Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Gurlitt, Cornelius: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [2], Des Reichshauses Baugeschichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0210

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

119

welche ihm den decorativen Gedanken gab,
de

ln

essen Grenzen der Bildner frei sich entfalten konnte.

Jeder Werkstätte hat der Baumeister die Durch-

Ung der Figur berathen helfen und die Bildhauer

bild

haK

Der> sich gerne vom Architekten Rath ertheilen lassen,
wissend, dass auch ihr Werk zum Ganzen
tlrrnnen musste, dessen es einen Theil bildet.

Unmöglich ist es, ein volles Bild der gewaltigen
■^ rt»eit zu geben, die hier geleistet wurde. Im Jahr 1882
^ evvann im Wettbewerbe Wallot den.ersten Preis, am
' Juni 1884 wurde der Grundstein gelegt, am 13. Ja-
^üar I890 wurde aber erst Wallot's Kuppelentwurf
^ er>ehmigt, vier ein halb Jahr später ist der Bau fertig.

Es ist eine Geschichte, die sich bei fast allen
^ r°ssen Bauten wiederholt, dass die vor dem Bauzaun
^ tehenden früh ungeduldig werden
die Reichsregier

rechnen.

«tell

Der Reichstag

8;

ung scheinen sich zu diesen zu
Beide haben es sehr eilig mit der Fertig-
ung. Es ist vielleicht gut, die Daten zusammen-
*Ustellen.

Der Plan von 1884 war ein anderer, wie jener

v° n 1882. Wallot hatte den Sitzungssaal in das erste

0

eschoss verlegen müssen, den er vorher im Ober-
^ eSchoss unter der Kuppel angebracht hatte. Dadurch
^ar es nothwendig geworden, die Kuppel zu verlegen,

Jtr sie völlig umzugestalten. Geplant war sie als Glas-
^ ach über dem Sitzungssaal. Wallot wollte nicht einen
lrchlichen Dom auf das staatliche Gebäude, sondern
?r Wollte nur dem Sitzungssaal ein ruhiges von oben
Düfallendes Licht geben und dies Oberlicht monumental
^sgestalten. Nun, da der Saal nicht in der Mitte des
arres lag, musste über die Wandelhalle eine Kuppel
§ esetzt werden, die als solche wirkte und auch die
eitenfaQaden beherrschte. Ist der jetzt fertige Bau
^ Meter hoch, so erreichte der 1884 geplante 8772 Meter.

War etwas Prahlerisches, Unwahres in dieser Anlage,

^hnlich den Kuppeln auf amerikanischen Vertreter-
häusern zu Albany, Washington, Hedfort.

Diese Kuppelform wurde von Kaiser Wilhelm II. mit Recht beanstandet.
^hin aber konnte Wallot erst mit einem alten Wunsch hervortreten und
h le Stadt Berlin veranlassen, für die Säulenhallen an der Front gegen den
^önigsplatz und für die Rampe vor dieser Grund und Boden herzugeben.
^adurch gewann er Platz für den Sitzungssaal in der Mitte des Baues
rasch fiel im neuen Plan die hohe prunkende Kuppel und trat das
Verzierte Glasdach wieder an ihre Stclle. Aber neue Bedenken tauchten
^arüber beim Kaiser auf, ob diese Form monumental wirken werde. Er
° rderte von verschiedenen Künstlern Gutachten und erst als diese alle

r..

ür Wallot’s 'Plan entschieden, als dann durch Otto Lessing ein grosses
^°dell des Ganzen gefertigt war, also erst im Winter 1891/2, stand der
Kan des Baues wirklich fertig.

Sechs Jahre waren in Ungewissheit hingegangen, hatte der ganze

^htelbau nicht in AngrifT genommen werden können. Kopfschüttelnd sah

^an die Flügel emporwachsen, in der Achse gähnte eine breite Lücke.

as sind schwere Hemmnisse für den Architekten, welche wohl geeignet

§ eWesen wären, um an der Erreichung des selbstgestellten Termines der

°dendung zu verzweifeln. Im Winter 1891 erklärte die Baucommission,

ass die Vollendung des Baues erst zum October 1894 „in Aussicht ge-

Wßirnen“ worden sei. Es ist vielleicht trotz officieller Erklärungen der
h •

^ erchsregierung nicht ganz billig, dass man dem Meister hieraus eine
. essel schlug, die ihn zwang, mit schier übermenschlicher Kraftanstrengung
^ fei Jahren das Innere des Baues zu vollenden.

Wendeltreppe im Bibliothekzimmer.

tbjy

ih:

Wer durch den Bau wandelt, der sieht auch bald, dass diese Hast
re Merkmale hinterliess. Es giebt einzelne Säle, für deren' Ausschmückung
vallot nur Skizzen lieferte, ihre Vollendung Anderen überlassend. Dass
the besten hierzu wählte, ist selbstverständlich. Aber man erkennt
^ erade die Grösse des Meisters darin, dass seine eigenen Arbeiten in ihrer
^ esUnden Kraft sofort von den oft weit prunkvolleren fremden Gebilden

hervortreten. Man kann ruhig

sagen: Wo man bekannten, ent-
lehnten Formen begegnet — das
ist von den Herbeigezogenen;
wo man neuer, eigenartiger Be-
handlung sich gegenüber sieht
— das ist Wallot’s Hand.

So ist denn der Bau fertig

geworden, ein kostbares Merkmal deutschen Könnens, eine vielleicht Vielen
herb erscheinende, aber vollsaftige, reife und segenbringende Frucht eines
wahrhaft grossen Künstlers. Das wissen seine Fachgenossen am besten.
Seit Schinckel und Semper hat keiner so schülerbildend gewirkt: Es strahlt
von diesem Bau eine mächtige Wirkung auf die jüngeren Künstler aus,
namentlich von den Gebilden des Innern. Da herrscht eine Selbstständig-
keit, eine ruhige Sicherheit, eine feste Hand und ein wahrhaft gross und
doch fein empfindendes Herz, das laut und eindi'inglich zunächst zum
Künstler spricht.

Und dann werden die Kunsthistoriker das Urtheil unserer Zeit am Bau
messen: wie wir jetzt etwa die Zeitgenossen eines Schlüter oder Schinkel
anklagen, weil sie sich dem grösseren Geist nicht beugten. Und diese
Grösse des Künstlerthums geht ihre besonderen Wege: Nicht Kaiser und
Könige können ihr Trotz bieten, vom echten Meister geht eine Gewalt
des Empfindens aus, die sie alle zu seinen Schülern inacht. Hat es Wagner
geschadet, ob der oder jener Prinz seine Musik lächerlich, geschmacldos
fand? Wagner’s Geschmack hat die Welt besiegt, den Fiirsten wie den
Arbeiter! Keiner ist unberührt geblieben.

Und es scheint, als sei das Reichshaus ein Werk, von dem eine
gleiche Siegeskraft ausgeht dem Baumeister, der Nation und vor Allem
der deutschen Kunst zur Ehre und zum Segen!
 
Annotationen