Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [3]: Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0365

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

275

^lter erleben, dass hier der ganze Berg dem Untergang geweiht war,
die Entdeckung, die er gemacht, auch Anderen bekannt wurde.
ernichtung entweder durch die Behörde oder aber im Laufe der nächsten
und drei Jahre ein allgemeines Absterben, einen allgemeinen Tod
^ er Weinstöcke, mit ihm des Wohlstandes eines grosses Handelshauses
Utlc* die Zerstörung seines eigenen Lebenswerkes, ganz abgesehen von
er Gefahr, in welcher die übrige Nachbarschaft schwebte.

Sollte er heimlich alle diese erkrankten Stöcke ausreissen und neue
f’fianzen?! Vergebliches Unternehmen! Die junggepflanzten Stöcke würden
V° n derselben Krankheit erfasst werden; das Schlimmere würde eintreten,
* e heimlichen Verderber, die unsichtbar an den Wurzeln frassen, würden
"’ e>ter wandern auf die anderen Stöcke, würden sich erst recht in’s Un-
^tdliche vermehren und das Absterben der Weingärten nur beschleunigen.

enn er aber and're Mittel ergriff, wenn er versuchte, die kranke Stelle
Uf|ter Wasser zu setzen oder mit Erdöl auszubrennen, so musste es be-
Ulerkt werden, es wurde der Behörde vermeldet, ja, er war selbst zur

An

izeige verpflichtet und er wusste, dass dann der ganze Berg mit Stumpf
Ul1d Stiel ausgerottet wurde, um mindestens fünf Jahre brach zu liegen
Urid, wie hier die Culturverhältnisse standen, vielleicht in zehn, zwanzig
'khren erst wieder die Ergebnisse zu liefern, die jetzt vorlagen. Er hatte
^ le Staatsweinberge einer nicht weit entfernten Gegend gesehen, die als
e* n ungeheu’res, ödes, kahles Gebiet dalagen mit verfallenen Treppen und
eingestürzten Terrassenmauern, über welche die Erde herabrutschte und
^ le thauenden Gewässer im Frühling in tiefen Erdrissen herabflossen, wo
Utl den ausgestorbenen Winzerhäusern die Thüren aus den Angeln hingen
^ faulten und die Wachtlöcher der Unterschlupf für obdachlose Land-
Stleicher wurden.

In tiefer Angst und Bekümmerniss, in völliger Rathlosigkeit sass er
1,1 der Grube. Ohnmächtig war er mit all’ seiner alten Erfahrung dem
eUen, Furchtbaren gegenüber, das unsichtbar frass und das zarte Leben
^ tr Pflanzen tödtete, unersättlich, unüberwindlich und mit entsetzlicher
ermehrungskraft. Ganze Provinzen hatte es bereits verödet, in Frank-
1<5lch und Oesterreich, in Italien und Spanien, in Afrika, in Amerika, im
^ erUen Australien.

Aber vielleicht täuschte er sich! Vielleicht war es nur der Wurzel-
oder eine and’re Krankheit, die leicht zu bekämpfen und auf ihren
° erd zu beschränken war. Aber diese Schwellungen, diese vogelkopf-
Urtlgen Verdickungen, wiesen sie nicht mit grauenerregender Gewissheit
Utlt das Schlimmere, Unabwendbare hin?! Verschwieg er, was er gesehen,
U° brachte er die ganze Gegend in Gefahr. Sprach er, so war der Berg
u°Iort verloren; um and’re zu retten, wurde er geopfert. Ach, vielleicht
^rde die Natur sich selber helfen und widerstehen. Aber wo hatte man
erlebt? Bittere Thränen traten dem Alten in die Augen, in seinen

das
ii


a- rl: floss es nieder; er krümmte sich in sich selbst zusammen und liess
Kopf zwischen den Beinen niedei'hängen.

Es war wieder finster vor einer Wolke. Nur fern von der Höhe
'''“^iftimerte ein einsames Licht. Das kam aus Rüdig’s Stube; der Alte

e^en

die

als er aufblickte, wie es plötzlich verlosch. Dort mochten sie wohl
ahnungslos zu Bette gehen. — Büttner erhob sich. Er nahrn leise
Schaufel und scharrte die aufgegrabenen Stellen wieder zu. Jeder

atlg der Schaufel, wenn sie an einen Stein traf, erschreckte ihn. Schweigen,
^ cWeigen war wohl noch immer das Beste. Noch ein Jahr lang warten,
er ein Jahr würde sich ja zeigen, ob es weiter frass; im Sommer schon

%

s‘ch

M

Irde er an den gelben Blättern und abgestoi'benen Stöcken sehen, ob

die Sache ferner verheimlichen liess. Unterdessen konnte man nach
| tteln forschen, um heimlich das Uebel zu vertilgen, vielleicht wusste

leSer und Jener doch eins. Vielleicht hatten die Menschen es früher
SevvUsst, denn sie hatten ja Jahrtausende lang den Wein gebaut, ohne

da.

tv,

tSs dieses tödtliche Wesen solche Kraft erlangt hatte; gewiss hatten sie
'fiel gehabt; gewiss gab es alte Weiber oder andei’e erfahrene Winzer,

die «

uoch etwas davon wussten.

