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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Malkowsky, Georg: Lourdes
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0154

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MODERNE KUNST.

S 9

nun mehr 30 Tahren strömen die Pilger
Cl1 dem Pyrenäenstädtchen zu Hundert-
^senden, und wenn Zola sich heute mit
'°tirdes und dem katholischen Wunder be-
igt, so hat er eben einen verwendbaren

h.


gefunden, wie jeder andere Dichter. Es

andelt sich um keine neue Manifestation

«lod
b.

erner Geistesströmungen, sondern um ein
ehanntes Material, das seine eigenartige Ver-
%fclsbgung findet. Was Zola als Document'en-
hntler verliert, gewinnt er als Dichter.

Es sind allerdings benterkenswerthe That-
aehen, die sich innerhalb dreier jahrzehnte
°Urdes zugetragen haben, Thatsachen, die

L

eb

en so Wohl zu einem Idyll. als zu einer

P°e ausreichen würden. Man könnte da

^ fc Lebens- und Leidensgeschichte der Ber-

rhette Soubirous schreiben, die Geschichte

j es frommenHirtenmädchens, dem die heiiige

, ngfrau in der Grotte von Lourdes erscheint,
hru , . .

»ich ihr zu offenbaren nut wenigen un-

fc’ st;ändlichen Worten: „Bete für dieSünder!“

Sse, Busse, Busse!“ „Trinke von der Ouelle,

Die Wundergrotte in Lourdes und
Nach einer photographi:

asche Dich dort und esse von dem Kraut,

^ an ihrem Rande wächst!“ „Ich bin die unbefleckte Empfängniss!“ Das Ganze

j r<^ e sich lesen wie eine Legende, schlicht und rührend, das Wunder mitten

die Alltäglichkeit des Lebens versetzend, wirksam wie ein Gemälde von Fritz
ohri °

p0 6 ^ ernardette Soubirous hat in ihrer Erscheinung etwas Präraphaälitisches,

Y fc,lsch Duldendes. Sie ist eine moderne yermittlerin des Wunders, das der

’Hittelung bedarf, weil es uns erst wieder menschlich näher gebracht werden

ss- Ihrer Bedeutung sich nicht bewusst, wie eine Schlafwandlerin schreitet
sic ri

uurch das Leben, verklärt durch den festen Glauben, dass sich die heilige
JUn„r._

s‘ rau all’ der Elenden und Bresthaften erbarmen wird. Aber man rnuss sich

a°Ub

e Helferin anklammern mit der vollen Inbrunst des Gebetes. Bernadette

eUi

ll . " nen der Spenderin uncl den gläubig Verlangendcn. Die katholische Chrrsten-

lr°us ist nur das unscheinbare Gefäss des Wunders, das sich, nachdem sie

die frohe Botschaft gebracht, auch ohne sie stets von neuent vollzieht

■ aufgerüttelt durch die Ereignisse in dem kleinen Pyrenäenstädtchen, strömt
] . ausenden nach Lourdes. Es entsteht ein wahrer Kreuzzug des unheilbaren

^^irl

eils nach dent gelobten Lande der Genesung. Die wundersamen Heilungcn

mehren sich, und Bernadette Soubirous — tritt
irnmer ntehr in den Hintergrund, bis sie hinter
den Mauern eines Klosters verschwindet, um
dort hinzusiechen und zu sterben. Es ist
einer der tiefsinnigsten Züge dieser ntodernen
Legende, dass der Wundervermittlerin selbst
nicht geholfen wird. In ihr hat das ganze
Leid der gequälten Menschheit aufgeschrieen
gen Hirnntel, aber ihr selbst werden die un-
gestillten Schmerzen zunt Glorienschein, zur
irdischen Vorbedingung himmlischen Lohnes
im Jenseits. Sie stirbt ungeheilt.

Auch zur modernen Epopöe aes Glaubens,
durch den noch intnter geholfen werden kann,
liessen sich die Wunder von Lourdes ver-
arbeiten. O über die kurzsichtigen Aufklärer.
die nicht ahnen, wie oft durch das Sehnen
nach dcnt Unmöglichen, durch den wachsen-
den Glauben an höhere Kräfte das unntöglich
Scheinende erreicht wird! Wer dann die
Tausende von Krücken sieht, die als Stiftun-
gen der Geheilten die Wände der Grotte von
Lourdes bedecken, soll der nicht glauben an
eine göttüche Barmherzigkeit, die sich nicht
kümmert uni die Naturgesetze, durch die sich der beschränkte Unterthanenverstand
der Menschen die unbegreifliche Folge der Erscheinungen zu erklären versucht?
Wer noch zweifelt an der Wirksamkeit des Glaubens, der gehe selbst zur Zeit
der grossen Herbstwallfahrt nach Lourdes. Die Zehntausende, die dort auf den
Knieen liegen, inbrünstig betend, auf Hcilung hoffend und Heilung findend,
werdcn ihn überzeugen von der unvergänglichen Macht des Glaubens.

Damit dann der. erhabenen Dichtung das Satirspiel nicht fehle, könnte man
„den Ivarnpf um das Wunder“ schildern, all’ die kleinen Interessen, die wach
gerufen werden durch das Anwachsen des ärmlichen Gemeinwesens, durch den
Zustrom der Fremden. der sich seit drei Decennien auf jährlich Hunderttausende
beläuft. Auch Mönche und Nonnen sind trotz aller geistlichen Abtödtung
Menschen und als solche auf den Vortheil der Congregation bedacht, auf deren
Regel sie sich verpflichtet haben. Selbst Gotteshäuser werden mit irdischen
Mitteln zu himmüschen Zwecken errichtet, und der Kampf zwischen der Rosen-
kranz-Kathedrale und Notre-Dame de Lourdes, zwischen der alten und der neuen
Stadt, ist ein Heldengedicht, das seine ernstcn und seine komischen Episoden hat.

das Portal der Rosenkranz - Kirche.
schen Orisnnalaufnahme.
 
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