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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Bohrdt, Hans: Neujahr in der Marine
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0222

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MODERNE KUNST.

^ chiffsglocke — Neujahr —. Auf Augenblicke schweift sein Geist zurück
^ie Jugendzeit. Um diese Stunde war es, als Vater und Mutter ihn
Clßst an das Herz zogen und alle Segenswünsche vom Himmel herab für
blühenden Knaben erflehten. Alle die Lieben sind dahingegangen,
^ as Schiff ist seine Heimath geworden. Er ist einsam geworden. Und
^° ch nicht einsam! Schwere Tricte poltern die Treppe empor „Prosit
^ujahr, Herr Kamerad“ tönt es herauf und eine kräftige Hand schüttelt
seine. Der zweite Officier bezieht die Wache und bringt ihm den
c‘ rsten Gruss im neuen Jahre. Ein rascher Blick nach voraus, ob das
^ ahrwasser frei ist, dann ein kurzer Pfiff und aus der Tiefe taucht die
*^ rdonnanz mit zwei grossen, gefüllten Groggläsern empor. Nun ange-
st°ssen — Auf ein glückliches Neujahr! Inmitten der tosenden Elemente,
aiIf schwankender Commandobrücke klingt das so lieb und traut wie einst
Jugendzeit im Elternhause. Gute Kameradschaft ersetzt alles.

Tiefer blauer Himmel wölbt sich über das rothe Meer. Friede lagert
aher der grossen Wasserwüste. Es ist Neujahrsmorgen. Eine Kreuzer-
c° rvette durchschneidet mit scharfem Buge die glatten Wogen. Vor der
h^ennenden stechenden Sonne flüchtet sich jeder, so gut er kann, an
lr§end einen Schatten spendenden Platz. Matt und träge verrichten Of-
h^iere und Mannschaft ihx-en Dienst in diesem Sonnenbrande und gedenken
htit Wehmuth der wohlthuenden Temperatur, die jetzt in der Heimath
^rrschen mag. Die Stunden der Wache schleichen dahin.

Da meldet der Ausguck: „Dampfer voraus an Steuei'bordbug!“ Ein
' venig Leben komrnt in die Leute. Man freut sich, Gefährten in dieser
^üste zu haben. Unterdess taucht das entgegenkommende Fahrzeug
Schnell über den Horizont empor. Bald lässt die straffe, vierkant stehende
^akelung erkennen, dass es ein Kiüegsschiff ist. Jetzt werden die Fern-
r°hre eifi'ig auf den Gegensegler gerichtet, und bald ruft der Offizier von
^ er Commandobi'ücke: „Jungens, das ist ein Deutscher!“

Nun komrnt ei'st rechte Bewegung in die Blaujacken. Schrille Pfiffe
^ er Bootsmannspfeifen ertönen, Commandoworte ei’schallen: „Klar bei der
f laggenleine! — Signalgäste!“ —Vei’gessen ist alle Miidigkeit. Dort sind
^ndsleute und heute ist Neujahr, da rnuss der Gruss besondei-s kräftig
^üd innig ausfallen.

Die Fahrzeuge nähern sich schnell einander. Die Nationalflaggen

Senken sich gleichzeitig von der Gaffel hei'ab. Arn Grosstop aber steigt

das aus zweimal vier Flaggen zusammengesetzte Signal: „Ein recht glück-

liches Neujahr“ empor. Dann enteirn die Blaujacken in die Wanten auf,

ein dreimaliges kräftiges Hurrah schnellt über den Wassern des
f

ernen Meeres von Bord zu Bord. Bald sind die Schiffe wieder feni von
e,üander, das eine eilt, um die Flagge in Afrika zu zeigen, das andere
strebt der Heimath zu. Der Gi'uss, den sich im Vaterlande urn die Mittei'-
^chtsstunde Leute, die sich nie gesehen, auf der Strasse zurufen, gewinnt
^ ier, auf dem Meei'e, das die Welttheile scheidet, besondere Bedeutung.
”^ögt Ihr di'üben viel Neues erleben!“ „Mögt Ihr zu Hause Alles beirn
^ten finden!“ So lassen sich die Neujahrswünsche von Boi'd zu Bord
et' va ergänzen.

Sind unsere Mati'osen auf dem festen Lande, so sind sie in der
^ eujahi'snacht keineswegs Philistei'. Jan Maat hat von jeher einen guten
^ünsch oder Grog, wobei das Wasser wenig oder gar keine Rolle
sPielt, gei'n gehabt. Auch ei'greift ihn, sobald er die Deckplanken seines
^chiffes verlassen hat, häufig ein Hang zu übei'grosser Eröhlichkeit, die
1=1 ja an Bord der straffen Disciplin wegen entbehren rnuss. Die Hafen-
Wätze wissen von seiner tollen Ausgelassenheit zu erzählen. Selbst wenn
festen Boden unter den Füssen fühlt, macht er sich durch den schwan-
eüden Gang bemerkbar, der sich dann nicht mehr durch das Rollen des
chiffes entschuldigen lässt. Wer sein Leben täglich auf’s Spiel setzt,
'Ü es auch einmal geniessen, wenn er es ausnahnxsweise ungefährdet
Der Seemann ist kein Sparer, weil ihm der Gedanke an ein hohes
^ lter, an den ruhigen Genuss der Sorgenfreiheit, fern liegt.

Auch die Liebe spielt in seinem Leben eine grosse Rolle, und nanxent-
lcil empfindet er den gx'össten Reiz in der Verschiedenheit der angebeteten
^bjecte. Es heisst beim Seemanne nicht nur „Andei'e Städtchen, andere
a<lchen“, sondern auch — „Ueber’s Meer — andere Couleur“, und ein

echter, rechter Kerl muss sich auch in alle Hautfarben schon einmal ver-
liebt haben.

Zu Hause in Kiel sitzt die Karleen und weint sich die Augen aus
nach dem im Kreuzei'geschwader dienenden Liebsten. In der Sylvester-
nacht giesst sie di'eimal Blei und wahrsagt aus den gewässei'ten Blei-
klumpen sich rnehr wie einen Brautkranz heraus. Und was macht der
schöne Paul in Afrika? Am Neujahrsabend hat er sich Ui'laub erbeten,
ist an Land gegangen und hat sich in der venda de vinhos eine grosse
Elasche Rum gekauft. Dann hat nxan ihn mit der kleinen kaffeebi'aunen
Orangenvei'käufei'in Manuela in zärtlicher Umai'mung beim Mondschein
unter den Cocospalmen der Fazenda bi'anca lustwandeln sehen.

Spät, weit über seinen Ui'laub hinaus und nicht ganz seefest, ist er
ei'st an Boi'd gekommen, hat dann mehrei'e Male seinen Bootsmann unx-
ai'men wollen und in einem fort vor sich hin phantasirt „desco a voce
un anho novo mi coi'a<;ao“. Tags darauf hat er drei Stunden Strafexercii'en
deswegen bekommen. Auch der schöne Paul sollte nicht ungestraft unter
Palmen wandeln.

Mögen die vorliegenden Skizzen aus dem Leben des Seemannes dem
Leser beim Sylvestei'punsch ein freundliches Gedenken derer wachrufen,
die da draussen in fernen Meeren unsei'e Flagge in Ehren halten.

Wir aber heissen unter dem Schutze der Hohenzollernstandarte und
der Flagge des deutschen Volkes hoffnungsfroh das Signal 1895 und bieten
somit allen unseren Freunden ein kräftiges

Pi'osit Neujahr!

Acht Glas in der Sylvesternacht.
 
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