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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 14.1900

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4. Heft
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Erinnerungen an die Baden-Badener Woche
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Friedmann, Alfred: Der Tod Lilian Rusalkines: eine Sportgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.22226#0077
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MODERNE KUNST.

heissen August aus, wie zu einer Polarfahrt gerüstet. Man kann übrigens genau stehenden Männern
die wirklieh vornehmen Damen von den künstlich vornehmen unterscheiden, und stets ein Tross von
zwar an der Pracht: jene halten sieh viel schlichter und einfacher als diese, für Marktschreiern, Gauk-
weiche das Teuerste gerade preiswert zu sein scheint. Ja boshafte Zungen be- lern, fahrenden Frauen
häupten, die weibliche Aristokratie der Geburt von der — des Scheines dadurch in denselben Stadt-
unterscheiden zu können, dass die Juwelen jener hier und da Simili, die dieser mauern sammelte, so
zweifellos echt sind. Bei den Bällen, den Blumenkorsos steigt die fabelhafteste findet sich neben dem
Pracht, korrigiert vom guten Geschmack, den, wenn er den Trägern der Toiletten, blaublütigsten Adel
den Besitzern der Wagen fehlt, die Schneiderinnen und die Gärtner für sie haben. hier in Baden eine
Die höchste Spannung aber entfaltet sich an den Renntagen, besonders anlässlich Armee von Buch-
der grossen Preise, denn da will jeder und jede nicht bloss sehen und bewundert machern, Tipverkäu-
werden, sondern nebenbei auch gewinnen, die vornehme Dame so gut wie die fern, Schwindlern,
nur vornehm gekleidete, und gerade die Frauen sind hier am leidenschaftlichsten Rosstäuschern, Hoch-
und unlenkbarsten. Eine scharfe Beobachterin, eine Dame selbst, schildert das Staplern zusammen,
Verhalten der Frauen mit folgenden Worten: „Nie habe ich so wütend wetten und am Ende eines
gesehen. Ein wahres Fieber, eine taumelnde Leidenschaft scheint auch die Renntages gleicht der
schönsten, vornehmsten, unnahbarsten ergriffen zu haben die elegantesten zerstampfte Rasen,
Frauen sprechen in fast beschwörender Art mit den schmutzigsten Buchmachern — zollhoch mit zerrisse-
die holdesten Mädchenaugen hängen flehend an den Orakellippen verschmitzt nen Totalisatorbilletts
blickender Trainergesichter." Jeder möchte ein Vermögen mit heimbringen, und bedeckt, einem wah-
wie bei den Kirchenkonzilien des Mittelalters sich neben den feinsten und höchst- ren Schlachtfelde, ca. Vun der Baden-Badener Woche: „Bayreuth"

od Kilian ^Kusalkines.

Eine Sportgeschichte von Alfred Friedmann.

______ ; [Nacndruck verboten.]

,'arum ist die schöne Lilian Rusalkine so grausam geworden? Sie war mit Stöcken und Operngläsern; sie zersetzen den Ruf und analysieren die
doch sonst nicht unerbittlich." Schönheit jeder vorbeisprengenden Frau; sie erzählen Märchen und Wahrheit,

So fragt man sich des Nachmittags im Westend zu London. Anekdoten und den Verlauf der letzten Spielnacht in dem fashionablen Club

Da ist ein Drängen und Hasten um die Stunde, wenn die schöne Welt von St. James Street. Und immer geht die Frage um:
aus den Parks zurückkehrt. „Warum ist Lilian Rusalkine so grausam?"

Cabs mit müden Rossen, Hansoms, von den hochoben sitzenden Drivers Lilian Rusalkine ist die Tochter einer Amerikanerin und eines Russen. Das

an langen Zügeln geleitet, elegante Broughams, Daumonts und kasernenartige Blut der beiden so entgegengesetzten, wie eigenartigen Nationen mischt sich in

ihr zu einem originellen Wunder. Sie ist hochmütig, kühn, todes-
verachtend, bizarr.

Sie ist katzenhaft schmeichlerisch, feige, lebenslustig, alltäglich.

Je nachdem sie liebt. — Und sie liebt immer. — —--— —

Es war auf einem Rennen zu Paris.

Fürsten umgaben sie, Attaches, Botschafter, Könige im Exil baten
um die Blume an ihrer Brust. Der Präsident hatte sie beinahe in seiner
Loge empfangen. Sie aber sieht mit einem Krimstecher, der ein paar

tausend Francs kostet, dem Rennen zu.--------_ —

Man läuft um den Grand-Prix zu Longchamps. Von der Rue
Royale, aus der Rue de Rivoli nahen die Tandems und Dogcarts, den
weiten Platz de la Concorde füllen die schweren Omnibusse, gezogen
von mächtigen Percherons, füllen Droschken, Fiacres, elegant ange-
schirrte Daumonts, Wagen aller Namen und Formen und zwischendurch
wimmeln, schieben sich, drängen sich tausende von Fussgängern, das
Nähmädchen am Arm des Studenten aus dem Quartier Latin, der Pater
familias, die Ehehälfte daneben, Kinder vor und hinter sich, Guguste
zur Ruhe verweisend, Paulinette am Rockschooss nachschleifend.

In endlosen Kolonnen zieht alles die Champs Elysees, die Avenue
de l'Imperatrice entlang; Staub wirbelt um die Baumkronen des Bois

Von der Baden-Badener Woche: Freiherr von Oppenheimsche Pferde.

Four-in-hands eilen Pall-Mall, Piccadilly, New-Bond Street
entlang nach dem Wellington-Denkmal vor dem Hyde-Park-
Gate. — Dort, in Rotten-Row ist zu bestimmten Stunden
des englischen Lenzes, wenn die Welt in Blüte steht, das
Stelldichein aller Vornehmen und Unbeschäftigten. Wunder-
same Amazonen von lilienhafter Gestalt und elfenhaften Be- !'^E99H^ #E? > -.-tJUL- - ', J|BH|^BM!srSrv--4HHt' 4tt
wegungen sprengen auf Vollblutpferden aller Rassen und
Farben die lange Allee hinauf und hinab. Swells und
Dandies, Lords und Pairs begrüssen sie mit Hand, Hut oder
vielsagendem Blick. — Da galoppiert eine bekannte Schöne
vom Princess'- oder Drury-Lane-Theater. -Sie trägt allein
einen Rembrandt-Hut mit wallender Feder — sie gleicht
einem Kopfe aus Bildern des Gainsborough oder des Sir
Josua Reynolds. Und von Mund zu Mund geht die Frage:
„Warum ist die schöne Lilian Rusalkine so grausam
geworden?"

Vor den eisernen Bailustraden stehen elegante Herren

Baden - Badener Woche: Der Sieger vom grossen Preise,
 
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