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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Wohlbrück, Olga: Der stille Compagnon
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0399

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3io

stille

Compagnon.

Von Olga Wohlbrück.

fh wie schön, wie herrlich schön ist doch das Leben!“ ruft die kleine
Frau jubelnd aus und wirft sich ihrem Mann an den Hals.

„Sehr schön,“ bestätigt der Mann, — „wunderschön . . . nur ein
bischen theuer.“

„Pfui, wie hässlich, an Zahlen zu denken, während Du an nichts denken
müsstest als an mich und nur an mich,“ schmollt sie und droht mit dem
ringglitzernden Finger.

Aber im selben Augenblick greift sie auch schon wieder nach dem
Zeitungsblatt, das sie vorhin in der Hand gehalten, und liest nochmals
mit vor Erregung zitternder Stimme:

„ . . . Geradezu Aufsehen erregend war bei dem Subscriptionsball die
Toilette der jungen und schönen Gattin des Banquiers Tandrup; die kost-
bare Robe soll einem grossen Pariser Modesalon entstammen . . .“

„Macht Dir das nicht Spass, Andreas, sag’?“

„Wenn Du Dich so freust, Schatz, gewiss . . .“

„Du, und anregend ist so eine Zeitungsnotiz . . . grossartig anregend.
Ich habe jetzt wieder die prachtvollsten Ideen für meine neuen Toiletten.
Also weisst Du, zur Hochzeit meiner Cousine, da lasse ich mir . . .“
„Aber, Alice, wer wird denn nur an Lappen denken ..."

„Lappen . . . sagst Du, Lappen?“

„Nicht gleich bös' werden, Kleine . . . so ist es ja nicht gemeint, aber
sieh’, wir sind noch jung und bei aller Wohlhabenheit doch keine Millionäre,
da müssen wir uns eben ein wenig einrichten; ich sage nicht einschränken . . .
Und dann . . . wenn . . . nun . . . wenn wir nicht mehr allein sind, dann
haben wir Pflichten und Sorgen, dann . . .“

Alice wird ein wenig roth und lächelt vor sich hin. Dann schlägt
sie ihre schönen braunen Augen in feuchtem Glanze empor und schmiegt
sich in den Arm ihres Gatten.

„Ach ja, Andreas . . . das wird schön sein, wunderschön . . . ich denke
auch daran. Wenn ich beim Baby-Bazar vorbeigehe, da bleibe ich immer
vor der Auslage stehen und sehe mir die Kinderausstattungen an. Was
sind da für Sachen . . . ich habe auch schon meine Auswahl getroffen.
Natürlich muss alles aus feinem Batist sein mit Spitzen . . .

Ein wenig verstimmt, lässt Andreas seinen Arm herabsinken.

„Wir haben aber noch andere Pflichten, als blos die der Ausstattungs-
wahl . . .

„Oh ja, gewiss, ich weiss . . . Ich weiss überhaupt alles ganz genau,
wie es sich passt, wie es sich schickt, und ich werde mein Kind darum
nicht weniger lieb haben, weil es in Batist gebettet ist, anstatt in grober
Leinewand.“

Darauf lässt sich nichts erwidern, und Andreas geht mit einem
kurzen, wenn auch frenndlichen „Adieu, ich muss jetzt in’s Comptoir“ aus
dem Zimmer.

Er lächelt, w'ährend er seine Ordres giebt, Aufträge entgegenninnnt
und kann es kaum abwarten, bis er wieder zu Hause ist. Da erwartet ihn
eine kleine Ueberraschung. Auf seinem Schreibtische steht eine ent-
zückende Broncestatuette von Barbedienne.

„Sie war so schön — ich konnte mich gar nicht von ihr trennen,“
sagt Alice lachend, „da bin ich rasch nach Hause gefahren, habe mein
ganzes Wirthschaftsgeld zusammengerafft, bin wieder fortgefahren und
habe die Statuette gekauft . . . nicht für mich, nein, für Dich, hörst Du,
für Dich! Na, was sagt man da?“

Sie streckt ihm mit allerliebst graziöser Bewegung die Hand zum
Kusse und wundert sich, dass er finster die Brauen zusammenzieht.

„Hab' ich wohl wieder eine schreckliche Missethat begangen, was?“
fragt sie leise.

Und da der Mann nicht antwortete, schleicht sie, wie ein gescholtenes
Kind, mit gesenktem Kopfe zum Tisch und schöpft die Suppe auf. Es
wird gar nicht gesprochen. Es herrscht eine beängstigend feierliche Stille.
Nach Tisch steht der schreckliche Mann auf und geht in sein Zimmer,
dann geht er aus, ohne Alice Adieu zu sagen. Das hat sie nun davon,

dass sie ihm eine Freude machen wollte.

