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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Liman, Paul: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [3], Im neuen Reichsheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0212

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MODERNE KUNST.

121

^erühmten Glase Sect zu erlaben, dann
(ji er unentwegt Stand halten. Nur selten
er seinen Vertretern, dem süd-
Sc«en Centrumsmann Frhr. von Buol-
]. retlt>erg oder gar dem nationalliberalen

h. en<äanten

Sn,

ig

aus Kailsruhe, Herrn Albert

die Führung der Geschäfte. Herr
'oit i 0

Hjjj J- evetzow führt itn Ganzen ein recht

es Regiment, milde duldet er es selbst,

"etin . ö

^ einzelne der Kämpfer sich im Laufe
"Persönlichen Bemerkungen“ allzu spitze

Mgl.

h enswürdigkeiten sagen. Eine kleine

4ie

' Väche liegt in seiner Vorliebe für Citate,
er nicht immer ganz glücklich anwendet.
Schloss er eine Session des Parlamentes


hem bekannten Worte: „Morituri te
atlt, Caesar.“

^as Bureau des Rcichstags bilden ausser
drei Präsidenten acht Schriftführer und

,. e* Quästoren. Die Schriftführer wechseln

"Üt

5"ft

e'nander ab, wenn es gilt, durch Namens-
^ ri'f oder im „Hammelsprung“ die Häupter

Jt

Lieben zu zählen, die mit „Ja“ oder
6lri“ stimmen. Solche Abstimmungen sind
n'cht so gefahrlos. Wie leicht stimmt
r pro, der sich eigentlich contra er-

■'He

^r,

, en wollte! Hat doch sogar bei der

e* 2ten Abstimmung über die Jesuiten der
- - -

^it,

ere Centrumsmann Gröber unter grosser
ei'keit sein Nein in den Saal gerufen!
lst übrigens ganz interessant. zu sehen,

>h

"Velchem Eifer sich Einzelne bemühen,

ein protokollfähiges „Oho“ oder „Hört,
sich ihren Wählern in wohlwollende

,^ ntlerung zu bringen. Manchmal passiren

j, erdings mit solchen Zwischenrufen auch
^finehmlichkeiten, namentlich wennEiner
r Qiscussion nicht ganz aufmerksam folgt
. wie einst Dr. Hermes, an der unpas-
j^dsten Stelle sein „Unverschämt“ anbringt.
c e,ri alten Unruhe-Bomst passirte es sogar
j. rr'al, dass er beim Hammelsprung durch

'alsche Thür cintrat.

Abgesehen von den jüngeren Talenten,
n bisher kaum Gelegenheit geboten

'Vjw,

r ’ rednerisch besonders hervorzutreten,

,eiie:

"bd,

'l:

en sich doch auch heute noch trotz

, 5tlcher

%

%

tendenziösen Klagen über den Rückgang des Parlamentarismus
reiche, hervorragende Politiker und Redner im Parlamente. Da ist vor
ern der greise Rudolf von Bennigsen. der Führer der Nationalliberalen.
Mann, der wegen seiner maassvoll ausgleichenden Art auch bei den
j, Utertsten politischen Gegnern sich vollkommenster Hochachtung erfreut.

Re(jen_ üie sich durch abgerundete Form und lichtvollen Aufbau in hohem
h" aSse auszeichnen, werden mit gespannter Aufmerksamkeit gehört. Herr von

j, lrilgsen hat seinen Platz seit Jahrzehnten ganz vorn an der Spitze seiner
j^ action. Neben ihm sitzt der Vertreter von Duisburg, Dr. Hammacher, der im
I A’olutionsjahr gezwungen wurde, den Staatsdienst zu verlassen, der aber seit

V,

Sein

|, Sen Jahren einer der niaassvollsten Vertreter des Liberalismus ist.
j 5ctlonsgenosse, der jetzt 80jährige von Benda, ist eines der ältesten Mitglieder
Reichstags: Namen von Bedeutung tragen ferner von Cuny, einer der
,j r'Ssten Förderer der Justizgesetze, der Staatsrechtslehrer v. Marquardsen,
Socialpolitiker Möller, der eifrige Osann und der Etatsredner Enneccerus.

