Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [3]: ein humoristischer Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0134

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


MODERNE KUNST.

„Leo! Leo!“

Sie hörte nicht das Rollen des Einspänners vor dem Schlosse. Und
so geschah es, dass Leo’s Gestalt in der Glasthür und Winand’s Kopf im
Fenster erschien und dass Frau Amalie mit erschreckt erhobenen Händen
mitten zwischen Beiden stehen blieb, starr, wie die Bildsäule einer antiken
Tänzerin.

Leo warf den Kopf in den Nacken. Dann ging sie an Frau Amalie
vorbei quer durch das Zimmer mit langen, harten Schritten geradenwegs
auf das Fenster los.

,,Na ja“, sagte sie Herrn von Rocholl steif zunickend, ,,ich bin da!“
Er sah sie nicht an, sondern schwippte mit der Peitsche eine Fliege
vom Rücken des Pferdes.

,,So! Du bist da? Warum bist Du da?

„Weil ich Geld brauche!“

„Von mir?“

„Von Dir!“

„Wofür?“

„Für — Otti ist in Rochollshof! Und sie hat nicht Geld genug, um
den Kutscher bezahlen zu können!“

Ein Zucken ging durch die Gestalt des alten Mannes und sein Gesicht
wurde noch hagerer und melancholischer, als sonst. Und eine Weile war
lautlose Stille. Bis von Brechtling’s gespitzten Lippen ein leises Pfeifen
kam. Wie das Warnungssignal eines nahestehenden Kranich’s klang’s.

„Ist er — ist der Herr Amtsrichter auch da?“ fragte Herr von Rocholl
endlich heiser.

„Nein!“

„Wo ist er denn?“

„Verreist!“

,,So! Verreist! Sagte sie nicht selbst, dass die Frau zum Manne ge-
höre? Sie bleibe also, wo er ist!“

Leo beugte sich weit aus dem Fenster, näher zum Ohre ihres Vaters.
„Sie sucht Versöhnung!“

Er lachte bitter auf.

„Versöhnung? Bah, Geld!“

„Nicht Geld! Es sind nur drei Mark!“

„Egal! Wer was von mir will, muss selbst kornmen!“

„Papa! Nur drei Mark! Drei lumpige Mark!“

„Und wenn’s ein falscher Pfennig wäre — nein!“

„Papa!“

„Nein!

„Oh Winancl! Ist sie nicht unser Kind?“

Frau Amalie sagte es. Sie war zu ihm herausgestürzt und stand nun
am Wagen, flehend in das aschgraue, verdüsterte Gesicht des Gatten
blickend. Er zuckte zusammen, dann richtete er sich straff auf.

„Sie ist die Frau Amtsrichter Marties!“ entgegnete er eisig. „Steig
ein! Es ist Zeit!“

Sie gehorchte willenlos, um sogleich in Schluchzen auszubrechen.
Und ihre Hand zerknitterte den betrügerischen Bon.

Leo trat vom Fenster zurück.

„Dann werde ich es von meinem Gelde geben!“

Wieder lachte Herr von Rocholl.

„Von Deinem Gelde? So viel ich weiss, hast Du Deinen Gehalt für
diesen Monat schon weg. Und Credit wird nicht gegeben. Nicht ein
Heller, Brechtling!“

Er hob die Peitsche. Doch zwei zitternde Hände umklammerten seinen
Arm und zwei thränenerfüllte Augen suchten die seinen.

„Oh, Winand“, flehte Frau Amalie. „Bitte, leih’ sie mir! Ich werde
sie Dir zurückgeben, ich werde arbeiten, damit . . .“

Er sah zu ihr herunter, und sie erschrak fast vor der trauervollen
Hülflosigkeit dieses Blicks. Dennoch lachte sein Mund, lachte zum dritten
Male, noch bitterer, als zuvor.

„Noch eins, Brechtling!“ sagte er, zu diesem zurückgewandt. „Sie
haben wohl vorhin bei der Gemüseabrechnung einige kleine Posten ver-
gessen. Ich fand den Zettel und das Geld in Ihrer Markttasche und habe
Beides an mich genommen. Buchen Sie’s für Rochollshof. Adieu!“

Die beiden zitternden Hände fielen herab und das Pferd zog an. Und
Leo sah dem Wagen nach. Und Oberinspector Brechtling lächelte süss.

„Wenn ich mir gestatten dürfte, Fräulein Leo“, sagte er dann, »
Privatgeld geht den Herrn Baron nichts an. Wollen Sie die drei
von mir nehmen?“

nie' 11

Mark

Es war, als habe ein Faustschlag sie getroffen.

