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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Liman, Paul: Carnevals-Stimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0293

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204

MODERNE KUNST.

und graziösen Damen, denen nicht die kurze Frist nach dem Dreikönigs-
tage erst die Faschingslust brachte, die vielmehr das ganze Leben als einen
Carneval nahmen, als eine Ivette von fetes galantes, bis die grosse Revolution
den tagenden Aschermittwoch kündete und Guillotin die Fastenpredigt hielt.
Die süsse Lieblichkeit der Schäferspiele, Küsse und Champagner — man kannte
noch die Kunst des Geniessens; Jabot, Kniehose und Schnallenschuhe und der
Dreispitz, zierlich unter dem Arme getragen, dass der Puder nicht stäube,
wollten nicht taugen zu ernsten Gedanken, trunken wollte man sein von Lebens-
lust und Liebe, und wenn der Carneval zu Ende ging, dann wollte man mit
Grazie sterben. Der nervösen Verfeinerung des Geniessens konnte die Faschings-
zeit, wie sie Kirche und bürgerliche Gewohnheit begrenzten, kaum noch eine
Steigerung bieten, vielleicht, dass Seidenmaske und Domino noch eifriger sich an
die Fenster verschwi-egener Sänften beugten und zu galantem Abenteuer
schlüpften oder dass noch häufiger im Dunkel des Parkes leuchtende Amoretten
herablauschten auf das Geflüster der Liebe oder zorniges Kreuzen der Degen.
Es war nicht einmal Carnevalszeit als Soubise bei Rossbach den siegreichen
Reitern des grossen Friedrich seine Schminktöpfe liess und die seidenen Ge-
wänder galanter Damen, dass sie die
bärtigen Gesichter schmücken und zu
tollem Fastnachts - Mummenschanz sich
kleiden konnten. Es war auch nicht
Carnevalszeit, als Cardinal Rohan, das
Opfer der Lamothe, sich mit dem Hals-
bande in den Park von Versailles schlich,

Vim eine Königin zu gewinnen.

* •»

Wir feiern auch Carneval, wir gehen
zu vortrefflichen Soupers und zu elegan-
ten Bällen, und manchmal holen wir gar
die zierlichen Gewänder jener galanten
Zeit hervor, in der Ninon de l'Enclos
die Menschheit bezauberte und die
Pompadour eine Welt regierte. Aber
sie kleiden uns nicht recht, diese Ge-
wänder, die Zeugen eines vergangenen
Jahrhunderts, denn wir haben in dem
harten Zeitalter der Maschinen und der
sozialen Kämpfe verlernt, unbefangen
und ohne an das Morgen zu denken,
graciös zu tändeln und unbefangen zu
genicssen. Wir ziehen den Frack an,
knöpfen die weisse Binde, und nur der
Claquehut bildet noch eine Reminiscenz
an die Tage, da man den Dreispitz
unter dem Arme trug, dass der Puder
nicht stäube. Und wie unsere Kleidung
gleichförmig und unmalerisch wurde, so
haben wir auch den feinen Farbensinn
der Geselligkeit verlernt; wir tanzen
wieder Menuet ä la reine und gehen,
wenn die Musik verstummt, in die Neben-
zimmer, Bier zu trinken.

Und doch ist auch jetzt noch die
Faschingszeit schön! Giebt es ein lieb-
licheres Bild, als wenn der Glanz der
Lichter im Ballsaal aus den Augen des
schüchternen Mädchens widerstrahlt, das zum ersten Male den Traum seines
jungfräulichen Herzens erfüllt sieht? Wieviel Tage freudiger Erregung, heisser
Erwartung gingen voran! Wie eingehend wurde die wichtige Frage der Ball-
robe erörtert, wie wurden alle Einwendungen des Vaters siegreich zurück-
geschiagen, wie pochte das junge Herz, als endlich der verheissungsvolle
Abend erschien! Nun ist man eingetreten, die einzelnen Gestalten verschwimmen
fast vor den Augen, und schon drängen sich eifrige Tänzer herbei, ihren Namen
in die Karte einzutragen. Und auch Er kommt, nach dem das Auge schon
züchtiglich spähte, und, o Jubel! — er hat sich den Cotillon ausgebeten! Er hat
— ja wahrhaftig, auch hinter dem zweitcn Walzer steht sein Name. Nur eins
macht nocn Sorge: Wird sie. die Ungeübte, es verstehen, gewandt ein Ballgespräch
mit Unbekannten, Fremden durchzuführen? Da, die erste Pause ist vorüber —
es war ja garnicht schwer, noch einige Bälle, und aus dem schüchternen Kinde,
das kaum sich umzublicken wagte, ist die gewandte Balldame geworden, die von
Tänzern umschwärmt wird und mit grosser Geschicklichkeit vom Wetter, von
gemeinsamen Bekannten und vom letzten Concert zu plaudern versteht. Und
dann kommt die Zeit, wo sich zwei Menschen gefunden, wo vor der Phantasie
glückselige Zukunftsbilder umherwirbeln und wo nur ein Jubel und ein Klingen
im Herzen ertönt. Das ist die Carnevalszeit des Lebens, die Zeit der frohen
Lust, die dem Aschermittwoch der späteren Sorgen vorangeht. Ja, die Faschings-

