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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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19. Heft
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Weil, Mathilde: Eine Balletteuse der Kaiserin Maria Theresia: eine Altwiener Geschichte, die in London endigt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0576

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240

MODERNE KUNST.

„Sephi! Sephi! Attention!“ rief dann immer die tiefe Stimme der Kaiserin.
Dann wurden mehrere Soloübungen geprobt, um den Gang und die Körper-
haltung der kaiserlichen Kinder besonders graziös zu gestalten.
Zum Schlüsse wurde eine kleine Pantomime „Der entflohene Vogel“ ein-
studiert. Erzherzogin Maria. Antonia gab eine Schäferin Daphne, die vom
Schäfer Myrtill einen Vogel zum Geschenke erhält. Der kleine, ungeschickte
Bruder Sylvius der Daphne, läßt den Vogel entfliehen. Darob großer Jammer
der reizenden Daphne und ein tröstender Tanz Myrtills. Den Schäfer Myrtill
gab Signorina Violetta mit der ihr eigenen großen Grazie.
Als die Pantomime beendet, schritt Kaiser Franz von Lothringen auf die
junge Tänzerin zu und sagte ihr einige Artigkeiten über ihren vorzüglichen
Tanz. Kaiserin Maria Theresia erblaßte. — Sie war von ganz erschrecklicher
Empfindsamkeit, trotzdem sie sich ihrer eigenen körperlichen Reize vollauf
bewußt war, geriet sie außer sich, wenn ihr Gemahl ein weibliches Wesen nur
eines Blickes würdigte.
Ihr Gemahl sollte ebensowenig Augen für Frauenschönheit haben, als sie
es wünschte, daß er sich mit der Regierung befasste.
Jäh und unvermittelt erhob sich die Kaiserin, das Zeichen zum Schluß der
Tanzstunde gebend. Im Boudoir angelangt, befahl sie nur Gräfin Saurau zu sich.
„Hat sie es geseh’n, Saurau?“ rief die Kaiserin außer sich der eintretenden
Hofdame und Erzieherin ihrer Kinder zu.
„Was befehlen Majestät?“ fragte die Gräfin erstaunt.
„Ja, hat sie denn keine Augen im Kopf, Saurau, wie Seine Majestät der
kleinen Violetta flattiert hat?“
„Excusez Majestät, das habe ich nicht bemerkt! — Die kleine Violetta tanzt
wirklich wundervoll, und da glaubte Seine Majestät einige Worte des Lobes wohl
angebracht — daß es die kleinen Erzherzoge mehr anspornen möge!“
„Saurau! sie ist ein Schaf!“ ärgerte sich die Kaiserin, „aber wehe — wenn
Seine Majestät in nähere Beziehung mit der kleinen Violetta treten würde!“
„Wo denken Euere Majestät hin, die kleine Tänzerin steht ja erst im
sechzehnten Lebensjahr und ist anständiger Leute Kind. Ihre Mutter bewacht
sie sehr strenge und holt sie tagtäglich sowohl von den Proben wie von der
Vorstellung ab!“
„Weiß sie das gewiß, Saurau?“
„Zu dienen, Majestät!“ antwortete die Gräfin.
„Möglich, daß ich zu penibel bin!“ lenkte die Kaiserin ein, senden Sie mir
den Kammervorsteher, ich möchte noch ein Stündchen mit ihm arbeiten!“
Maestro Cambrini, der schlaue Italiener, hatte das kleine Zwischenspiel
wohl bemerkt. — Er hätte die kleine Veiglin aus der Tänzerschar ja leicht
ausschalten können, anderseits war gerade nur die „Violetta“ diejenige, von der
die kaiserlichen Kinder wirklich etwas lernen konnten und dann, warum sollte
er dem Kaiser die kleine Augenweide nicht gönnen, es war ihm ja wohlbekannt,
wie scharf Ihre Majestät jeden unbeachteten Blick ihres Gemahls zu bewachen liebte.
Cambrini lächelte vor sich hin, er beschloß, bis zu einem direkten Gegen-
befehl die kleine „Violetta“ an den Tanz-
stunden der kaiserlichen Kinder teilnehmen
zu lassen.
Die nächste Tanzstunde kam.
Es wiederholte sich alles bis auf’s „i“-
Tüpfelchen. Die Kinder tanzten auf das
zierlichste und graziöseste, nur Erzherzog
Josef störte wie gewöhnlich mutwillig und
eigensinnig die Tanzfiguren.
Diesmal erteilte ihm die Kaiserin einen
sehr ernsten Verweis und stellte ihm eine
empfindliche Strafe in Aussicht.
Nach Beendigung der kleinen Panto-
mime schritt der Kaiser wieder auf „Myr-
till“ zu und reichte der kleinen Violetta
die Hand zum Kusse.
Die Gesichtszüge der Kaiserin nahmen
einen erschreckend finstern Ausdruck an;
sie erhob sich schnell, dankte Maestro
Cambrini für den Unterricht und rauschte
empört hinaus.
Kaiser Franz von Lothringen sah der
Kaiserin überrascht nach, „Parbleu!“ mur-
melte er leise, „Ihre Majestät packt schon
wieder einmal der lästige Eifersuchtsteufel,
nicht einmal mit einem unschuldigen Kind,
dessen anmutige Pas de deux mir gefallen,
darf ich scherzen! Sacre bleu, das wird
mir schon zu arg! Baron Huyn auf ein
Wort! Man lasse meine Jagdkalesche an-
spannen, ich begebe mich sofort zur Fa-
sanenjagd nach Schloß Laxenburg!“
Und sporenklirrend schritt der Kaiser
hinaus, ohne sich bei seiner Gemahlin zu
empfehlen.

