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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Hevesi, Ludwig: Frühling in Nizza
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0356

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MODERNE KUNST.

265

l'atte. Der junge Prinz war
’tt Nizza gestorben (1865) an
^er damals neu eingeführten
epidemischen Meningitis ce-
febrospinalis. Ich war da-
mals Student der Medicin in
Wien, und unser vielbe-
liebter Professor Oppolzer
'vurde zu ihm nach Nizza
berufen. „Er ist gerettet,“
sagten wir alle im vorhinein,
denn Oppolzer galt als un-
fehlbar; aber er brachte
nichts heim, als einen Ab-
druck eben jener Photogra-
phie. Nun, Solignac ist todt,
es lebe Vaillant-Rozeau!
Auch Jeanne Disdonc ist
todt, die leitende Bouque-
tiere in den ersten Jahren
der Wettrennen des Var.
Sie war eine ausserordent-
Iiche Pferdekennerin, so
dass sie stets das Sträuss-
chen für das siegreiche
Pferd in den Farben des
Besitzers bereit hatte. Und
auch der Baron von Der-
wies, der 62000 Francs täg-
lich ausgab, ist todt; einer
der grössten Blumenver-
braucher vor dem Herrn.
Nur die Blumen leben, die
sind unsterblich, obgleich
nur Eintagsgeschöpfe.

Und so folgen in Nizza
alljährlich die verschiedenen
Frühlinge aufeinander, ein
halbes Jahr lang. Sie glei-
chen einander auffallend,
die Elemente sind die näm-
lichen. Es ist immer die-
selbe Promenade des An-
glais mit ihren lackfunkeln-
den Reihen von Broughams
und Victorias, Landauern
und Char-ä-Bancs, Dau-
monts und Gigs, Dog-carts
und Breaks, Buggies und
Batards. Oesterreichische
Cavaliere haben ihre Neu-
titscheiner eingeführt, und
hie und da im Fasching
kommt ein indischer Eng-
länder sogar im Rickschaw,
der von Kulis in braunen
Tricots gezogen wird. Haus-
hohe Mail-Coaches mit bla-
senden Postillons schwan-
ken dazwischen entlang, und
Lord Dundreary Ienkt gra-
vitätisch seinen tanzenden
Four-in-Hand, während ein
tschetschenzischer Fürst
seine eisengrauen Orlow-
traber spazieren fährt. In
manchem Jahr ist das alies
mehr siegellackroth, in man-
chem mehr „pcstgelb“, in
nianchem wieder entschie-
den vert varech (alpengrün),
je nachdem der Kutschen-
lack das Bedürfniss fühlt,
eine andere Farbe zu spie-
len. Und mitten in dieser
an sich selbst vorüber rol-
lenden Eleganz humpeln be-
scheidene, aber überglück-
Pche Einsüännerchen. in

A. Rontini. Frühlingsdüfte.

denen ein bürgerlicher Ho-
nigmond aus dem Norden
sich als das höchste high-life
fühlt. Wie mancher ironi-
sche und doch träumerische
Blick aus schönen Augen
folgtdiesen knarrenden, ver-
staubten Triumphwagen der
Liebe. Dort jenseits auf den
waldigen Höhen des Mont
Gros, wo die riesigen Tele-
skope der Bischofifsheim'-
schen Sternwarte durch die
Schlitze der weissen Kup-
peln die Venus suchen, sieht
man nichts Schöneres, so
weit das Himmelsgewölbe
reicht. Hier ist die „Bucht
derEngel“. Hier erscheinen
Leutchen, denen Schiiler’s
„kleinste Hütte“ ein Splen-
did-Hötel ist, ncben grossen
Leuten aus dem Riviera-
Palace, das draussen auf der
Anhöhe von Cimies steht
und einen schwarzen Prin-
zen sucht, um ihn als Groom
bei strohgelb gelockten La-
dies anzustellen. Und über
Allen glänzt die nämliche
Frühlingssonne, diesehimm-
lische Reclameheldin, von
der unsere Federn in der
Zeitung die unglaublichsten
Dinge berichten; wie sie
selbst greises Silberhaar
vergoldet und die schlimm-
sten Bacillen in ein kern-
gesundesNichts verflüchtigt.
Ein Geflimmer und Gekni-
ster von Licht liegt auf
Ailem, der Rückschein des
glitzernden Wellengewim-
mels spielt über die bunte
Menge von Wandelnden,
Sitzenden, Fahrenden hin.
Den etwas hageren Palmen-
wedeln fällt es nicht ein,
störende Schatten zu wer-
fen; sie haben gläsernes
Laub, wie der Algerier sagt,
durch das die Sonne scheint.
Wer denkt an die Weltge-
schichte, die sich in den
Villcn längs dieser interna-
tionalen Wandelbahn abge-
spielt hat? In lauter einzel-
nen Krankengeschichten. An
Villa Carlone knüpft sich
das Andenken der schönen
Pauline, Napoleon’s Lieb-
lingsschwester; hier hustete
sie drei Winter, nachdem
sie Canova als Modell für
die Venusstatue in der Villa
Borghese zu Rom gesessen.
Dort die Villa Lyons,. wo
einst König Ludwig II. von
Bayern gewohnt. Weiter die
Villa Avigdor; ihr Besitzer
war britischer Consul und
hat sich erschossen. Ja, es
giebt auch hier Schatten.
Geftirchtete Schatten sogar,
z. B. den des Mont Boron,
in dem sich schwerlich ein
Brustschwacher ansiedeln
wird. So wenig, als längs
des guten, wasserlosen

IX. Fr.-No. III.
 
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