hiniibergezogen.

„Wie schön das ist!“ flüsterten ihre Lippen.

„Wie schön!“ wiederholte ich und aufathmend, fast ohne zu wollen, fügte
lc^ hinzu: „Wie schön, dies in Ihrer Nähe zu geniessen — Jeanne.“

I Sie hatte sich aus ihrer träumerischen Haltung aufgerichtet, mit einer
e*chten doch bestimmten Wendung deutete sie in’s Zimmer, wo ihr Gatte sass.

[Nachdruck verboten.]

„Sie wissen, wem ich all’ dies Geniessen danke“, sagte sie leise, so leise
und doch so eindringlich, dass ich schweigend den Kopf senkte.

Es ward still zwischen uns und dann war ich froh, drinnen unsere Namen
rufen zu hören.

Als wir hineinkamen, war von einer Bergpartie die Rede, die für den
folgenden Tag geplant worden. Sie war nur von uns beiden Männern beab-
sichtigt, aber mein Begleiter schlug vor, auch die Damen daran zu betheiligen.

„Sie sind nicht grössere Dilettanten als wir im Steigen“, sagte er. „Warum
wollen Sie uns allein lassen?“

Seine Gattin sagte für ihre Person zu, rieth aber ihrer Freundin von der
Theilnahme ab.

„Aber was hindert mich denn, mit euch zu gehen!“ rief Jeanne, die auch
diesmal ihrer Sorge nachgab, den pflegebedürftigen Gatten des Standes ihrer
eigenen Gesundheit nicht gewahr werden zu lassen.

Wirklich fand am folgenden Tage die Partie statt, die ich mir zum Voraus
nicht als ganz ungefährlich vorstellen konnte. Denn wenn es auch keineswegs
die Dent du Midi war, die wir zu ersteigen uns vorgenommen, so konnte doch
in dieser ersten Frühlingszeit auch auf dem Wege zu dem bescheideneren
Gipfel, den wir erstrebten, der Schnee noch tief genug liegen. In der That be-
fanden wir uns bald mitten darin, ohne unsere Unternehmungslust dadurch stören
zu lassen. Nach einer Stunde muntern Aufstiegs bemerkte ich ein leichtes
Gleiten unter meinem Fuss. Dadurch aufmerksam gemacht, hielt ich mich fortan
im Nachtrab. Blieb ich doch so auch Jeanne am nächsten, die mir in der un-
gewohnten Tracht doppelt reizend erschien.

Allmählich schien sie mir ein wenig theilnahmslos geworden, obwohl sie
jede Müdigkeit leugnete. Glücklich am Ziel angelangt, verzehrten wir in Eile
das mitgebrachte Frühstück, indess wir uns mittelst Cognac warm hielten. Dann
ging es in gehobener Stimmung an den Abstieg, den ich eröffnete. Eine Strecke
hinter mir hörte ich die Cousine, deren Lustigkeit durch das Gelingen des
Unternehmens ganz entfesselt war, Jodler anstimmen, und hier und da eine
kleine Galoppade wagen. Plötzlich vernahm ich zwei Schreie. Mich umwen-
dend, sah ich die Freundinnen an einander geklammert, den Abhang herablaufen.
Erst geschah es unter Lachen, dann folgten krampfhafte Versuche, den Schritt
anzuhalten, und gleich darauf, als dies nicht gelang, von neuem kleine Schreie.

Alles ging in zwei Augenblicken vor sich. Ich hatte mich noch einmal kurz
umgewandt. Der Weg war weder sehr steil, noch mit Hindernissen bedeckt,
aber wenige Schritte unterhalb meines Standpunktes, auf den sie zuliefen, wandte
er sich scharf nach links, gradaus gab es nichts als die noch immer beträchtliche
Tiefe der senkrechten Wand. Ich rammte die Spitze meines Stockes in den Boden
und stützte einen meiner ausgebreiteten Arme darauf, ganz mechanisch, und
doch muss ich sagen, dass es die linke Seite, an der ich die Ankunft Jeanne’s
erwartete, war, die ich so stützte. Es hätte sein können, dass ich nur eine von
ihnen aufzuhalten im Stande gewesen wäre,

Doch der Anprall der beiden jungen Frauen war so leicht, es war kein
Kunststück ihm Stand zu halten. Einen Augenblick fühlte ich sie beide gleich
Bewusstlosen an meiner Brust ruhen. Dann richtete die Stärkere von ihnen sich
mit Hülfe ihres herbeigeeilten Mannes empor. Ich blickte unwillkürlich um mich:
Nein, es war Niemand für Jeanne da als ich selbst, und so sah ich wieder auf
ihr liebes, gegen meine Schulter gelehntes Haupt. Sie hob es halb empor und
mit Entzücken bemerkte ich ihren Blick, der anfänglich unbestimmt schimmerte,
allgemach Festigkeit erlangen, wie er sich auf den meinen stützte. Es war nicht
nur ihr Gatte, auch ich konnte ihr Halt sein. Dann schien sie sich zu besinnen;
reute sie der zu ausdrucksvolle Dank, den sie mir geschenkt? Ich erschrak und
löste meinen Arm von dem ihren. Allein, sie sank an ihren Platz zurück und
es war wie ein „Und dennoch!“ Wieder. fand ich ihren Blick und was nun
därm lag, war vielmehr als Halt suchende Dankbarkeit, war viel anders als alles
was ihr Auge je dem Gatten auszudrücken vermocht. Ich hielt den Äthem an,
dann, während ich es heiss in mir emporsteigen fühlte, flüsterte ich zum zweiten
Mal ihren Namen: „Jeanne“.

Dass solche Augenblicke, in denen wir die Unendlichkeit durchkosten, vor-
übergehen müssen wie andere! Dennoch war dieser kaum kürzer als Alles was
folgte; Heimkehr und Abschied nach zwei Tagen, als die befreundeten Familien
vorzeitig plötzlich abreiäten. Aber so kurz er war, jener Augenblick, so enthielt
er noch immer Stoff genug für die endlosen Träumereien, denen ich mich nun
wieder einmal hingab in diesem selben Montreux, im Kurgarten, in tiefer Däm-
merung.

Plötzlich blitzte das Licht einer der Bogenlampen vor dem Kursaalgebäude
auf. Aufgeschreckt, gradaus starrend, ward ich an jenes schattenhafte Profil er-
innert, dass all’ meine Träumereien eigentlich veranlasst und an dessen Gegen-
wart ich kaum noch gedacht. Aber was sah ich? Das war ja sie, das war Jeanne!

Sie hatte, gleichfalls vom Lichte überrascht, den Kopf gewandt, so dass ich
ihr gerade in das im weissen grellen Schein liegende Gesicht blickte. Das war

IX. 22. IV.
 
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