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MODERNE KUNST.
Drittes Kapitel.
Herr Weingrosshändler
Anton Spurmann durchwan-
delte in Begleitung seines
ersten Weinreisenden, des
Herrn DesireMüller, dem man
in weiten Kreisen auch den
Namen des „Grafen“ beilegte,
die Kellereien der Handlung.
Herr Desire Müller war eben
erst von einer längeren Reise
zurückgekehrt, auf der er be-
sonders glücklich gewesen.
Er hatte unterwegs nicht nur
zahlreiche Geschäftsempfeh-
lungskarten der Firma bei
Gutsherren, Hötelinhabern
und Weinstubenbesitzern,
auch bei mancherlei Privat-
leuten abgegeben, sondern
auch von den verschieden-
sten Orten aus reichliche Be-
stellungen fiir sein Haus auf-
gegeben. Mit einem Notiz-
buch voll von weiteren Auf-
trägen war er eingetroffen,
hatte sich im Comptoir bei
dem Chef angemeldet und
bereits vielesWichtige auf das
Geschäft und auf ihre Weine
Bezügliche abgehandelt.
Er führte nicht umsonst
den Namen des „Grafen“,
denn er bewegte sich ganz in
den ausgesuchtestenManieren
des Weltmannes und Fein-
schmeckers, legte selbst in
den Kellereien seine Hand-
schuhe nicht ab, war mit
einem Cylinder nach neue-
stem Schnitt bedeckt und trug
leichte Reisegamaschen über
den aristokratisch geformten
Spitzschuhen an seinen Füs-
sen. Ein goldener Kneifer,
den er sehr geschickt auf
die Nase zu setzen wusste,
vervollständigte den Eindruck
des gewiegten Gesellschaftsmannes, dem man nicht gut widerstehen konnte,
wenn er den Damen seine Gefühle, den Hötelbesitzern aber seine Weine
anbot. Er trug den blonden Bart auf spanische Weise zurechtgeschnitten
-
- «K
-
Grosse Treppe im neuen Anbau der Reichsbank.
und war ein Mann von etwa-
siebenunddreissig Jahr eI1'
dem Niemand ansah, dass e
in jiingeren Zeiten ein P r°
testantischer Geistlicher S e'
wesen war, zu dessen P re
digten sich die DamenW e^
mit allgemeiner Begeisternf^
d e5
nd d eS
d f eU'
gedrängt
hatte
wegen
melodischen Klanges u'
überaus rührenden unc
Inhalts seiner
ngen
Diese Begeisterung
Frauenwelt indessen h at
Folgen gehabt, welchc s' c
mit seiner Stellung als S e
6 \V
lenhirte nicht vertragen rv°
ten; er hatte in der Resid enZ'
in welcher er an der Ha nP
kirche
angestellt geW 1
war, sein Amt niederleg 1
müssen, hatte die Gottesg
ea
at'
ißl*
lehrsamkeit in Folge dess'
an den Nagel gehä n»
ßeU 1
,d
ganz
und sich einen neuen
gewählt, wo er ein We!tki n
unter Weltkindern zu se"
vcrmochte. Seit sechs Jahi e"
bereits reiste er für das Sp lU
mann’sche Geschäft, und
er einst ein Kenner des
lichen Wortes
war er
Weine.
nun ein Kenner
ött'
50
r d ei
Neben ihm schritt
Spurmann, ein mittelgros sC
Mann, der an der SchW e^ e
des sechzigsten Lebensjah lC
stand, einen langen, weis seU'
vollen Bart und auf d e"
Kopfe eine leichte Mütze tr u
Ein ehrliches und joviales
sicht, das nur ziemlich s ral
thr
de'
cf
;G e'
geröthet war und vern el
dass der Weinhändler
täglichen Versuchung sd n'
Fässcr nicht widerstand, cl
wcckte Vertrauen.
Die beiden Männer hieltcn im Spülraum der grossen, ausgedehu tl 1
Kellereien Spurmann's, welche vielfach die Neuerungen der Zeit und d 1
praktischen Einrichtungen eingeführt hatten. tFortsetzung foigt-3
ork-e)eppiche.
