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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [6]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0184

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MODERNH 'KUNST.

Leo hob lachend die Schwurfinger ihrer rechten Hand.

„Gott, wie feierlich! Na meinetwegen. Ich schwöre! Niemand auf
der Welt!“

„Auch . . auch ihm nicht?“

„Auch ihm nicht!“

„Auf Ehre, Leo?“

„Auf Ehre Mia!“

Mia seufzte tief auf und sank auf das Kissen zurück. Und während
ein seltsam wohliger Schauer ihren zarten Körper durchrann, kam es leise,
wie ein Hauch über ihre Lippen.

„Nun . . . nun sag’ es!“

Leo beobachtete Mia voll gespannter Neugierde. — Da war also Eine,
die liebte! Gott, wie albern, dumm und lächerlich sie war! — Dann
beugte sie sich noch tiefer über die Erröthende und warf es ihr, wie
einen Faustschlag in's Gesicht.

„Du liebst Hans Seegebuch, den Phildoctor!“

Mia schloss die Augen und lächelte schmerzlich stiss.

„Ich liebe ihn. — Musst Du mich nun nicht hassen?“

Leo lachte spöttisch auf.

„Du meinst, weil der Phildoctor mich angeschmachtet und einen
Stoss von Gedichten auf meinen Namen gemacht liat, die irnrner mit
denselben Buchstaben anfingen? E I N Z I G E L E O! Einzige
Leo! Bah, das hat er mit Otti auch gethan, ehe sie verheirathet
war. Seine poesiedurstende Seele muss eben Jemand haben zum
Anschmachten und Andiehten. Und da Du ihm immer scheu aus-
wichest und unsere Scharwerkermädels ihm denn doch wohl zu grob-
knochig und zu dumm waren, so nahrn er eben mit uns vorlieb.

Der reine Nothbehelf, nichts weiter! — Was starrst Du mich so an,
Närrchen?.

Mia’s Augen blickten furchtbar ernst und forschend.

„Du liebst ihn nicht, Leo? Wirklich nicht?“

„Gott soll ihn bewahren!“ brach Leo in lautes Gelächter aus.
„Dazu habe ich ihn viel zu lieb. Denke doch nur, was für ein nettes
Pärchen wir sein würden. Mit ein wenig Ueberlegung hättest Du Dir
das eigentlich selbst sagen rnüssen. Glaubst Du denn, ich habe Dich
zu unseren heimlichen Nachtexpeditionen gezwungen aus Leidenschaft
fiir Schiller und Goethe und für die deutsche Literaturgeschichte?

Gott, das sind ja auch ganz hübsche Sachen, besonders wenn sie
Einem von einem tyrannischen Herrn Papa verboten werden, aber
ihnen zu Liebe schlägt sich ein nüchternes deutsches Landmädel den
Schlaf doch nicht um die Ohren und unternimmt halsbrecherische
Touren in unterirdische Tropfsteinhöhlen. Nein, ich zwang Dich dazu,
weil Du mir leicl thatest und ich Dich mit Deinem Ideal zusammen-
bringen wollte. Denn Dein schreckliches Geheimniss kenne ich schon
lange!“

Mia schaute überrascht auf.

„Du . . .?“

„Selbstverständlich! Wenn Du es bewahren wolltest, musstest Du
es mir nicht so oft im Schlafe vorseufzen.

„— ,Hans! Mein Hans! Mein lieber, lieber Hans! 1 — so ging’s oft
die ganze Nacht hindurch.“

Mia erröthete verwirrt.

„Oh, Leo!“

„Ja, oh, Leo!“ copirte diese und sprang vom Bettrande herab. „Doch
nun — ich glaube nun auch, dass Du besser nicht mitgehst. Ich verstehe
zwar nichts davon, Gott sei getrommelt und gepfiffen, aber ich halte dafür,
dass Du ihm nicht entgegenkommen darfst. t)ie Männer wollen zappeln.
lch werde also allein gehen. — Du brauchst nicht eifersüchtig zu werden!“
setzte sie, Mia’s schnellen Blick bemerkend, hinzu. „Es geschieht zu Deinem
Besten. Ich werde Dir Dein Ideal verschaffen, Papa und dem Ameisen-
löwen zum Trotz. Aber nachher, wenn Du es besitzest und Dir’s dann
nicht mehr so poetisch vorkommen sollte, dantr bitte ich mir aus, dass
Du mir keine Vorwürfe machst!“

Mia hob erschreckt die Hand.