(je Auf der rechten Seite des Ilauses hat Graf Herbert Bismarck als Hospitant
p Conservativen seinen Sitz eingenommen. eine stattliche Erscheinung mit
l S'schem Gesicht. Er liat bereits wiederholt das Wort ergriffen. namentlich
o es mehrfach zu heftigen Duellen zwischen ihm und dem Grafen Caprivi.
,• Bismarck spricht etwas heftig, die Worte überstürzen sich vielfach; immer-

h uberragt er das Mittelmaass durchaus, auch wenn er nicht über das gewaltige
jj.*' 108 seines Vaters verfügt. Der eigentliche Führer der Conservativen ist Graf
,.j^ ach, zugleich das Haupt der Steuer- und Wirthschaftsreformer. Er ist ein
sf - a,tter Redner, der nie den Gegner verletzt und selbst scharfe Provokationen
V, 10 concilianter Forrn ablehnt. Leidenschaftlicher spncht Grat Kanitz, der
djj des geflügelten Wortes von den geflickten Strohdächern der Gutsbesitzer.

Schlanker Herr mit leicht ergrauendem Vollbart. Er und der Graf Limburg-
w, nrri 'varen die schärfsten Vertreter der Fronde gegen die Handelsverträge,
man absehen will von dem hitzigen Ilerrn von Plötz und dem bayrischen
"ern“ Lutz, den Wanderaposteln des Bundes der Landwirthe.

V0| ^ine der markantesten Erscheinungen ist der Führer der Reichspartei, Herr
11 ^ardorff, der in seiner Fraction gegen Herrn von Stumm den agrarischen

Beim Hammelsprung.
Originalzeichnung von E. Henseler.

Flügel vertritt. Er gilt als einer der eifrigsten Freunde des Fürsten Bismarck,
dessen Kriegspolitik er schon 1866 gegen die Kreuzzeitungsmänner vertrat.
Kardorff ist vielleicht der schlagfertigste Redner des gesammten Reichstags; stets
kampfbereit, legt er in seine Ausführungen sehr gern scharfe, persönliche Spitzen.
Grosse Heiterkeit erregte es einmal, als ihm nach einer besonders kräftigen Rede
sein Gegner, der behäbige Alexander Meyer, gutmüthig seine Schnupftabaksdose
anbot. Bekanntlich hat Herr von Kardorff auf der Mensur seine natiirliche Nase
verloren und behilft sich seitdem mit einer künstlichen, die er Sonntags durch
ein besonders schön gearbeitetes Exemplar ersetzt. Herr von Stumm, der ganz
in seiner Nähe sitzt, der „König des Saarreviers“. ist eine elegante Erscheinung
mit wohlgepflegtem Bart. Er hört sich gern sprechen, ist jedoch nicht immer
zu verstehen, weil er. ohnehin nicht mit einem besonders starken Organ begabt,
ausserordentlicn schnell, oft sogar überhastet spricht.

Das Centrum hat durch den Tod Windthorst's einen immer noch nicht er-
setzten Verlust erlitten. Weder seine Redegabe, noch seine Autorität, noch
seine diplomatische Finesse hat er einem seiner Nachfolger vererbt. In neuerer
Zeit tritt besonders Dr. Bachem hervor, ein noch jüngerer Mann aus den Rhein-
landen, Mitglied der bekannten Kölner. Familie. Seine Rede gegen den Antrag
Kanitz konnte als ein oratorisches Meisterstück gelten; sie stellte ihn mit einem
Schlage an die Spitze der Bewerber um Windthorst’s erledigten Thronsessel,
den weder Herr Lieber noch Herr Gröber dauernd besitzen dürfte. Herr Lieber,
der anfangs die Führung erhielt, hat es allerdings versucht, sich in den Irrgängen
Windthorst’scher Taktik zurechtzufinden; es ist ihm jedoch wenig gelungen.
Den officiellen Vorsitz im Centrum führt Graf Hompesch, dessen Thätigkeit jedoch
nur im Verlesen von Erklärungen besteht. AIs Redner treten hier und da noch
hervor die Herren Dr. Hitze, Lingens, Rintelen, Spahn und von Strombeck.

Stark zusammengeschmolzen, wenn auch noch immer reich an Talenten,
sind die beiden freisinnigen Fractionen. Da erblickt man vor Allem den mar-
kanten Kopf des Abgeordneten für Hagen, Eugen Richter, wohl des eifrigsten
Parlamentariers itnserer Zeit. Sein starkknochiges, kräftig ausgebildetes Gesicht
zeugt von einer bis zum Eigensinn gesteigerten Zähigkeit. Im Besitze einer
ausserordentlichen Arbeitskraft, namentlich zu Hause auf finanzpolitischem Ge-

\

IX. 8 III.
 
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