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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Ompteda, Georg: Der Spiegel, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0156

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MODERNE KUNST.

61

t>a

^ - • . . da . . . . dämmert vor meinem Gedächtniss wieder jener

^ eld herauf, wo ich in Vermögensangelegenheiten auf der Reise in einer

^ner,

bleibe

S(| ki n Staclt verweilen musste. Und ich war gezwungen über Nacht dort

. -'uen. Sie war natürlich nicht mitgekommen; ich allein. Im einzigen
aes Städtchens wohnte ich. Doch meine Geschäfte zogen sich in
Länge> j^ vej-jnochte sie nicht zu erledigen, und musste bleiben.
13 u aeU § anzen Tag gab es nichts zu thun mehr für mich, bis an den
s,en Morgen.

T t °

üd die Wittwe, die das Hötel führte, war hübsch und hatte glattc

Seben

\

r e Und ineinte, wir würden uns ja doch im Leben niemals wieder

> denn ich reiste am nächsten Tage ab.

,1 . ^ a • . . verruchter Spiegel, ich sehe die sinnlichen Nasenflügel in
tlriem Bilde .... Du sollst mir nie wieder meine Schmach zeigen dürfen:
lch schlage Dich in Scherben.

-' estern warf ich ihn zu Boden, nun liegt er in Splittern. Ich habe Ruhe.

,eh

ed fünf Wochen habe ich nicht mehr in den Spiegel gesehen und
athme auf.

D,


en dreitheiligen Spiegel meiner Frau fand ich wieder. In der Mitte

6 Scheibe und je eine rechts und links, wie Fliigelthüren, zum auf und
i. blaPpen. Ich stellte ihn vor mich auf den Tisch und blickte wieder

‘Uhc,:

Er wirft sein Bild zurück wie der andere. Es ist nichts verändert.

^in.

s , ^ as sagen diese Züge noch? Mir ist es, als ob der neue Spiegel
Jer wäre, denn heute finde ich tausend Eindrücke meines Gesichtes

M,

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fe],

und mich bestürmen Bilder aus der Vergangenheit.

anderen Freunde, die Bekannten, die ich im späteren Leben ge-
scheinen sich zu melden in der Erinnerung.

^aren sie mir nicht eigentlich einerlei? Was wäre geschehen, wenn
ClUes Tages alle mir den Rücken gewendet hätten, oder verschwunden
n' n plötzlich? Hätte mir etwas gefehlt? Hätte ich sie entbehrt? Ob ich

fcInt hätte,


sie zu

missen? Wäre eine Lücke in meinem Dasein geblieben?

eute sind sie fast alle aus meinem Gesichtskreis getreten. Allmählich
^ cs geworden. Einmal ging dieser, einmal jener, endlich kam auch wohl
°der da ein neuer an ihre Stelle, bis auch er verschwunden ist.

Ei

” Sch,

sPr:

JUen Eindruck hat keiner mehr hinterlassen. Ich sagte mir nicht:
acle dass Du gehst“ oder gar: „Jammer dass Du fort musst.“ Ich
|^ ch nur zu mir: „also Du da gehst“, und „so da ist fort!“ Und dann
ich weiter wie ich vorher gelebt hatte.

^' n Grunde genommen: was gingen sie mich auch an? Sie wolinten
erselben Stadt, wir trafen uns auf der belebtesten Strasse, wo man



1:1 aL wir gingen ein Stück miteinander und trennten uns wieder. Wir

^tl;

2u Gast bei einander reihum, einmal hier, einmal dort, um uns über

r1)j^ llcler gegenseitig Schlechtes und Böses zu erzählen. Oder wir be-
^ eideten einen Dritten, wegen irgend etwas eine Weile, bis wir ihn
sCssen hatten.

S(,j^^ her in Wirklichkeit waren wir uns alle ganz gleich. Nur wer den-

' n Strang zog, kam einem etwas näher, doch nicht zu nahe, sonst
"Sr ■

ste

uian sich wieder im Concurrenzneid die Zähne weisen.

'Hi


Schied

zu

Grabe,

einer aus dem Kreise der Bekannten aus — so brachte man
beim Frühstück sich zu freuen, dass es einen

um zusammen

St 'üesesmal noch nicht getrofifen.
i^^ür cjen Anderen fühlte fast keiner, und die Wenigen die es ver-

$j en> blieben zurück in der Welt im Vorwärtsstreben, und man lachte
aUs.

L. ^ as nur interessirte uns, was uns selbst betraf, und wenn man sich

uch auch umarmte und küsste: im tiefsten Grunde des Herzens trug

nür ein Gefühl, ein Wort: „Ich“.

t)

er Egoismus ist tief, unauslöschlich tief in mein Gesicht gegraben.

Ich

° nhden

war ein unabhängiger Mann, ich hatte mich durch keinen Berut


and

so musste ich auch gefeit sein gegen kleinlichen Neid, denn

Wjn]. ncl dennoch! Ha! Ha! Dennoch kleines Rinnsal, verbissen an den
ln des Mundes, ich weiss wer Dich geboren! Ich weiss, dass auch

niachte mir eine Ehre streitig, keiner ist mir in den Weg getreten.

