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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [1]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0321

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230

MODERNE KUNST.

„Ach, nein, mein guter
Herre, es ist nichts Falsches
daran, er ist auf unserm
Berg gewachsen, ich kann
jede Traube nachzählen, die
darin ist, und wir müssen
ihn auch nur verkaufen, weil
wir im letzten Jahr gar nichts
gebaut haben, da Alles er-
froren war. Wenn Sie mir
doch nur ein paar Liter zur
Probe abnehmen wollten!“
Der Postbeamte zuckte
zweifelnd von Neuem die
Achseln, er traute der Sache
doch nicht recht. Der Wein
schmeckte ihm so gut, dass
er an seine Echtheit nicht
glauben wollte. „Ein ander-
mal,“ sagte er, und die Thür
schloss sich vor der Frau.

Sie klingelte an der ge-
genüberliegenden Wohnung.
Hier öffnete eine Köchin und
frug nach dem Preise. Als sie vernahm, dass der Liter achtzig Pfennige
kosten sollte, machte sie eine ablehnende Miene und bemerkte:

„Das ist .mir zu theuer. Dafür kann ich den schönsten Italiener haben,
ich nehme überhaupt nur noch Italiener als Kochwein und die Herrschaft
trinkt nur alte Rheinweine und Französisches.“

Die Thüre würde verschlossen und mit erhöhtem Missmuth hockte
die Landfrau ihren Korb auf und begann, während sie die Treppen hin-
unterstieg, leise zu weinen. Wo sie als Mädchen so manchen halben
Krüg'Wein losgeworden war in früheren Jahren, hatten die Leute sich
italienische Weine angeschafft; es war, als könnte sie ihren Krug nur auf
die Strasse ausgiessen, so werthlos schien sein Inhalt geworden. Als
sie auf die Strasse trat, schien die Nachmittagssonne ihr gerade in die
Augen, dass ihre Thränen wie goldige Tropfen Weines über ihre Wangen
herabliefen.

Sie ging einige Häuser weiter. Es war ja wohl ihr eigener Wein,
den sie hier verkaufte, auf ihrem eigenen Weinberge gewachsen, ihrem
väterlichen Erbstück, das sie mit ihrem Manne bewirthschaftete. Aber
der Mann hatte ihr streng befohlen, den Wein nicht unter achtzig Pfennigen
zu geben, es war an sich schon ein Spottpreis, wo man die Flasche allein
sonst für eine Mark und fünfzig Pfennige, in guten Zeiten für zwei Mark
verkaufte. Sollte sie ihn nun noch billiger anbieten? Ihr einziger Besitz
und Reichthum waren die Fässer voll Wein, die sie aus vergangenen
Jahren im Keller bewahrten und das Obst, das sie sonst noch auf dem
Berge zu erbauen im Stande waren. Ach, es erschien ihr wie ein Ver-
brechen, dass sie das kostbare Gut, von dem jeder Tropfen mit einem
Schweisstropfen ihrer eigenen Arbeit bezahlt war, im Drange der augen-
blicklichen Noth um einen Almosenpfennig hergeben sollte. Was würde
ihr Mann sagen, wenn sie dann doch rioch genöthigt war, den Preis zu
verringern, und wie sollte sie es ihm verheimlichen, wenn sie eben nur
den kargen Erlös mitbrachte!

Der Spätnachmittag neigte sich mehr dem Abend zu; sie besann sich,
dass sie noch drei Stunden Weges für den Heimgang brauchte, nachdem
sie sich todtmüde gelaufen hatte, ohne den Tag über etwas verkauft zu
haben. Sie hatte fast zwei Liter von ihrem Wein umsonst ausgeschänkt,
denn kosten wollten die Leute alle, aber sie selbst hatte noch nicht das
Geld, mit dem sie für ihren Mann und die ICinder etwas Ordentliches zu
essen kaufen konnte, wenn sie mit Einbruch der Nacht wieder heim-
kommen würde.

Traurig trat sie in ein ärmlicheres Haus am Ende der Strasse ein.
Sie klingelte im Erdgeschoss. Eine junge Arbeiterfrau, die krank und
siech dreinblickte wie eine Sterbende, öffnete ihr. Sie wagte kaum ihren
Wein anzubieten.

„Ach, ich möchte wohl welchen kaufen,“ sagte die Arbeiterfrau. „Der

Arzt hat mir Rothwein verordnet. Aber achtzig Pfennige, das kann lC
nicht erschwingen!“

• cje

Der guten Winzerfrau jammerte der Anblick der armen Frau.
hätte ihr am liebsten gleich einen Liter geschenkt. Aber sie brauchte J
selber Geld.

„Wenn Sie mir sechzig Pfennige geben könnten, ich muss den W Lirl
ja los werden.“

Die Arbeiterfrau brachte einen braunen Topf heraus, nachdem sie e 13
aus dem Becher gekostet und der rothe Wein ihr sichtlich wohlgeth 1111
hatte. Sie nahm zwei Liter von dem Weine und bezahlte ihn für sechzi^
Pfennige. Die Landfrau tröstete sich, dass sie auf diese Weise ihrc 111
Manne sagen konnte, sie habe den Preis aus Mitleid heruntergesetzt, cl”
Mitleid, das ihr selbst erst die nöthigsten Pfennige in die Tasche brach^ e'
Als sie aber mit der kranken Arbeiterin abrechnete, trat eine andere Fr aU
hinzu, welche die Treppe herunter kam, und als diese hörte, dass d er
Wein so billig verkauft werde, brachte sie auch einen Topf, um eiü el1
Liter zu nehmen. Das Gespräch der Frauen lockte auch die Nachbar 111
herbei, die gleichfalls sofort eine alte Flasche brachte, um sie sich füU eI1
zu lassen.

Als die Landfrau mehr als zwei Mark in der Tasche trug, die sie 211
guter Letzt doch noch eingenommen hatte, nahm sie schnell ihren K° r^
wieder auf und trat den Heimweg an, um auf der grossen Landstras^
am Strome hinwandernd die fernen Berge zu erreichen, die im Sonncü
dunst weiter unten am Gestade lagen mit ihren Weinbergsterrassen uU
den weithin blinkenden Winzerhäusern und Spitzhäusern auf den Höh e11'

Zweites Capitel.

Wührend die Frau in der Abendsonne ihrem Heimwesen zusteuert e'
arbeitete der Winzer Gotthelf Rüdig angestrengt in seinem Weinberg e'
In steilen Terrassen war der Berg abgemauert, einen Wald von PfähR 11
sah man schon auf allen Flächen, an den Bergecken, um die Felsvorsprürig e
das Land bedecken. Der Winzer kniete an einem Felshang, wo röthlich cr
Porphyr schroff aus der steilen Höhe heraustrat. Ein schmaler
führte um die Felsecke herum, die nach unten fast senkrecht abstürz te
und erst in der Tiefe einer gutgewachsenen Tanne wieder auf dem gelinh er
ansteigenden Erdboden ruhte. Mit Steinhacke, Bohrer, Brechstange Ul1
Hammer wuchtete hier der Winzer im Felsen, bohrte Bruchstücke d e9
zerbröckelnden rothen Gesteins aus und warf den Schutt über d eU

schmalen, gefäh f
lichen Pfad hin 3' 1
in die Tiefe. W ellU
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Weinhändler Haussmann.
Originalskizze von Professor Fritz Werner.
 
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