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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [11]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0269

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i8o

MODERNE KUNST.

Der Urtheilssprucli


Leo erwiederte nichts. Bei Herrn Anton
V/ichers angekommen, stieg sie ab und ging
neben ihm durch den Acker nach Haus; berg-
auf, bergab; thalein, thalaus.

Und sie suchten das Verlorene zusammen:
den Sattel, die beiden silbernen Sporen, die zer-
brochene Reitpeitsche und den verknüllten, ge-
platzten Cylinder, die Reliquien des Cowboy-
siegers; bergauf, bergab; thalein, thalaus.

„Nun? fragte Herr von Rocholl ihnen aus der Thür entgegentretend.
„Wie war's?“

Leo drängte sich stumm an ihm vorüber in’s Haus. Herr Anton
Wichers aber berichtete ihm alles; nur den fremden Menschen vergass er.

„Wie es war?“ schloss er entzückt. „Famos! Grandios! Haha, sie
glaubte, der Gaul ginge mit mir durch. Natürlich keine Spur davon; war
ja nur Tric von mir! Zog auch! Denn nun hat sie’s weg. Hat geweint.
Auf Ehre, richtige Thränen!“

Neuntes Kapitel.

Frau Amalien’s Geburtstag fiel auf einen Sonntag. Am Abend vorher
war die berühmteste Kochfrau der Stadt eingetroffen und hatte das Re-
giment in der Küche übernommen. Und nun durchzog schon fr.üh Morgens
würziger Bratenduft das alte Herrenhaus derer von Rocholl und in dern


lange nicht mehr benutztcn, ,i etzt

mit Tannengrün und Eichenla ut>

1

festlich geschmückten Tanzsa a
deckten zwei befrackte Lohndien er
mit tiefernsten Amtsmienen d' e
beiden langen Tische, den ein el1
für die Alten, den anderen für di e
Jungen.

Frau Amalie aber sass 1,11
Saale auf einem Plüschsessel ul1^
starrte die Fülle der Geschenl' 1
an, die Winand und die Kind el
auf dem Tische aufgebaut hatt el1,
Sogar Leo hatte sich betheil'o ’
der weisse gestrickte WaschlapP e|1
mit den rothen Kanten und d el
Inschrift „Reinlichkeit ist des l- e'
bens Würze“, den sie bereits vo1
vier Jahren angefangen hatte, " aI
heute genau drei und eine halh
Minute vor der Geburtstagsbesche 6'
rung.fertig geworden.

Auch Herr Anton Wiche' 5
hatte es sich nicht nehmen lass el1’
sein Scherflein beizutragen, el11
Cigarrenetui.

Dann liatten Brechtling u,1<:^
Hans Seegebusch gratulirt. Erst e'
rer mit seinem gewohnten siiss e|1
Lächeln und Letzterer mit d etn

ihm in letzter Zeit eigenthiimliche' 1

sorgensehweren Ernste, und na^ 1
ihnen waren die Leute eingetrete 11’
und hatten ihren Vers gesproche' 1’
kratzfüsselnd und sich bis Z ulT1
Teppich verbeugend, um dannind eI
grossen, leer gemachten Sche ulie
mit Schweinebraten, Bier und SP 1'
rituosen bewirthet zu werden, z uUl
ersten Mal wieder seit siebenzeh 11
Jahren.

Denn siebenzehn Jahre wa> 5
her, dass der letzte Geburtstag al1^
dem Rochollshof gefeiert word 1’ 1
war, Winand’s Geburtstag. Er ha tte
garnicht an ihn gedacht daniäl 5'
wie geistesabwesend und in sch''” 0
ren inneren Kämpfen war er 1,111
hergegangen die ganze Zeit se,t
der Geburt der Kinder. Aber Fi al1
Amalie hatte den Tag nicht

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gessen und sich den Umstand zl
Nutze gemacht, dass Winand gcrade an diesem Tage Mittags von el111'
Reise nach der Hauptstadt zurückkehrte. Sie hatte geglaubt, ihn dm c

t*P jl

ein anregendes Beisammensein mit alten Freunden aus seinem finste 1 '
Brüten herausreissen zu können, und hatte Alles gethan, um die Ueh el
raschung möglichst glanzvoll zu gestalten. Sogar echten französisch 1- 1
Sect, den Winand früher so gern getrunken, hatte sie beschafft. Und 5

waren denn, als Winand vor dem Hause vorfuhr, in der Sche une

Tische für die Leute und im Tanzsaal die für die Herrschaften geded^
gewesen, wie heute. Im Salon aber, der damals noch das „gute Zim niel
genannt wurde, hatten die Gäste gesessen, erwartungsvoll und die »
füllten Sectgläser in den Händen, und dann, als Winand ahnungslos cl
getreten war, hatten sie sich Alle erhoben und der Landrath hatte eU
Rede gehalten auf den „ritterlichen Rocholl“.

Und er, Winand, der ritterliche Rocholl?

Mitten in der Rede hatte er sich plötzlich mit finsterem Gcsicht 1
 
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