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So eine Kleinigkeit! Die P 1 ^
hundert Mark werden ihn doch nicht umbringen. Sie ist beinah emp ul
Nun, sie wird ihm diese paar hundert Mark ersetzen. Sie fährt zu ihr e
Vater. Es ist spät und sie kommt ihm ein wenig ungelegen. Er i st
Soireetoilette, ein starker Parfum geht von ihm aus.

„Was giebt’s, Kleine?“ frägt er, und da er ihre rothgeweinten Aug
bemerkt, fügt er gutmüthig hinzu: „Was hat er verbrochen?“

In fliegender Eile erzählt Alice von ihrem Einkauf und wie ihr Ma' 1
ihr denselben übelgenommen.

„Weisst Du, Papa, das ist mir schrecklich! Du musst mir die P aa
hundert Mark geben, ja, willst Du, mein goldenes Papachen?“

Sie streichelt seine vollen, fahlen Wangen und sieht ihn gar bih e®
mit ihren schönen Augen an. Sie weiss, er wird jetzt mit der Hand in

di e

linke Brusttasche greifen, wird sein Portefeuille herausnehmen und ihr

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lachend, halb polternd die blauen Scheine einhändigen. Aber nein, ru e

hts

von alledem geschieht. Er wendet sich ein wenig ärgerlich ab und brurm 11
„Thut mir leid, Kind, aber augenblicklich bin ich selbst nicht bc
Cassa. Vierzig, fünfzig Mark kann ich Dir allenfalls geben — da!
nun geh, Kind, geh . . . ich werde erwartet. Und dann: Dein Mann ba
Recht. Gar so hinauszuwerfen brauchst Du das Geld auch nicht. ^ a'
findet’s nicht auf der Strasse, weisst Du. Man muss sich sehr plagen, u:1
Geld zu verdienen, sehr plagen . . . verstehst Du?“

Alice ist wie erstarrt. Sie sieht ihren Vater an, als hätte sie plötzü ch
einen fremden Mann vor sich stehen. Mechanisch steckt sie die

üb'

stücke in ihr silbernes Kettenbörschen, mechanisch giebt sie ihm den
lichen Abschiedskuss und eilt dann, so rasch sie kann, nach Hause.
sie nimmt es sich fest vor, sie wird sparen, schrecklich sparen . • •

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vergessen zu haben scheint und immer bereitwillig auf die grossen
kleinen Wünsche der jungen Frau eingeht, so kommt es eben über

wird an allen Schaufenstern mit geschlossenen Augen vorübergehen,
wird immer einen Wagen nehmen, um der Versuchung, vor den AusDS
stehen zu bleiben, nicht zu unterliegen.

Einige Jahre vergehen. Alice Tandrup ist überglückliche Mutter, b
kleines Mädchen liegt, wie sie es sich erträumt, in einer Wolke v°
Battist, trägt auch einen wundervollen Mantel aus weisser Ottomane
Federbesatz . . . kurz, es ist alles so, wie Alice es sich gewünscht b a
Aber sparen hat sie in der Zeit nicht gelernt. An Vorsätzen dazu

es ihr nicht, aber da ihr Vater seine lange einmalige Moralpredigt wi edc

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di e

Vorsätze nicht hinaus. Da trifft Alice plötzlich ein harter Schlag : ^
Vater stirbt. Sein Tod ist so plötzlich, so unerwartet, dass die kl eU '
Frau sich eines unheimlichen Grauens nicht erwehren kann, umsoru e
als sie hört, dass ihr Vater die letzte Zeit sehr unglücklich speculirt ba
Zufällig, in einem Zeitungsblatt, in demselben, das vor mehreren J abl£
ihren Triumph verkündet hat, liest sie, dass ihr Vater nichts hinterla sSC'
hat, als eine glänzend eingerichtete Wohnung, aus deren Erlös wohl. ^ ^
Beerdigungskosten gedeckt werden müssten, wenn der Verblichene lllC
nahe Verwandte hätte.

Tandrup trifft seine kleine Frau, wie sie eben mit thränenüberström te
Antlitz die Zeitungsnotiz liest. Er ist sehr blass und reisst ihr das r> ‘ ^
aus der Hand, aber sie schlingt beide Arme um seinen Hals und schh lC
laut auf.

„Der arme Papa! Und ich glaubte immer, er wäre reich.“

„Er verdiente viel, das ist nicht dasselbe.“

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Er will noch einiges hinzufügen, aber die kleine Frau thut lhß



leid in ihrem Kummer, dass er sie nur fester an sich zieht und ihr tros
zuspricht.

Eines Tages, Alice kornmt gerade mit dem Baby von einer Sp a

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al s

fahrt heim, tritt Tandrup unerwartet in ihr Zimmer. Er ist ernste 1 ^
gewöhnlich, auf seinem sonst so offenen, freundlichen Gesicht, H eS
Zug fester Entschlossenheit.
 
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