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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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19. Heft
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Weil, Mathilde: Eine Balletteuse der Kaiserin Maria Theresia: eine Altwiener Geschichte, die in London endigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0575
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Eine Balletteuse der Kaiserin Maria Theresia.

Eine Altwiener Geschichte, die in London endigt, von Mathilde Weil.

n den Wintermonaten des Jahres 1746 konnte man jeden Mittwoch und
Samstag Nachmittag einen zierlichen, kleinen Mann sehen, der sehr
eilig dem südlichen Portale der kaiserlichen Hofburg zustrebte. Das
kleine Männchen war der berühmte italienische Tanzmeister der Ilofoper, Maestro
Cambrini. Der Kleine trug ein schwarzseidenes Mäntelchen. Unter dem Arme
verborgen eine kostbare Guaneri-Geige, die in einem dickwattierten, grünen
Tuchfutteral stak. Den silberbordierten Dreispitz trug Cambrini in der Hand,
um nur seine frisch gepuderte Perücke nicht zu derangieren, und wie ein
Bachstelzchen hüpfte er einher, um nur penibel sauber in der Hofburg an-
zulangen. Seine große Nettigkeit war es, die den Beifall seiner hohen Gönnerin,


[Nachdruck verboten.]
sich die großen Flügeltüren öffneten. Zuerst kamen zwölf schöne, zierliche
Edelknaben, hinter ihnen ein reizendes kleines Mädchen, geführt von einem
eben so schönen Knaben.
Den Beschluß des Zuges machte Kaiserin Maria Theresia in großer Toilette,
denn sie wollte, daß ihre Kinder sich bei Zeiten an das richtige Zeremoniell
gewöhnten. Ihr zur Seite schritt der kaiserliche Gemahl, dann folgten noch
einige Hofdamen, unter ihnen Gräfin Saurau, die Erzieherin der kaiserlichen
Kinder. Bevor Kaiserin Maria Theresia sich auf ihren erhöhten Thronsitz nieder-
ließ, winkte sie Maestro Cambrini heran, mit der allwöchentlich an ihn ge-
stellten Frage: „Cambrini, es sind doch dieselben Kinder?“


R. F. Curry: Steinach am Brenner.

der Kaiserin Maria Theresia, in dem Maße fand, daß sie ihm den Tanz unterricht
des Kronprinzen Josef und seiner Schwester, der Erzherzogin Maria Antoinette,
anvertraute.
„Cambrini est tousjours tire a quatre epingles!“ sagte die hohe Frau mit
Befriedigung von dem kleinen Ballettmeister, und nun entwickelte sich zweimal
in der Woche dasselbe Schauspiel.
Als Cambrini das Portal durchschritten, eilte er die Stiege zu einem schönen
Vorsaal hinauf. Rasch betrat er dann einen mittelgroßen Saal, wo ihn schon
sechs Paare sehr fechöner Kinder erwarteten.
Die Mädchen der Paare waren im Alter von 12 bis 16 Jahren und gehörten
so wie die Knaben dem Corps de ballet der Hofoper an. Es waren ausgewählt
schöne und gesunde Kinder aus guten Wiener Bürgerhäusern, die der Ehre
teilhaft waren, den kaiserlichen Kindern die zierlichen Menuette vorzutanzen,
um die Lernbegier des Kronprinzen Josef zu wecken — der durchaus nicht
tanzen lernen wollte.
Sobald Maestro Cambrini seine zwölf Rekruten peinlich genau gemustert
hatte, ob sie alle in tadelloser Conduite waren, kommandierte er: „Mettez les
gants! En ordre!“ Kaum hatten alle, Cambrini an der Spitze, Aufstellung
genommen, als schon Baron Huyn, der Erzieher der Edelknaben, erschien.
Er stieß mit einem weißen Stabe dreimal auf die Erde, auf welches Zeichen

„Nach Euerer Majestät ausdrücklichem Befehl!“ beeilte sich der kleine
Ballettmeister zu versichern.
Die Kaiserin nahm ihr goldenes Lorgnon vor, besah die zwölf Kinder
genau, die sich tief verneigten und befahl:
„Bon! Die Lektion kann beginnen!“
Kaiserin Maria Theresia war eine viel zu gewissenhafte Mutter, als daß
sie geduldet hätte, daß ein anderes Kind als die ausgesuchten an der Tanz-
stunde teilgenommen hätte. Die größte der Tänzerinnen und die beste unter
ihnen war die auffallend schöne Bailettelevin Maria Eva Veigl, die Tochter
eines hochachtbaren Bürgers Karl Johann Veigl. Maestro Cambrini wählte die
15jährige Elevin immer deshalb als Mittänzerin in den Tanzstunden der kaiser-
lichen Kinder, da, so jung die kleine Veigl auch war, sie doch schon eine
kleine Berühmtheit in ihrer Kunst vorstellte.
Nachdem die Kaiserin das Zeichen zum Beginn des Unterrichts gegeben,
ergriff Cambrini seine Geige, und ein Menuett rollte sich, geführt von der
Tänzerin „Violetta“, — das war der Bühnenname der kleinen Veigl — zur
Befriedigung der Kaiserin ab.
Nur Kronprinz Josef, der in der ersten Reihe tanzte und dem nichts so
lästig als der Tanzunterricht war, störte die verschlungenen Figuren des Menuetts
mehr als einmal durch übermütigen Mutwillen.
 
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