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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Westerland Sylt
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314


e^terland - lly lt.

fer Strand von Westerland ! Zwischen den niedrigen Hügeln der Dünen und
der unabsehbaren Fläche des Meeres zieht sich ein mit zartestem Sandboden
bedeckter Landstrich hin, auf welchem lustiges Jahrmarktsleben sich entfaltet.
Die äussersten Grenzen werden auf der südlichen Seite durch das Damenbad
und auf der nördlichen durch das Herrenbad gebildet. Hier lassen die Heil- oder
Erfrischungsbedürftigen den kräftigen Wellenschlag der Meereswogen auf sich
einwirken, der in keinem Seebade des Continents auch nur einen annähernd
ähnlichen Genuss bereitet wie in Westerland.

Den begeisterten Verehrern des Wellenschiages steht in Westerland eine
Partei gegenüber, die kurzweg behauptet: „Hier braucht man nicht zu baden!"
Begründet wird dieses Urtheil mit der erfrischenden Einwirkung der feuchten,
salzdurchwürzten Luft, deren Kraft zur Erholung des Ivörpers und der Nerven
vollständig ausreicht. Der Luftfanatiker benutzt seine Wohnung nur als Schlaf-
stelle, sonst lebt er von früh bis zum Anbruch der Nacht am Strand. Entweder
hat er hier in einem Zelte eine feste Heimath oder er zieht mit einem Strand-
korb bewaffnet als Nomade umher. Eine dritte Kategorie ist die der Höhlen-
bewohner. Sie graben sich ihren Wohnsitz in den Sand hinein. Je nach ihren
friedlichen oder kriegerischen Neigungen wird der Sandbau als Ruheplatz oder
Gelegenheitsmacher für Scatpartien benutzt, oder als stolzer Festungsbau auf-
geworfen. Allgemein herrscht unter den Höhlenbewohnern das Bedürfniss, ihre
Wohnstätte mit originellen Bezeichnungen zu versehen oder sie mit Tricoloren,
Flaggen und Wimpeln reich auszuschmücken. Dadurch erhalten die beiden
Stranddörfer ein ebenso farbenprächtiges wie lustiges Gepräge. Tausende von
Lappen und Fetzen flattern und wehen in der Luft.

Zwischen den beiden Ansiedlungen der Höhlenbewohner entfaltet sich auf
einer weiten Sandfläche ein ungezwungenes Leben und Treiben. Die Besitzer
von Strandzelten haben ihr Heim gemüthlich ausgestattet und empfangen den
Besuch von Gästen. In den weitbauchigen Strandkörben sucht man Schutz gegen
allzu grelles Sonnenlicht oder heftigen Seewind. Und wer keine Heimathsstätte
besitzt, lagert sich hin, wo es ihm gerade passt. Ein weicheres und reineres Bett,
wie der Sand auf Sylt, ist so leicht nicht zu finden. Man plaudert, liest, ruht oder
schläft. Die gleichmässige Melodie der Brandung beruhigt Herz und Nerven, die
aufkommende Fluth ladet zum kindlichen Spiel mit den Wogen, man erfreut sich an
dem graziösen Flug der Möven, an der frischen Luft, an der Bläue des Himmels.

Unbekümmert um die Welt da draussen lebt man friedlich zusammen. Ein
jeder der Badegäste streift die äusseren Merkmale von Rang und Stellung ab,
und natürlicher Frohsinn und die Freude an der schönen Natur verdrängen die
Erinnerung an die Pflichten und Sorgen des sonstigen Daseins.

Im Uebrigen kommen auch Aeusserlichkeiten, Eleganz und Chic in Wester-
land zur Geltung. Am Strand zieht sich zwischen den beiden Grenzstationen
des Herren- und Damenbades ein breiter, durch Holzplanken gebildeter Pro-
menadenweg hin. für den der Volksmund die Bezeichnung „Trampel-Allee“ ge-
funden hat. Hier präsentiren sich die geschmackvollsten Toiletten, welche gross-
städtische Schneiderphantasie nur ersinnen kann, und wenn für eine Weltdame
anerkennende Bewunderung eine Genugthuung ist, auf der Trampel-AIlee kann
sie dieses stolze Gefühl dreifach empfinden. Sie wird nicht nur von denen ge-
sehen, die mit ihr auf dem Holzwege promeniren, sondern ist den Blicken aller
auf dem Strande Weilenden ausgesetzt, und man kann sie aus intimster Nähe
von den Galerien der zahlreichen Restaurants beobachten, die sich zwischen dem
Holzwege und den Dünen am Strand entlang hinziehen.

In auaufhörlichem Kommen und Gehen bewegen sich die Badegäste au

f deh
de

beiden Freitreppen zu Seiten des Musikpavillons. Erst in später Nachtstun

hört das Leben und Treiben an diesem unruhigen Orte auf. Mit einer erquicken

Mondscheinpromenade auf der Trampel-Allee pflegt ein grosser Theil der B a<^

gäste die zahlreichen Amüsements, welche Westerland des Abends bietet,

zuschliessen oder sich von ihnen zu erholen. ^

Das elektrische Licht, welches bis um zwei Uhr Nachts Strassen und Lok a

erleuchtet, scheint die Entfaltung anregenden Grossstadtlebens in dem std' e

Inseldorf stark beeinflusst zu haben. Man verbringt seine Abende nicht zu H aL1

• ufid

sondern betheiligt sich entweder an den zahlreich besuchten Reumons
Concerten oder verweilt in den eleganten Wein- und Bierrestaurants, die in Be zl1"
auf Ausstattung und Verpflegung den verwöhntesten Geschmack befriedig ef
können. Die ortsüblichen Preise für Wohnung und Essen reichen an diejeni^
anderer Nordseebäder nicht heran, und im Vergleich zu diesen bietet Sylt dui L
seine grossartigen Neubauten einen grösseren Comfort. Wer ganz billig l ef>el
will, für den bieten sich eine Reihe guter Pensionate, die ihre Gäste sogar sch°
zum Preise von 100 Marlt pro Monat in der besten Weise verpflegen. Auch

£in e

Bezug auf Unterhaltungen steht Westerland keinem anderen Bade nach.
vorzügliche Musikcapelle concertirt früh und Nachmittags, die besten Sänger
Virtuosen lassen sich in Concerten hören. Für sportliche Körperübung slfl
Croquet- und Lawn-Tennis-Plätze vorhanden, und ein gut eingerichteter Pistol el
stand vereinigt die Schützen der Insel zu aufregenden Wettkämpfen.

