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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Bohrdt, Hans: Neujahr in der Marine
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0221

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130

MODERNE KUNST.

den das stärkere, schnellere Schiü
Missgeschick und widrige Winde aufgehal te '
nicht zu erreichen vermag.

Und wie verschieden bere'chnen
Menschen ihren Curs. Einige machen
wahre Besteck nach Göttes ewigen Gestiic 0
auf, andere das gegisste nach ihren
fahrungen, wieder andere peilen sich schi ll;
weise vorwärts, während viele dahintreib el
ohne Curs und Ziel.

Ernst wie das wogende Meer ist
Leben. Wer an der Jahreswende das Lon
buch seines Lebens durchblättert und ^ 1
vielen Irrthümer, Rechnenfehler und M läS
weisungen durchlaufener Curse gewaD >
der möge mit Ernst und festem Wills 11 al

° J

der Berichtigung aller Fehler arbeiten u
den rechten Curs fest und sicher abstecke 11
Dann ist der Weg frei, möge es stün 11111
und wehen, mögen Klippen und Untief £l
drohen. Bricht trotzdem das Leberßschi^
zusammen, so soll der Commandant auf d eI
Brücke als der Letzte ausharren und iw L e
wusstsein, seine Pflicht gethan zu haben, slC^
in das Unvermeidliche gottergeben füg eI1'
Der Seemann selbst steht allen diesen poetischen
gleichen ziemlich skeptisch gegenüber, ja es mag wenig e
geben, die der Ernst der Stunde des Jahreswechsels z ul11
Nachdenken anregt.

Der eintönige, straffe Dienst lässt es auch auf S ee
nicht zu jener heiteren ungebundenen Fröhlichkeit koü 1
men, der ein Landbewohner in der Sylvesternacht sic^
hinzugeben pflegt, ja für den Seemann fängt das Jahr eigentlic' 1
garnicht in der Mitternachtsstunde an, sondern Mittags, wenn d' e
Sonne durch den Meridian geht, da alle Berechnungen, Zeit- u°
Diensteintheilungen von jenem Augenblicke an gemacht werd el1'
Während daheim auf dem festen Lande um 12Uhr Nach s
die Gläser aneinander klingen, geht der Seemann entwed el
schmunzelnd zur Koje und gedenkt einen, wenn auch nicht lang el1'
so doch erfrischenden Schlaf zu thun, oder er steht, aufgerüttc 1
durch den Klang der Schiffsglocke, mürrisch auf, um die schlsd 1
teste aller Wachen, die näch Mitternacht —• zu beziehen. ^ ie'
leicht kommt auch gleich bei seinem Erscheinen an Deck d as
Commando zum Manövriren, so dass ihm jede Lust und Z el
fehlt, daran zu denken, dass der liebe Herrgott nun wiederum el11
Jahr zu den Acten gelegt hat.

Doch so ganz ohne jede Poesie geht die Sylvesternacht aud 1
auf See nicht an den Menschen vorüber, ja es soll häufig in d el
Koje des Botteliers und in der Cadettenmesse verdächtig na L
Grog riechen.

Auch der alte Oberbootsmann, der schon mänches Neujahr in Hi t?e
und Kälte hat vorüber gehen sehen, lässt es sich nicht nehmen, in h e
sonders feierlicher Weise die acht kurzen Schläge an der SchiffsglocH'
die an Bord die Mitternachtsstunde und zugleich den Wechsel der Wach e
bedeuten, zu läuten. Etwas weicher als sonst ruft er die Leute an D eCh>
und wenn sie schlaftrunken erscheinen, so bietet er ihnen wohl ein kui'Z e >
herzliches Prosit Neujahr.

Da jagt eine Corvette beim heftigsten Schneegestöber und schwei el1
Winde durch die aufgeregten Wogen der Nordsee. Schaum und Gi sC^
spritzt am Bug empor, grüne Seen fegen über das Deck hin. Von d el

J1 ^

Masten und Tauen herab klingt und kirrt es von fallenden Eiszapfen, °
die Kälte der vorigen Tage hat entstehen lassen. Der Wind heult dur
das Takelwerk, aus dem Schornstein quellen dichte Rauchwolken.
Maschine setzt ihre ganze Kraft ein, um das Schiff durch den wus
Wogenschwall zu treiben. Auf der Commandobrücke klammert sich ^ e
wachthabende Offizier an die Reiling. Sein scharfes Auge sucht ^ 1’
Finsterniss vor ihm zu durchdringen. Da erklingen die acht Schläge

JAin neues Jahr! Aus dem Meere der Ewigkeit, den lichtblauen
Wogen der Zukunft steigt es empor, während das alte in die stillen, tief-
schwarzen Wasser der Vergangenheit hinabsinkt.

Die Lebensschiflfe der Menschen streben der duftigen, hoffnungs-
freudigen Ferne entgegen. Da giebt es schnellfüssige Dampfer und stolze
Klipper, gemächlich dahingleitende Kuffs und hülflos treibende Wracks.
Einige nehmen Curs auf kurze, bescheidene Ziele, anderen ist die fernste
Ferne zu nahe. Manches stolze Fahrzeug, das, ausgerüstet mit gewaltiger,
treibender Kraft alle Mitsegler überholte, bricht nach kurzer Zeit zusammen,
während schwerfällige, plumpe, dumme Kasten in günstige Strömung ge-
rathen und mit achterlicher Briese gemächlich in den Hafen einlaufen,

„Prosit Neujahr, flerr Kamerad!

Originalzeichnung von Hans

B o h r d t.
 
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