^enn wir die öffentlichen Lokale durchwandern, die — an Grösse und Pracht
der Ausstattung einander überbietend — dem Weltstadtgepräge des neuen
und neuesten Berlin so charakteristische Züge verliehen haben, oder wenn wir
in eines der neueren Theater uns begeben, um über die Leistungen der modernen
Bühne uns zu freuen oder auch — gründlich zu kritisiren, so wird uns, während
das Auge die Wunder der modernen Decorationskunst wohlgefällig betrachtet,
gleichzeitig von dem dahinschreitenden Fusse ein eigenartiges, doch recht an-
genehmes Gefühl übermittelt. Was ist das, worauf wir gehen? Es ist kein
Holzboden, denn wir sehen keine Fuge, auch ist dafür der Schritt zu elastisch;
es ist kein Wachstuch, denn dieser veraltete Bodenbelag war kalt und hart; es
ist auch, trotz des weichen Ganges, kein Wollteppich, denn von dem Staub, der
p
diesem selbst bei grösster Reinlichkeit imrner anhaftet, merken wir nichts- ^
scheint uns als ob es ein Bodenbelag sei, der, frei von den Unannehmli cl’k el
,ier eIt
aller früheren Belagsarten, nur deren Vorzüge in sich vereinigt. Bei genau
Fü sS
erl el
V e
Zusehen erkennen wir denn auch leicht, was wir vor uns, resp. unter den
haben — es ist Linoleum oder Korkteppich.
Der fremde, nun aber längst dem deutschen Sprachschatze einver
Name „Linoleum“ deutet auf den werthvollsten Bestandtheil des unser beson ^
Interesse erregenden Teppichs, das Leinöl, ein Stoff, dem wir, die Männ cr
Feder und der Palette„ schon von Berufswegen die beste Meinung ent® e^o
bringen, bindet es uns doch das, was wir schreiben und malen, Druckersch"
und Farben, dauernd fest auf Papier und Lteinwand. _ ,
MODERNE KUNST.
Drittes Kapitel.
Herr Weingrosshändler
Anton Spurmann durchwan-
delte in Begleitung seines
ersten Weinreisenden, des
Herrn DesireMüller, dem man
in weiten Kreisen auch den
Namen des „Grafen“ beilegte,
die Kellereien der Handlung.
Herr Desire Müller war eben
erst von einer längeren Reise
zurückgekehrt, auf der er be-
sonders glücklich gewesen.
Er hatte unterwegs nicht nur
zahlreiche Geschäftsempfeh-
lungskarten der Firma bei
Gutsherren, Hötelinhabern
und Weinstubenbesitzern,
auch bei mancherlei Privat-
leuten abgegeben, sondern
auch von den verschieden-
sten Orten aus reichliche Be-
stellungen fiir sein Haus auf-
gegeben. Mit einem Notiz-
buch voll von weiteren Auf-
trägen war er eingetroffen,
hatte sich im Comptoir bei
dem Chef angemeldet und
bereits vielesWichtige auf das
Geschäft und auf ihre Weine
Bezügliche abgehandelt.
Er führte nicht umsonst
den Namen des „Grafen“,
denn er bewegte sich ganz in
den ausgesuchtestenManieren
des Weltmannes und Fein-
schmeckers, legte selbst in
den Kellereien seine Hand-
schuhe nicht ab, war mit
einem Cylinder nach neue-
stem Schnitt bedeckt und trug
leichte Reisegamaschen über
den aristokratisch geformten
Spitzschuhen an seinen Füs-
sen. Ein goldener Kneifer,
den er sehr geschickt auf
die Nase zu setzen wusste,
vervollständigte den Eindruck
des gewiegten Gesellschaftsmannes, dem man nicht gut widerstehen konnte,
wenn er den Damen seine Gefühle, den Hötelbesitzern aber seine Weine
anbot. Er trug den blonden Bart auf spanische Weise zurechtgeschnitten
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Grosse Treppe im neuen Anbau der Reichsbank.
und war ein Mann von etwa-
siebenunddreissig Jahr eI1'
dem Niemand ansah, dass e
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^enn wir die öffentlichen Lokale durchwandern, die — an Grösse und Pracht
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und neuesten Berlin so charakteristische Züge verliehen haben, oder wenn wir
in eines der neueren Theater uns begeben, um über die Leistungen der modernen
Bühne uns zu freuen oder auch — gründlich zu kritisiren, so wird uns, während
das Auge die Wunder der modernen Decorationskunst wohlgefällig betrachtet,
gleichzeitig von dem dahinschreitenden Fusse ein eigenartiges, doch recht an-
genehmes Gefühl übermittelt. Was ist das, worauf wir gehen? Es ist kein
Holzboden, denn wir sehen keine Fuge, auch ist dafür der Schritt zu elastisch;
es ist kein Wachstuch, denn dieser veraltete Bodenbelag war kalt und hart; es
ist auch, trotz des weichen Ganges, kein Wollteppich, denn von dem Staub, der
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scheint uns als ob es ein Bodenbelag sei, der, frei von den Unannehmli cl’k el
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Der fremde, nun aber längst dem deutschen Sprachschatze einver
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