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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [11]: Roman
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Conrad-Ramlo, Maria: Augen: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0490

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4o6

MODERNE KUNST.

Da stieg eines Abends auf der Bergtreppe in Rüdigs Berg Martha
Leiser in einem weissen Hochzeitskleide an der Seite Rüdigs hinauf, der
auch seinen Bräutigamsrock angethan hatte.

Da lagen auf der Treppe noch die Blümchen, welche die kleinen
Hände der Kinder gestreut hatten, und Martha bückte sich, sammelte
einige und steckte sie vor ihren Busen. Als sie hinauf auf die Plattform
traten, war die Sonne im Untergange, das ganze Land unter ihnen
rauchte, in einen überirdischen Schimmer getaucht, die abendlichen Berge
schienen der Sonne entgegen zu athmen, tiefer, gesättigter Frieden herrschte
überall in der Fülle des Lichtes und der Erscheinungen. Goldig glänzend
verlor sich der Strom in die engere Felsenpforte und glühend erleuchtet
zogen die Segel gespannt einer weiten, selig verborgenen Ferne zu.

Da setzte das neue Ehepaar sich unter den Birnbaum und blickte
lange unter sich in die weite Welt. Die rothgoldnen Sonnenlichter fielen
auch auf den eignen Berg, dessen Boden jetzt ganz mit den kleinen,
grünen Erdbeersträuchern bedeckt war; das mühselige Werk der An-
pflanzung war vollendet, und milden Segen schien der Abendglanz der
Sonne darüber auszuschütten.

Als sie eine Weile so nebeneinander geruht hatten, ging Rüdig in’s
Haus. Sie hörte ihn in den Keller steigen, der fast leer war, denn sie
hatten alle Weine, die dort noch lagerten, verkauft, um Geld für die Neu-
pflanzungen in ihrem Besitzthum zu haben. Nach einer Weile kam Rüdig
mit einem kleineren Kruge und einem Glase wieder heraus, setzte beides
auf den Tisch und schenkte langsam und mit eigener Bewegtheit das Glas
voll. Dann i'ückte er es stumm vor die Braut hin und sagte mit halb
erstickter Stimme: „Es ist der Letzte, Martha!“

Sie sah ihn an, Wehmuth und Glück im Blicke und trank langsam
von dem guten, vollen Weine, der letzte Trunk, der von den eigenen
Trauben auf dem eigenen Berge stammte, auch ein alter Trunk und noch
edler als der des Nachbars.

Rüdigs Hand zitterte leis’e, als er das Glas von Neuem vollgoss und
einen Blick auf das ferne Grab unten sendend, unter Thränen den anderen
Trunk that. Dann lehnte er sein Haupt an Marthas Schulter und reichte
ihr wieder das Glas, fest aneinander geschmiegt schlürften sie allmählig die
letzten Züge aus, ängstlich, auch nicht ein Tröpfchen zu verschütten.

„Wo nur die Kinder bleiben!“ frug Martha verwundert und leise be-
änstigt, als die Sonne schon driiben auf den Bergen ruhte und von Osten
her die Dänimerung am Himmel hinaufwuchs.

„Da kommen sie ja!“ sprach Rüdig, indem er links hinüber nach d e!11
Walde zeigte. „Sie sind wohl von den alten Staatsweinbergen durch d e!1
Wald hinaufgestiegen, die Wagehälse, an dem steilen Grund hinunter 11,1
müssen über die Mauer geklettert sein.“

Als die Kinder näher kamen, erkannten Rüdig und Martha, dass sie 111
ihren Händchen lange grüne Reben trugen und aufgeregt näher sprang 6' 1,
Ungeduldig riefen sie schon von Weitem: „Väterchen, Mütterche 11'
seht nur, was wir haben, wir haben ja neue Trauben! Seht nur!“

Sie sprangen an den Tisch heran und legten ihre dicken Rebensträuch c
mit dem Laube auf den Tisch und an den Reben hingen schöne, voH e
Trauben, etwas verwildert, aber doch vollständig gereift.

„Ivinder, wo habt Ihr denn das her?!“ frug Rüdig überrascht.

„Von den alten Trümmerhaufen drüben in den Staatsweinbergen, aC^'
Vater, dort ist alles voll Reben, die ganz wild wachsen und üb era^
hängen Trauben daran, wir haben auch schon davon gegessen!“ sag te
Hans mit Stolz.