zeit ist schön. In die Ecken des Ballsaals drückt sich blöde der Jüngling’
die Naht an den Handschuhen ist längst geplatzt, doch die Tanzkarte blieb noch
leer. Endlich ermannt er sich und diplomatisch holt er die Aelteste zum Rund-
tanz, von deren Dankbarkeit er erwartet, dass sie schonend über sein e
Tanzkünste zur Tagesordnung übergehe. Aber ach, aus dem blöden Jünghng
wird gar bald der Blasirte, dem das Tanzen zu echauffirend ist und
der dennoch, wenn die Musik verklungen ist, noch andere Stätten aufsucht.
an denen Terpsichore herrscht. O, du schöner Fasching! Giebt es etwas
Rührenderes, als wenn sorgsame Mütter mit Inbrunst hinüberschauen, ob die
Tochter auch nicht die Mauern zu zieren verurtheilt ist und wenn ein erleich-
ternder Seufzer verräth, dass das Schreckliche vermieden? Faschingsfreude!
Auch der Vater empfindet sie, wenn er die kalte Küche verzehrt hat, die ihm h 1
Anrechnung künftiger Genüsse zu Hause servirt wird, und wenn er dann, mühsan 1
den heissen Drang nach Ruhe besiegend, auf den Schwingen einer Droschke z u
Balle fährt, um spät am Morgen heimzukehren. Aber wenn ihm wiiklich die
Freuden des Carnevals nicht behagen, so bleibt ihm doch ein Mittel zur Rach e:
die Tischrede. Den biblischen Fluch hat unser Jahrhundert durch die Tischrede

in’s Unermessliche verschärft. Man muss
ihn sehen, den Normalgreis, wie eI"
sich würdevoll erhebt, stolz lächelr.d
um sich blickt und nun in langsarnen 1
Tempo alles das vorträgt, was selbstver-
ständlich ist und Menschen rasend
machen kann, —- um den Geist modernef
Geselligkeit voll zu begreifen und ihre
Grazie zu bewundern! Immerhin, wenn
solch ein unseliger Dauerredner sich
erheb*: und mit Messer und vollem
Weinglas das Zeichen beabsichtigten An-
griflfs giebt, wenn dann das Gespräch
verstummt und das mühsame Lächeln
der Höflichkeit die Angst vor dem
Kommenden verdirbt, wenn dann die
Pausen kommen, die fürchterlichen, i u
denen die Rede zum Stammeln und
der Blick so leer, so furchtbar leer wird,
wenn dann der Schweiss reichlich aus-
bricht, bis endlich das rettende Manu-
script der „improvisirten“ Rede forthilft
dann mögen bei solchem Thun für den,
der historischen Sinn hat, wohl Anklänge
an vergangene Zeiten lebendig werden,
an frühere Carnevalsbräuche, die auch
das Herbe mit dem Süssen vereinten,
an die Tage sogar, da die Menschheit
noch aus ungläubigen Heiden bestand
und dennnoch schon den keimenden
Frühling mit Carnevalsfreuden begrüsste
und da die „Luperci“ harmlose Wanderer
und auch zarte Frauen ungestraft m>t
Geisseln schlugen. Selbst das Mittelaiter
kannte das Fastnachtslaufen, den direkten
Ahnen der Tischreden, die in Deutsch-
land so üppig blühen, vielleicht gerade
deshalb, weil wir mit unserer pedan-
tischen Gründlichkeit uns am Wenigsten
dazu eignen. Ueberhaupt fehlt uns wom
die rechte Leichtigkeit im geselligen Leben, die Fähigkeit, ausgelassen zU
jubeln und gar über die Grenzen, die Stand sorgsam von Stand, Classe von
Classe trennen, sei es auch nur zur Fastnachtszeit, hinwegzuspringen. Auch
die Mannigfaltigkeit der modernen Carnevalsvergnügungen zeugt darum wemg
von dem Humor und der Erfindungsgabe unseres Geschlechtes: Soupers,
Hausbälle, Hausbälle, Soupers. Hier und da giebt es sogar Costümfeste, b el
denen meist der Ballanzug gestattet ist, so dass die Wenigen, die muth-
voll in ihren Tiroler Lederhosen kommen, genirt in den Nebenräumen einhef'
schleichen. Der Maskenball ist aus den vornehmen Kreisen des Ostens so
gut wie ganz verschwunden und selbst der vorurtheilslose Gastgeber, def
sich tiber die unmotivirte Abneigung gegen die Maskenfreude hinwegsetzt.
weiss es klüglich einzurichten, dass Niemand über die Vermummten 1111
Zweifel ist.

Unsere Zeit der Maschinen und socialen Kämpfe ist nüchterner, ungraziösef.
ernster geworden als die der Anderen, deren Häupter aus den Bildern aU
unseren Wänden auf uns herabblicken mit Schönheitspflästerchen, Jabot u,lC*
Puder, und doch brauchen wir um Eines nicht zu sorgen: Lebenslust und Lieb c
werden nicht aussterben, und die Poesie und Freude des Carnevals wird c 1’
geben, so lange es Jugend und heisses Blut, so lange es Wein, Weib m 1^
Gesang giebt.

Der Festredner. Originalzeichnung von Johannes Martini.
 
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