„Oh, Leo, und Dein Ehrenwort?“

„Wird gehalten! Ich werde Euch schon zusammendeichseln, ohne
Peitsche und Hüh und Hott. Bei einem so" lariimfrommen Pegasus genügt

ein leiser Zungenschlag. — Na, ich gehe nun. Hast Du mir etwas für ih n
mitzugeben?“

Sie beugte sich über Mia und sah ihr neckisch in die Augen. Und
Mia schlang plötzlich ihren Arm um Leo's Hals' und küsste Leo’s Lipp en-
„Das besorge ich nicht!“ sagte diese trocken, während sie sich saflft
losmachte. „Das musst Du ihm selbst geben!“

Sie schritt zur Thür. Mia sah ihr ängstlich nach
„Halte Dich nur recht fest, Leo!“ rief sie hinter ihr her. ,,Der Sturni
weht so stark und wird die Strickleiter hin- und herschleudern!“

Leo war schon draussen. Ihre Gestalt verschwand in der Finsterniss
des Dachbodens. Mia sprang aus dem Bette und eilte ihr nach, bis z u
dem Fenster an der Rückseite des Hauses.

„Oh, Leo!

Leo hatte sich bereits auf das Fensterbrett geschwungen.

„Zum Henker,“ flüsterte sie ärgerlich, „was giebt’s denn noch? Was
willst Du?“

Mia senkte verschämt das Haupt und ihre Hände falteten sich übei
ihrer Brust.

„Ich . . . ich bin so . . . Du wirst mich auslachen, Leo, aber — glaubst
Du, dass er mir auch ein wenig gut ist?“

Leo’s Kopf tauchte draussen an der Wand hinab in die Nacht.

„Der Teufel soll ihn holen,“ klang es wie aus weiter Ferne zurück,
„wenn er’s nicht ist!“

Und der Sturm brauste, der Donner rolltc, die Blitze zuckten und der
Regen klatschte. Und am Getreidespeicher auf dem Hofe kreischte ein e
Fensterangel und knallte eine Lade. Und es war eine schaurige, hexen-
haft unheimliche Nacht.

Wirklich, der alte Panske hatte Recht: die schwarze Jutta ging ulU'
Herr von Rocholl salr sie mit seinen beiden eigenen, gesunden Augen: da,

MODERNE KUNST.

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§ eradeaus vor ihm, auf dem Dache des Herrenhauses erschien ihre dunkle
^estalt, frei in der Luft schwebend, glitt an der Mauer herab und verschwand
Garten in der Richtung auf die hohle Eiche.

Herr von Rocholl verliess seine gedeckte Stellung hinter dem dichten
f»ebüsch und folgte vorsichtig. An der hohlen Eiche machte die schwarze
•lütta Halt und beugte sich tief in die Oeffnung des Baumes hinein. Dann
btickte sie sich zur Erde nieder.

Ein feuriger Blitz erhellte die Nacht mit blcndendem Lichte. Herr
v°n Rocholl sah es deutlich: zwischen den Zähnen der schwarzen Jutta
steckte das Ende eines langen Zopfes und an ihren Füssen —

Mit Miihe hielt Herr von Rocholl einen Ausruf der Ueberraschung

^urück.

„Heiliges Milliarden! Meine alten Reitstiefel!“

Die schwarze Jutta schlüpfte durch eine Liicke in der den Garten
§ egen den anstossenden Acker abgrenzenden Hecke.

„Abracadabra!“ sagte sie halblaut.

Seitwärts aus der Hecke löste sich die Gestalt eines Mannes.

„A —- abracadabra!“ gab er zuriick. Er stotterte ein wenig. „Sind . . .
sind Sie allein, Fräulein Leo?“

Sie lachte kurz auf

„Allein! Ist’s Ihnen nicht recht, Doctorchen?“

„Oh!“

„Dann vorwärts, dass wir aus dem Regen und in die Teufelshöhle
^ornmen!“

Sie gingen. Der Acker war frisch gepflügt, und vor ihnen lag ein
^■'aben.

Der Phildoctor näherte sich Leo schüchtern.

„Da — darf ich jhnen meinen Arm anbieten?“

Leo wich ostentativ zur Seite.

Sie war bereits über den Graben hinüber.

„Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten, Doctor?“ iragte sie, sich um-
wendend.

Er richtete sich plätschernd aus dem Wasscr auf.