Rüdig erhob sich erschüttert. „Von den alten zerstörten Staatsgründeu •
Ach, Martha, sieh nur diese Reben! Sollte man das glauben. Wie hab e,!
sie dort gearbeitet, um Alles von Grund aus zu vernichten. Immer wied eI
sind sie hinaufgestiegen, auch im zweiten und dritten Jahre, um nach
träglich wegzuhacken, was noch Reben treiben wollte, wie haben sie deu
Boden mit Säuren, Oelen und Salzen durchackert, um alle Lebenskei> ue
zu tödten. Aber zu den ältesten Wurzelstöcken sind sie doch nicht g e
kommen und haben sie dort und da übersehen, und nun im siebente 11
Jahre, nun treiben diese alten Rester wieder neues Holz und grüne RebeUi
und wilde Trauben reifen daran, und es brauchte nur eine Pflege UI1<^
einen richtigen Schnitt, so wären es wieder die alten, herrlichen, trag'
fähigen Stöcke! Und gesund sind sie, Martha, sieh nur, längst müss en
die Zerstörer ausgerottet sein, die Larven sind gestorben, die Stöcke hab el1
sich erholt und treiben neue, kräftige Reben! Mit: diesen Reben, Martbai
will ich Deine Kammer schmücken, Du gutes Weib, mit diesen Traub en
wollen wir an die Zukunft glauben und an das, was stärker ist als AlR 3'
die unentweihbare, oft irrende, überschüssige, aber segensreiche und sehg
machende Triebkraft der Natur!“

Er sprach's, stand neben der jungen Frau und legte mit der ein eI1
Hand die stärkste Rebe ihr über den Schooss, während er mit der andei’C' 1
das Glas ergriff und den letzten Rest seines eigenen Weines aufrech
stehend hinabschlürfte. —


ugen.

Novellette von Marie Conrad-Ramlo.

|B|r sass allein in der einen Ecke des Salons und lauschte.

„Aber Pia“ tönte es aus der anderen Ecke heriiber, „dränge doch
nicht so, frage doch nicht so!“

O wie war diese Stimme hold und kindlich und tief! Wie drang sie dem
Manne drliben in's Herz, dass es bebte.

„Ja mein liebes Landmädchen ich muss;“ liess sich nun eine andere etwas
frauenhaftere Stimme vernehmen, „es ist meine schwesterliche Pflicht, die mir
so heilig ist wie Gottes Gebot.“

„Sprich leiser, ich bitte Dich. Dein Bruder hört alles. Ich schänte rnich.“

Pia sprach nun ganz leise: „Ieh dulde es nie, dass sich ein Mädchen in
meinen Bruder verliebt. Nie! und wenn es geschieht. dann darf er es nicht
erfahren. Solchen Unsinn, Verliebtheit! — Ja Liebe! Das wäre etwas anderes.
Wirkliche Liebe bis zum Tode. Unergründlich, unbeirrbar, gewaltig! — Ich
weiss, darauf wartet er, darnach sehnt er sich, und vielleicht wird sie ihm nie
zu Theil. Ach es macht mich oft fast wahnsinnig. —*

Sie presste in heftigem Schmerze ihre Hand an die Augen.

Agathe „das Landmädchen“ stand vor ihr mit klopfendem Herzen. Was
sollte sie sagen? Sie hatte immer so wenig Worte. So einlache Begriffe. Ver-
liebtheit! Liebe! Bis jetzt hatte sie geglaubt das sei ein und dasselbe. Liebe!
Unergriindliche, gewaltige, unbeirrbare. Sie sah nach dem bünden Manne drüben.
Sein dunkles, etwas scharf geschnittenes Gesicht, hatte er dem offenen Fenster
zugewandt, er athmete die sommerlichen Düfte ein, horchte auf das leise Abend-
zwitschern der Vögel. —

Jetzt bewegte er den Kopf. Er fühlte, dass Agathe ihn unverwandt

[Nachdruck verboten.]

betrachtete. Wie ein Sonnenstrahl, so warm, so glänzend, zog’s von de' 11
Mädchen aus, zu ihm hiniiber.

Drüben im Plauderwinkelchen wurde es stille. Pia lehnte in beq uelT,er
Sophaecke mit einer Handarbeit beschäftigt. Agathe ging leicht erröthend zl
dem Manne hinüber.

Er fühlte sie kommen, und lächelte ihr entgegen.

„Wie geht es mit Ihrer Arbeit, Herr von Richthofen?“

„Wie heisse ich?“

„Harald.“

„Ja. so ist es ausgemacht. Ich darf Sie Agathe nennen, und ich hei
Harald.“

„Ach, ich bin ja ein Bauernmädchen. Das ist ganz etwas Anderes.“

„Wir sind aber Freunde.“ I

„Ja, gute Freunde. Also Harald wie weit sind Sie? Soll ich wieder ein 111
mit Ihnen arbeiten? Wollen Sie mir wieder einmal dictiren?“

„Ach nein, ich danke Agathe. Ich kann nicht, es geht nicht.“

„Warum? schreibe ich nicht gut?“

„O doeh doch, aber — ich dictire nicht gut.“

Pia von Richthofen wachte mit glühender Leidenschaft über das Glück

< ihr eS
Mutt er

Bruders. Sie hatte diese Empfindung gleichsam von ihrer verstorbenen
geerbt. Harald bildete seit seiner Erblindung, die durch einen Unfafi

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Knabenspiel geschah, den Mittelpunkt in der Familie. Er selbst ertrug ^

glück mit jener Ergebung in ein Unvermeidliches. wie sie nur grossen. £
 
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