Eüttner sann nach. Die lcranke Stelle war mitten im Weinberge,
erin sich die umliegenden Stöcke belaubten und rings ihr dichtes Grün
^ deten, konnte man sie nicht so leicht bemerken. Man konnte den Horst,
^ leichtsinnig schien und über Vieles hinwegsah, weil ihm immer der
b eitl und die Mädchen im Kopf steckten, dieses Gebiet während der
rectle, Räurne und Ernte besorgen lassen; der wiirde überhaupt nichts

merken, allenfalls sich denken, dass die Gelbsucht in den Stöcken sei und
in dem Glauben konnte man ihn lassen. Nur jetzt noch nichts verrathen,
nur jetzt noch abwarten, wenn man auch auf seine alten Tage wie das
leibhaftige böse Gewissen, wie ein weisshaariges Berggespenst zwischen
den Weinpfählen einherirren wiirde! Nur schweigen, schweigen!

Der Alte hatte seine Gruben wieder zugescharrt und die Spuren seiner
Thätigkeit zu vei'wischen gesucht. Von der Höhe des Berges stieg er
auf der steilen Treppe tastend nieder; ihm war, als seien seine Augen
trüber geworden von dem grossen Kummer und der dunklen Angst in
ihm. Aengstlich tappte er mit den Füssen auf der schmalen, fast senk-
rechten Steintreppe hinab.

Auf einmal stand er wieder im Hellen. Der Mond war aus den
Wolken getreten. Im selben Augenblicke sah er drüben, wo Rüdig’s
Gartenmauer am Berge hinabführte, eine Mannsgestalt sich über die Mauer
herüberschleichen und sich rasch in den Mauerschatten ducken, um sich
vor dem hellen Mondschein zu vei'bergen. War das nicht die Gestalt
des Horst, an den er eben gedacht hatte? Wusste der auch etwas? Aber
wie kam er dazu, aus Rüdig’s Grundstück in seinen eigenen Berg zu steigen?

Jetzt sah der Alte, wie der Mann versuchte im Mauerschatten abwärts
zu schleichen. War das ein Einbrecher? War es Einer, der hier heimlich
nachfoi'schen sollte, ob die Reblaus irn Berge sei?

Der Alte spähte athemlos. War es so, war es ein Kundschafter, so
wollte er lieber einen Mord begeh’n, als das Geheimniss herauskommen
lassen. Mit dem Schaufelrande ihm den Schädel spalten! — Der Alte
fasste den Griff fester, als probte er seine Kraft. Es war ein Spion, es
war ein Verräther! Kam er nicht langsam hinübergeschlichen, gerade auf
die Stelle zu, wo oben die kranken Stöcke standen?!

Lauter und lauter rief es in dem Alten: es ist ein Spion, er will’s ver-
rathen. Hin muss er werden, er oder ich! Geht er nicht dort oben
zwischen den Pfählen hin? Sind die Augen nur so trüb’ geworden, dass
man nicht unterscheiden kann, ob’s der Horst oder ein And’i'er ist?

Büttner wurde von einer Art Wahnsinnsangst erfasst. Wenn der
Kundschafter oben nachgrub, wie er selber gegraben hatte? Nein, er
durfte gar nicht hingelangen, man musste ihn fassen und im Nothfalle er-
schlagen wie einen Hund.

Der Alte sprang die Treppe hinauf. Ganz deutlich sah er jetzt oben
die Gestalt zwischen den dunklen Pfählen huschen. Er begann athemlos,
schweigend, keuchend zu rennen, um den Fürchterlichen einzuholen. Er
schwankte gegen einen Pfahl und warf ihn urn. Ein Schlag gegen einen
andei'en Pfahl gab einen lauten Ton. Der Fremde oben schien zu er-
schrecken; er wendete sich um und sprang drüben am Berge abwäi'ts.
„Hund! VeiTäther!“ murmelte der Alte, wie von einer fixen Idee erfasst.
Er kehrte gleichfalls um und stürzte dem Manne am Rande einer Terrassen-
mauer von der Seite entgegen; im Schweiss der Angst gebadet und in
seinem Gehirne von der Vorstellung erfüllt, von wimmelnden Haufen
winzig kleiner wachsgelber Läuse mit rothen Augen, mit rothen Augen,
die der Fremde oben irn Schatten an den Wurzeln seh’n musste, sowie
die Sonne heraufkäme hinter dem Berge. Und diese Haufen von gelben
Läusen mit den rothen Augen überflutheten plötzlich seine Augen, sein
ganzes Innere, und ein Schmerz, als zerrisse er innexdich, wurde gefühlt,
indem alle die rothen Augen in einen grossen Blutstrom zusammenliefen. —
Ein dumpfer Fall wurde im Berge vernommen. Eine Gestalt stürzte von
der Mauerterrasse hei'ab und riss mit dumpfem Schmerzenslaut einen
anderen Gegenstand unter sich zu Boden. Ein leises Winnnern, ein tiefer
Seufzer — der greise Winzer lag leblos zu Füssen der Mauer, auf einen
Weinpfahl gepfählt, den er im Herabstui'z zugleich umgerissen hatte.
Mit einem kui'zen Seufzer war auch sein altes Leben von ihm gewichen.

Der Flüchtling oben im Berge bemei'kte nichts von alle dem. Er
ging auch nicht nach der kranken Stelle, um sie zu erforschen; er huschte
leise hinunter nach dem Winzerhaus und als der Mond wieder ihn be-
grüsste, pfiff er stille ein seliges Liedchen vom schönsten Mädchen und
der heissen Liebe. Heimlich schlich er in's Haus und vei'schwand dai'innen.

Der Leichnam des Alten aber lag in sich zusammengekrümmt am
Fusse der Mauer. Sein Bett hatte er nicht gefunden, in dem er vergebens
den Schlaf suchen würde; ihm war ein anderes Lager bereitet, wo man
tiefer und ruhiger schlummei'te. — —
 
Annotationen