„Von Ihnen?“ stiess sie verachtungsvoll heraus. „Niemals!“

Er lächelte noch süsser.

„Oh! Sie brauchten mir nicht dafür zu danken. Um es Ihnen zU
leichtern,- würde ich es wie ein Geschäft behandeln. Sie würden rmr
Geld verzinsen und einen Schuldschein ausstellen!“

Sie starrte ihm fest in’s Gesicht. Dann lachte sie rauh auf.

„Her damit! Mit Schuldschein und Geld!“

Zehn Minuten später stand Brechtling händereibend vor dem geöffn el:e
kleinen Handkoffer, den er aus der Stadt mitgebracht hatte. Und
Menu seines todten Vaters zur Abschiedsfeier für die Amerikafahrt fi u°
ihm daraus entgegen: zwei Pfund feinster Ochsenzunge zu drei iV
fünfzig; drei Vierteldosen Sardinen in Oel, Marke Philipp & Canaud • •
Und während dann die rechte Hand des Ameisenlöwen streichU u

• 1 ßll^

über die räthselhafte Fülle seines Leibes glitt, füllte seine Linhe
Wasserglas mit duftendem Rüdesheimer.

„Prost, Barönchen! Auf Dein Hungerloos!“

Als Leo auf dampfendem Pferde in den Rochollshof einritt, kam ^
Otti entgegen.

„Hier sind die drei Mark!“ rief sie, einen Thaler in der hocherhobe ueI,
Hand blitzen lassend. „Wo ist der Kutscher!“

Otti lachte ein wenig verlegen.

„Oh Leo, Du hast eine Eroberung an ihm gemacht. Nachdem er e' n
halbes Brot nebst zwei Pfund Speck gegessen und ein Liter von P aP a
Nordhäuser dazu geti'unken hatte, schwur er, dass er für Dich s°8 ä(
Wasser trinken würde. Um das Geld hätte er auch nicht ein Bisch etl
Angst. Du möchtest es ihm schicken oder, besser noch, bringen, mot&
oder in einem Jahre, tuttmämschohss! Du wärest ein Frauenzimmer • • e1'
Frauenzimmer . . .“

„Herrgott, na, und wo ist er?“

„Nach Haus gefahren!“

Zwischen dem Haufen von Ackergeräthschaften in der Mitte des H°^ e
klirrte etwas, der Thaler, der Sand in die Augen des Ameisenlöwen-

Drittes Capitel.

Nachdem sie ungefähr fünfhundert Schritte von Templin fortgefal 11"^ 11
waren, hatte Herr von Rocholl mit einem heftigen Ruck das Pferd zlin
Stehen gebracht.

„Es geht nicht! Es ist unmöglich!“ hatte er finster herausgestoss eI1
„Denn wenn . . .“ Er war dem erwartungsvoll auf ihn gerichteten

geZ uC

kt-

iflit

Frau Amalien’s begegnet und wie in jähem Erschrecken zusammen;

Und dann hatte er seine Lippen fest geschlossen'und die Peitsche
einem scharfen Sausen auf das Pferd niederfallen lassen, dass es zu elU
rasenden Galopp angesprungen war. Sprechen war nun unmög 1
gewesen.

Und ein Sprühregen von Sand und kleinen Steinen war ihnen nm

di e

Köpfe geflogen, bis sie zu der grossen Wiese gekommen warem

Winand schweigend seine Sommer- und Winter-Lodenjoppe abgeWO 1

und mit einer Sense bewaffnet sich an die Spitze der Mäherreihe g este

tef’

liatte. Eine ganze Stunde war dann in tiefer Stille vergangen, nur uU
brochen von dem Rauschen des niedergestreckten Grases und von ^ e
Ivlingen des Eisens unter den Strichen des Wetzsteins, wenn die Schnht e ’
am Ende der Wiese angelangt, ihre Sensen gedengelt hatten.

Frau Amalie war auf dem Wagen sitzen geblieben und hatte
sehen. Und wenn sie die hohe, trotz seiner Jahre noch kraftvoll sehn 1»
Gestalt des Gatten betrachtet hatte, war ein gewisses freudiges,
mädchenhaft verschämtes Gefühl des Stolzes in ihr aufgestiegen, um ^

J. qgltl

in einem trüben Seufzer unterzugehen. Sie wusste, warum er mit di e

beinahe wüthenden Eifer darauflos arbeitete. Er wollte seine ih u

't ih r

klagenden Gedanken niederkämpfen; er wollte einer Aussprache m 1L
aus dem Wege gehen; er wollte seine Rückkehr nach Rochollshoi v
zögern. Trotz und Eigensinn war’s von ihm.
 
Annotationen