Du eine Geschichte hast, dass auch Du gegen mich zeugen wirst. Du
heissest: Neid!

Unbehagen habe ich empfunden, wenn einer beim Corso ein besser
gemachtes Paar Pferde vor dem Wagen hatte als ich. Ich legte die Stirn
in Falten, wenn in der Morgenzeitung die guten Freunde aus der Nachbar-
villa als in Audienz empfangen standen und nicht wir. Den Absatz trat
ich zu Boden, wenn man mir sagte, Frau So und So sei die Schönste
gewesen und man schwieg von meiner Frau.

Und ich weiss, dass bitterer, bitterer Neid mir in der Seele aufstieg,
als mir ein „Freund“ von seinem Kinde sprach, wie es täglich schöner
und klüger und herziger würde.

Und meines war todt.

* *

Der Spiegel zeigt mir die Aehnlichkeit zwischen mir und der Mutter.
Muss er mir auch das verrathen? Trug sie nicht Gramesfurchen wie ich?
Aber ich habe sie ihr in ihr altes, liebes Gesicht gerissen. Ich . . ich . . .

Wie sie älter wurde, verlor sie das Gedächtniss . . . und ich unter-
stiitzte es ihr nicht, ich half ihr nicht, ich nahm keine Rücksicht darauf . . .

Wie sie älter wurde, musste sie langsam gehen . . . und ich fuhr sie
an, weil mich der schleichende Schritt ermüdete . . .

Wie sie älter wurde, hörte sie schwer . . . und ich nahm mir nicht
die Mühe deutlich zu sprechen, ihr die Worte zu wiederholen, sie ihr auf
das Papier zu schreiben, das dazu immer neben ihr lag . . .

Wie sie älter wurde, wurden ihre zittrigen Finger steif und unge-
schickt . . . und ich schalt sie, wenn sie einen Gegenstand nicht fassen
konnte oder fallen liess, dass er zerbrach . . .

Wie sie älter wurde, ward sie mir unbequem und stand im Wege
mit all den Rücksichten, die man ihr widmen musste.

Da vernachlässigte ich sie, da schob ich sie beiseite, da vereinsamte
sie ganz. Und mir war es, als liebte ich sie nicht mehr, als ob mein
Gefühl ganz erkaltet wäre fiir sie, weil sie mir nicht mehr nützlich sein
konnte und ich es ihr nur sein sollte . . .

Und sie hatte mich doch geboren . . .

Die edle Falte der Kindessorge um das Wohl der Mutter . . . die
Furche mit Ehren erworben . . . die trüge ich gern . . .

Ich suche . . . doch das Spiegelbild will sie mir nicht zeigen.

*• *•

Bin ich mitleidig gewesen? Das fällt mir heute ein. Bin ich mitleidig
gewesen?

Ich finde keine Antwort und ich sinne nach; wo und wann hat in
meinem Leben echtes, wahres Mitleid' eine gute That erzeugt? Es musste
ein Zug des Mitleids, des Mitgefühls, des Erbarmens zu finden sein.

Ich überlege mir: habe ich nie Gutes gethan? Habe ich nicht den
Armen gegeben bei jeder Gelegenheit? Hatten wir nicht mehrere be-
dürftige Familien, denen wir einen Christbaum jedes Jahr entzündeten mit
reichen Gaben? Stand ich nicht an der Spitze jeder mildthätigen Samm-
lung? Gab ich nicht dem Elend am Wege, wo ich es sah? Wo man
mich darauf aufmerksam machte und darum anging?

Ja, das that ich alles, aber wenn ich für eine Wohlthätigkeitsliste
eine Summe zeichnete, so hatte ich den Hintergedanken dabei, dass man
meinen Namen lesen sollte, dass ich nicht zurückbleiben mochte, wo alle
andern vertreten waren. Und die Höhe der Gabe schätzte ich ab nach
der Höhe der „Schicklichkeit“, wie es sich wohl gut machen würde, wen
ich übertrumpfen könnte mit meinem Gelde.

Und ich gab denen am Wege, aber es war um nicht belästigt zu
werden, um weiter zu kommen, um den Dunst der Armuth nicht weiter
einzuathmen, um mir den Anblick des Elendes aus den Augen zu schaffen.

Wenn ich schenkte, diente ich mir selber. Nicht Milde, nicht Mit-
gefühl, nicht Mitleid, nicht Wohlthätigkeit, nicht Erbarmen öffnete mir die.
Hand, sondern die Sucht das Peinliche fortzuräumen, die Prahlerei mit
meiner Grossmuth, der Egoismus, nur angenehmes, freundliches um mich
zu sehen, vom Leid der Erde nicht aus meinen Träumen des Wohllebens
aufgerüttelt, nicht in meiner Lethargie des Genusses gestört zu werden.

Die Zeichen der Hartherzigkeit fürchtete ich in meinem Antlitz zu
lesen — doch nein . . . . sie fehlen oder ich finde sie doch nicht. Aber
dafür fehlt auch nur die leiseste Linie, die Mitleid bedeuten könnje, und
nun — nun ist alles ohne Werth .... [Fortsetziing foigt.]

•X. 4. IV.
 
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