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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Liman, Paul: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [3], Im neuen Reichsheim
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120

Von Paul Liman.

, eunmal ist das deutsche Volk zu neuen Wahlen geschritten, seitdem der
Reichstag die Errichtung des stolzen Gebäudes beschloss, das künftig
sein Heim sein soll. Nur Wenige von denen, die damals begeistert dem
Antrage Braun zustimmten, einen neuen Parlamentsbau zu errichten, sind heute
noch Mitglieder des Reichstags. Viele sind gestorben, Manche haben sich, müde
des Kampfes, zurü.ckgezogen von dem Schauplatze der Oeffentlichkeit, Andere
wiederum wurden wider Willen durch die launische Volksgunst fortgespült von
dem heissumworbenen Platze. Mancher charakteristische Kopf ist nicht mehr
sichtbar unter den 397, die fortan die neuen Prachtsäle bevölkern.

Auch aufdenPlätzen,
die der Bundesrath ein-
nimmt, ist der Wechsel
der Zeiten deutlich ge-
worden. Nicht einer von
den Männern, die vor
einem Vierteljahrhundert
die Autorität der Bundes-
fürsten vertraten, nimmt
im neuen Hause den
Kampf auf. In der Ein-
samkeit von Friedrichsruh
weilt Fürst Otto von Bis-
marclc, demjetztdieNation
vor dem Reichstagsge-
bäude ein Denkmal zu
errichten sich anschickt.

Der tapfere Bayer Lutz,

Varnbüler, der bekehrte
Württemberger Particu-
larist, GrafFabrice, der Reorganisator der
sächsischen Armee, sind todt. Von den
preussischen Ministern ist keiner mehr im
Amte. Graf Albrecht Roon ruht längst aus
von den Mühsalen der Conflictszeit, Falk
lebt in politischer Zurückgezogenheit in
Hamm, und auch der fromme Sänger des
Liedes „Grad’ aus dem Wirthshaus komm'
ich heraus“, Heinrich von Mühler, ängstigt
sich nicht mehr vor der entsittlichenden
Wirkung nackter Figuren. Selbst von den
Männern, denen noch vor wenigen Wochen
bestimmt schien, als Vertreter Preussens
die parlamentarischen Schlachten zu schla-
gen, sind Manche noch in letzter Stunde
verschwunden, Graf Caprivi voran. Jetzt
wird als der vornehmste Vertrauensmann
des Kaisers Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-
Schillingsfürst, der damals, als man den
Neubau beschloss, der erste Vicepräsident
des Hauses war, den Debatten einen neuen
Stempel aufprägen. Wie er einst durch
die vornehm-ruhige Weise des echten
Aristokraten sich das Vertrauen der parla-
mentarischen Collegen gewann, so wird er
ohne Zweifel auch künftighin in sachlich-
maassvoller Weise die Ansichten der Re-
gierung vertreten.

Fürst Hohenlohe ist kein schlagter-
tiger Redner, er wird die Führung der
Debatte seinen gewandteren Gehülfen,
den Herren von Köller, von Boetticher,

Graf Posadowsky und Miquel überiassen.

Herr von Köller hat sich die parlamen-
tarischen Sporen schon in den Jahren
1881 —1887 verdient, da er als konservativer
Percy mit Eugen Richter erbitterte Schar-
mützel lieferte. Für seine Reden erntete
er damals vielfach dankbare Fleiterkeit.

So vor allem, als er am 1. Juli 1883 ge-
hobenen Muthes ausrief: „Meine Herren,
ich bin in meinem Leben noch nie ver-
legen gewesen.“ Im reichsländischen Ver-

lvaryatiden im Sitzungssaal.
Originalzeichnung von E. Thiel.

waltungsdienste diirfte Herr von Köller manche Kante abgeschliflen und sich W e* ir
auf den Ton des vielgewandten Herrn von Boetticher eingestimmt haben. Herr von
Boetticher ist in der That das Muster eines Sprechministers. In allen Gebieten
leidlich zu Hause, spricht er nie aggressiv, stets jovial, am liebsteri die Hände in den
Hosentaschen. In den Mussestunden ist ein flotter Skat seine Lieblingserholüng-
Sein wohlwollend gerundetes Antlitz und das behäbige Bäuchlein machen es
verständlich, dass er bei der Berathung des sogenannten Klebegesetzes den
menschenfreundlichen Satz „leben und leben lassen“ als seinen Wahlspruch p r°'

n 11

kiamirte, wobei allerdings das Echo Bamberger’s „kleben und kleben lassen

recht bösartig klang. Graf Posadowsky.
der Kassenwart d,es Reichs, spricht fl ieS'
send und gewandt, wenn auch nicht so
lebhaft, wie Herr von Boetticher. Setn
Gebiet, das weite Reich der Zahlen, bietet
wenig Raum, sich in poetischen Bildern
zu ergehen. Man hat ihn anfangs vielfaeh
unterschätzt und ihn nur für eine Nuh
gehalten, die erst durch den Einer Miq ue^
eine gewisse Bedeutung erhalte. Man hat
sich geirrt; der elegante Herr mit detn
Backenbarte im Stile Puttkamers hat sich
als eine tüchtige Arbeitskraft bewährt-
Allerdings. tritt er bedeutend zurück vor
Herrn Miquel, dem einstigen Oberbürger'
meister der guten Städte Osnabrück und
Frankfurt, den der Kaiser mit dem Wort e
„das ist mein Mann“ geehrt hat, obwohl
er einst für Marx und Engels schwärmt e
und für Bauernaufstände sich begeisterte-
Miquel ist einer der ältesten Parlamen -
tarier, schon dem Norddeutschen ReichS'
tage gehörte er an, nachdem er, wie setn
Freund Bennigsen, als Mitbegründer des
Nationalvereins für grossdeutsche Ideen
gewirkt hatte. Aus einem nicht sonderlich
schönen, aber interessanten Gesicht, das
von einem kurzen, grauen Vollbart uiU'
rahmt ist, blicken ein paar kluge, durch-
dringende Augen, die von ungewöhnlicher
Begabung zeugen.

Von den Vertretern der einzelnen
Staaten tritt in den parlamentarischen

Kämpfen kaum Einer besonders markant
hervor. Ueber das Maass ihrer ArbeitS'
kraft und ihre Beredsamkeit lässt sich
schwer ein Urtheil erlangen, da von den
Berathungen des Bundesrathes nichts
in die Oeffentlichkeit dringt. Einzelne
seiner Mitglieder, so der bayrische Ver-
treter, Graf Lerchenfeld, und der Vertreter
Sachsens, Graf Hohenthal, spielen in dem
gesellschaftlichen Leben der ReichS'
hauptstadt eine hervorragende RolI e-
Dergrosse Reichthum des Fürsten Hohen'
lohe und seine Absicht, seinen Haushah
im grössten Style anzulegen,- dürfte i n
der Saison einen neuen, glänzendeU
Mittelpunkt diplomatischer und parlameU'
tarischer Geselligkeit schaffen.

Auf dem prächtigen Sessel hes
Präsidenten hat auch im neuen Hause
wieder Herr von Levetzow Platz genom'
men. Es ist ja sicherlich eine hohe Ehre.
unter den Vertrauensmännern des deut-
schen Volkes wieder der erwählte Ver-
trauensmann zu sein, aber eine Sinecure
bildet das Amt nicht. Wenn ch e
Collegen, die mehr im Dunkel der G e'
sammtheit verschwinden, sich oft wocheU'

11P

lange Erholungspausen gönnen,

wenu

sie aus abwechselungsbaren Sitzungeu
behende zum Büffet eilen, um sich a°
 
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