„Da — danke! Es ist mir nur bis an die Knie gegangen!“

„Oh! — Sie haben doch Ihre Wasserstiefel an?“

„Nein! Ich habe nicht dran gedacht. A— aber ich habe ein Gedicht
gemacht. Ich habe es mitgebracht!“

„So?“ machte sie gleichgültig. „Nachher, in der Höhle dürfen Sie es
mir aufsagen, ich kann dann nichts dagegen machen, weil Sie dann der
Lehrer sind; aber hier draussen — sagen Sie mir doch, Herr Doctor Flans
Seegebusch,“ — sie blieb mit auf den Rücken gelegten Armen stehen und
hielt den Kopf steif im Nacken, — „was soll eigentlich daraus werden?“
Auch er war stehen geblieben.

Wo — woraus?“ fragte er verlegen. Er ahnte wohl, was kommen
würde.

„Na, aus Ihnen!“ stiess Leo scharf heraus und ging weiter. „Wollen
Sie wirklich hier verbauern unter uns Arbeitsvieh? Sie, der Sie Ihr
schriftliches Staatsexanien bereits vor zwei Jahren bestanden haben!“
Er seufzte.

„Das schriftliche — ja! Aber das mündliche . . . .“

,,Na, was ist’s mit dem mündlichen?“

Er machte ein paar grosse aulgeregte Schritte, dann blieb er
wieder stehen.

„Es ist lächerlich und dumm!“ sagte er mit plötzlichem Entschlusse.
„Und Sie haben Recht, wenn Sie mich verspotten. Denn . . . erinnern
Sie sich, dass .ich in diesen letzten zwei Jahren dreimal verreist war,
angeblich um einen Onkel zu besuchen ?“

„Ich erinnere mich! Und dieser Onkel?“

„War schon vor meiner Geburt gestorben! Ich machte die drei
Reisen, um in’s mündliche Exameri zu steigen!“

Sie fuhr überrascht zu ihm herum.

„Sie haben es schon gemacht?“

Er senkte verlegen den Kopf.

„Nein! Jedesmal, wenn ich schon clie Thürklinke zum Examinations-
saal in der lland hatte, überfiel mich eine -— ja eine wahrhaft ver-
rückte Angst. Ich kehrte um. So!“ athmete er fast erleichtert auf.
„Nun lachen Sie!“

Lco lachte nicht. Sie erwiderte auch nichts. Sie rannte nur mit
grossen wüthenden Schritten yoraus. Und dem Phildoctor flogen trie-
fende Erdklumpen um die Ohren.

An der Teufelshöhle holte er sie ein.

„Fräulein Leo!“ rief er athemlos. „Hörten Sie nichts? Es war, als
wenn Jemand hinter uns riefe oder Iluchte. Am Trainirungsgraben
schien’s zu sein. Es planschte auch. Und es kam mir vor, als ob . . .“
Er hielt zögernd inne und lauschte zurück.

„Na?“ drängte Leo ungeduldig. „Als ob . .?“

„AIs ob es die Stimme Ihres Vaters wäre!“

Leo zuckte zusammen. Dann machte sie eine unendlich gering-
schätzige Handbewegung.

„Wissen Sie, was Sie sind, Doctor?“ fragte sie so grob wie möglich.
„Ein furchtbarer Angstmeier sind Sie, eine zweite Auflage vom alten
Panske. Eine verschlechterte. Denn der würde sich yor so einem ver-
schrumpften, zerstreuten Professor wahrhaftig nicht fürchten. IJncI Ge-
spenster seht Ihr alle Beide!“

Ihr kalter Hohn, der Hohn seiner ehemaligen Schqlerin, brachte sein
Blut doch in Wallung.

„Fräulein Leo!“ rief er aufbrausend.

Sie zuckte die Achseln. Dann machte sie ihm eine sjchnippische \ rer-
beugung und deutete auf den Eingang der Höhl'e.

„Ist’s gefällig voranzukriechen? Oder fürchten Sie,. dass drinnen mein
Ahnherr Heinz von Rocholl, der rothe Teufel, Sie mit einem Schwerthieb
empfangen könnte? Dann wiirde ich . . .“

Er wartete das Weitere nicht ab, sondern kroch voran. Leo kroch
nach. Der Eirigang war sehr niedrig und schmal, und so dauerte es ein
wenig lange. Und beim Scheine eines Blitzes sah Herr von Rocholl noch
die Sohle seines linken Reiterstiefels in dem finsteren Loche verschwinden.

| Fortsetzung iolgt.J
 
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