Die Schönheit des Strandes mit seinen gesundheitsfördernden Einwirkung el
sowie die vielfachen Annehmlichkeiten des Badelebens lassen die meisten K llf
gäste auf irgend einen Ausflug in die Umgebung Westerland’s verzichten. - L
Weg zum Strand bietet ihnen hinreichend Abwechslung und Unterhaltung-
kurze Spaziergang zur „Heimath der Heimathlosen“ aber muss unternomn iel1
werden, weil dieser kleine Kirchhof, auf welchem die Leichen der Ang e
schwemmten bestattet werden, zu den Sehenswürdigkeiten der Insel gehört.

DieseRuhestätte erinnert an die schrecklichen Stürme, denen zuweilen das l aI1°
gestreckte Eiland in der Nordsee ausgeselzt ist, sie erinnert an den Heldenmuth 3 e'
Bewohner, die ohne Rücksicht auf Gefahr und Leben den bedrohten Mitmenschen z'
Hülfe eilen. Auf der Insel sind mehrere Rettungsstationen vorhanden, und e111
Telegraphenleitung ist von der Nord- bis zur Südspitze gelegt, um beim Antreib cl
eines wracken Schiffs alle Hülfskräfte heranzuziehen. In sturmfreien Näch tel
warnt der gewallige Leuchtthurm von Kampen, dessen Licht auf dem Umkreis v0t
13 Seemeilen sichtbar ist, den Schiffer, sich dem trügerischen Eiland zu näheP 1

Aber die zahlreichen Naturschönheiten, welche Sylt sonst noch bietet, ef
öffnen sich nur einem kleinen Theile passionirter Jäger, die durchaus einen S ee
hund erlegen wollen oder schmackhaften und seltenen Vogelexemplaren na e‘
stellen. In den einsamen Dünenthälern, welche die erhabene Alpenformation 1111
Kleinen wiederspiegeln, auf dem Sammetteppich der Haide von Wenningst"^ 1'
und in der ruhigen Schönheit des Wattenmeers liegen Reize, welche die meis tefl
Besucher Westerland’s nicht kennen lernen, weil die Anziehungskraft des schön efl
Strandes zu gross ist. Nicht lange mehr wird es dauern, und auch di eSfi
Schönheiten werden auf guten Verkehrswegen zu besichtigen sein.

Rechnet man hierzu die energischen Bemühungen der Direction, die Einr' e

rTl J

tungen des Bades zur Vollkommenheit zu erheben, sowie die Verbindungen
dem Festland zu erleichtern, so wird Sylt bald unter den Nordseebädern in ers (e
Reihe stehen.


[m 19. April starb m Nizza die seinerzeit wegen ihrer Schönheit ebenso
sehr, wie durch ihre Kunstfertigkeit als Drahtseilkünstlerin und Jongleuse
berühmte Schwiegertochter des verstorbe-
nen Ernst Renz, Frau OceanaRenz, im
Alter von 38 Jahren in Folge eines langen
Leidens. Sie verdankte ihren Namen dem
Umstande, dass sie auf einem auf der
Fahrt von Amerika nach Europa begriffenen
Dampfer in einer stürmischen Nacht zur
Welt kam. Sie debütirte als Drahtseilkünst-
lerin im Alter von 16 Jahren im Circus
Renz in Wien, und ihre Schönheit, sowie
ihre graziöse Kunst riefen Sensation hervor
und füllten durch Monate allabendlich den
Circus. Oceana war die Erste, die auf dem
schlaffen dünnen Drahte „arbeitete“, und
wurde in dieser Kunst nur später von dem
„King of the wire“ Wainratta übertroffen.

Sie war wundervoll gewachsen. Ihr Teint

war von köstlicher Zartheit.
Blüthe war George Belly,

Einer ihrer begeistertsten Verehrer in der Zeit *b fe^
der Verfasser des „Monsieur Herkules“, der g' elL
Vacano das Zigeunerleben der fahrend ef
Kiinstler so liebte, dass er eine Erbsch 3
die ihm eines Tages in den Schooss r>

falien war, dazu verwandte, mit einer Cir eU

ife"

gesellschaft durch alle Lande zu stre
und seine „Collegen“ so lange lustig te ^
zu lassen, bis auch der letzte Thaler dr a"^
gegangen war. Aber er war viel zu sC^ UCjte
tern, seine Liebe zu gestehen. Er him'" ^
und dichtete seine Sonne nur heiml' 0' 1

• 1M

— und vielleicht hat Oceana Renz b' s

ihrem frühen Ende gar nicht einmal ge vv

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dass sie dereinst auch ein Poetenherz
Flammen versetzt hat. Ihre Ehe mit e'" e
Sohn von Ernst Renz verlief ungl" 0" 1 ^
und wurde geschieden. Damit war " UL.
die Glanzzeit ihrer Circuslaufbahn v0‘

Oceana Renz. Nach einer Photographie von N. Raschkovv, Breslau.
 
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