Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 14.1915

DOI Heft:
Erstes Halbjahr. Januar-Juni 1915
DOI Artikel:
Stahl, Fritz: Carl Stahl-Ursach
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49963#0077
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
CARL STAHL-URACH
Von Fritz Stahl, Berlin

Wenn man den Sinn der Entwicklung der deut-
schen Baukunst während des letzten Viertel-
jahrhunderts in eine knappe Formel fassen sollte,
so könnte man etwa sagen: sie fand sich von allen
guten Geistern der Kunst verlassen und entschloß
sich, Geschmack zu sein; als sie das erreicht hatte,
fing sie an, sich der Dürftigkeit dieses Zustandes
bewußt zu werden, und ihre Sehnsucht stand dahin,
wieder schöpferische Kunst zu werden.
Die Geschichte der wichtigen Künstler ist immer
noch die Wiederholung der Geschichte der Kunst
in der Periode, in der sie schaffen. So wäre mit
der Formel, die ich eben gab, das Leben Alfred
Messels erzählt, der beide Stimmungen als Erster
erlebte und, indem er ihnen folgte, in beiden Be-
wegungen Führer wurde. Ich habe es erfahren,
wie sehr er in dem Gefühle seines Reichtumes und
in seinem heißen Wunsche, Schönheit zu geben,
darunter litt, daß ihn die Menschen, schwer von
Begriff und schnellfertig im Abstempeln, immer
noch als den Mann der bloßen Konstruktion sahen,
während er — wie Goethe in dem schönen Gleich-
nis von sich zu sagen pflegte — diese Haut längst
abgestreift hatte.
Dieser Irrtum hatte Folgen von der größten
Tragweite. Was so viele Jünger anzog und bewog,
den puritanischen Standpunkt der reinen Konstruk-
tion starr festzuhalten, war die Bequemlichkeit der
Sache. Verstand und Geschmack sind Gaben, die
weiter verbreitet sind, als Phantasie, und eine dünne
Enthaltsamkeit des Stiles stellt die geringsten An-
sprüche an das handwerkliche Können. Es sind
in der Zeit, in der Messels erste Art als allgemein
giltiger Zeitstil genommen wurde, in recht großer
Zahl junge Menschen Architekten geworden, deren
Gaben eigentlich nur zu einem guten Dilettantis-
mus ausreichten. Und mancher Dilettant hatte die
unter solchen Verhältnissen nicht unrichtige Mei-
nung, daß er sich sein Haus am Ende auch selbst
bauen könne.
Es hat recht lange gedauert, bis diese Geschmäck-
lerei überwunden wurde. Das Publikum ist ihrer
früher müde geworden als die Künstler und fing
schon wieder an, sich auf seine Weise gegen die
Kühle der modernen Arbeiten durch Flucht zu
alten Stilen und Stücken zu helfen. Von den
Aelteren konnten nur wenige zu einem reicheren
und freieren Schaffen kommen, es fehlten den
Meistern die ersten Eigenschaften und Bedingungen.
Einer, der es vermochte, ist Bruno Paul, der gerade,
als der Krieg ausbrach, in den Räumen des Gelben
Hauses in Köln etwas geschaffen hatte, was wie ein
neues Programm für die Zukunft wirkte.

Um so wichtiger ist es jetzt, auf die Künstler
hinzuweisen, die nach Gaben und Entwicklung eine
wirklich schöpferische Tätigkeit entfalten können,
die dazu auch nicht — wie manche Münchener —
wieder einen alten Stil, den des second empire,
aufzunehmen brauchen. Einen solchen Künstler
sehe ich in Carl Stahl-Urach, der in der letzten
Periode Messels dem Meister ein geschätzter
Schüler und Helfer war.
* *
Carl Stahl stammt aus einer Handwerkerfamilie.
Großvater und Vater waren Kunsttischler in Stutt-
gart, und es war selbstverständlich, daß er dasselbe
Handwerk lernte. Es wird jetzt wieder so viel
davon gesprochen, daß das Handwerk die Grund-
lage aller Kunst ist. Bruno Paul nimmt in seine
Schule nur junge Leute auf, die eines erlernt haben,
um dem üblen Kunstgewerblerwesen, das mit
Zeichnen anfängt und mit Zeichnen aufhört, ein
Ende zu machen. Und doch ist im Grunde alles
darauf zugeschnitten, daß eine wirkliche Ausbildung
in einer wirklichen Werkstätte umgangen wird.
Auch eine Lehrwerkstätte ist nur ein unzuläng-
liches Surrogat. Stahl kam erst nach der Gesellen-
prüfung — das kunstreiche Gesellenstück steht
noch auf seinem Schreibtisch — auf die Kunst-
gewerbeschule und konnte so die Werke der Väter
mit ganz anderen Augen studieren als nur ästhetisch
interessierte Betrachter, nicht so sehr auf die äußere
Form, als auf die Kunstmittel der alten Handwerks-
meister, in demselben Geist, in dem Messel und
Hoffmann die alten Bauten angesehen haben, um
sich vom Polytechnikum und seiner Stillehre zu
befreien.
Eine Fortsetzung dieses einzig richtigen und
natürlichen Studienganges war es, daß dann der
junge Kunsthandwerker, im Gefühl, für Höheres
als die Tischlerei begabt zu sein, auf die Hochschule
ging, um das Bauen zu lernen. Wer über Ueblich-
keiten hinaus denken kann, wird nicht daran
zweifeln, daß er in wesentlichen Dingen besser
vorbereitet war als die Maturi unserer höheren
Schulen, denen eigentlich allein das Recht zusteht,
ein Polytechnikum zu beziehen. Welches Unding,
daß ein Bildungsbeweis verlangt wird, wo es nur
auf das Talent ankommt! Zum Glück fand der
junge Kunsttischler Lehrer, die an solche Vorurteile
nicht gebunden waren. Theodor Fischer weiß sich
noch nach Jahren seiner zu erinnern. Ein ganz
besonderes Interesse schenkte ihm Gustav Halm-
huber, der seine Ausbildung auf alle Weise förderte
und ihn dann an Alfred Messel empfahl.

MOD BAUFORMEN 1915. II. 1.

49
 
Annotationen