Kaiserin Maria Theresia aber hatte einen nervösen Weinkrampf in ihrem
Boudoir. „Es ist zu arg! Es ist zu arg!“ schluchzte sie. „Der Kaiser geniert
sich gar nicht mehr!“
Die Hofdamen Gräfin Fuchs und Gräfin Saurau eilten bestürzt herbei. Gräfin
Fuchs reichte der Kaiserin ein mit Eau de Cologne benetztes Tuch.
„Majestät, müssen sich fassen — der Kaiser sprach ja nur einige Worte
mit der kleinen Violetta, es war nicht der Rede wert!“
„Ich dulde die Violetta nicht mehr in meiner Nähe!“ brauste die Kaiserin
auf, „sie muß fort, und zwar so bald als möglich. Unlängst bei der Oper „Die
Zigeunerin“ hat der Kaiser nur Augen für die Reize dieser kleinen Person
gehabt, und sie kokettiert in der unverschämtesten Weise!“
„Halten zü Gnaden, Majestät!“ warf die Oberhofmeisterin Gräfin Fuchs ein,
„das habe ich nicht bemerkt, die kleine Veiglin gab die Tänzerin „Phyllis“ in
der unschuldigsten Weise.“
„Widersprich sie nicht immer, Fuchsin, wenn ich sage, die Violetta kokettiert,
so kokettiert sie. Verstanden! — Aber ich werde mir Ruhe verschaffen! Ruf
sie den Baron Huyn!“
Baron Huyn betrat das Boudoir der Kaiserin. Äußerst selten wurde ihm die
Ehre zuteil, das allerintimste Gemach zu betreten, und heute hatte er noch das
Bewußtsein, dem Kaiser bei seiner fluchtartigen Entfernung geholfen zu haben.
Doch die Kaiserin, obwohl schon von dem unvorhergesehenen Ausflug ihres
Gemahls benachrichtigt, herrschte den Baron mit der Frage an:
„Wie sind unsere Beziehungen zu den Londoner Theatern?“
Der Baron, der keine Ahnung hatte, wohin diese Frage zielen konnte,
stotterte verlegen: „Majestät, ich hoffe, diese Beziehungen sind die denkbar
besten!“
„Bon! Schreib’ er gleich an den Direktor des Drury-Lane-Theaters, ver-
standen! Er würde mich, die Kaiserin Maria Theresia, sehr verpflichten, wenn
er eine besonders begabte junge Tänzerin, Signorina Violetta, an sein Theater
engagieren wollte! Versteht er! Laß er was von einer fürstlichen Belohnung
durchblicken. Einen hohen Orden oder dergleichen! Verstanden! Und vor
meinem Gemahl reinen Mund halten — wenn er nicht vorzeitig in Pension
gehen will. Huyn! Adieu!“ Baron Huyn war entlassen. Im Vorsaal griff er
sich an den Kopf.
„Mon dieu! Wohin führte die gräßliche Leidenschaft der Eifersucht die
klügste Frau der Monarchie!“ Er seufzte! Die arme kleine Veiglin tat ihm
leid. Warum sollte das unbescholtene junge Mädchen aus guter Wiener Bürger-
familie einer nicht gefahrlosen Reise nach England ausgesetzt werden. Nur weil
der Kaiser Franz von Lothringen einige Mal mit der Kleinen freundlich ge-
sprochen. Baron Huyn seufzte noch immer, als er sich schon anschickte, die
Kielfeder zu spitzen und den Uriasbrief zu schreiben.
Drei Monate später, an einem schönen Vorfrühlingstage des April, lag ein großes
Segelschiff im Flafen von Vlissingen bereit, nach Harwich in England zu segeln.
Die Matrosen kletterten lustig in den Seilen
und Tauen umher und refften unter Gesang
die Segel. Warenballen und Passagiergut
wurden an Bord gebracht. Punkt acht Uhr
krachte der dritte Schuß. Eine starke Brise
schwellte die Segel und das Schiff glitt
langsam aus dem Hafen.
Sobald das Schiff von den Wogen des
Meeres erfaßt wurde, begann auch der
Wind stärker zu wehen. Jeder Passagier
suchte ein möglichst geschütztes Plätzchen
auf dem Verdeck. Zwei junge Studenten,
denen man gar leicht ihre schottische
Heimat anmerkte, wurden, je höher die
Wellen gingen, um so vergnügter. Der eine
pfiff das Marlborough-Lied zum Tanze der
Wogen, der andere beobachtete mit vielem
Interesse ein Männerpaar, welches eine
schlanke Knabengestalt vor dem Winde zu
schützen suchten. Es kam dem Schotten
sonderbar vor, daß zwei starke Männer so
ängstlich dem Winde auswichen. In diesem
Augenblick kam der Steward vorüber.
„Hailoh, mein Freund!“ rief der eine
Student ihn an, „sagt doch, wer sind jene
Reisenden dort in der Nähe des Kompaß-
häuschens!“
„Es ist ein österreichischer Baron, der
mit seinem Diener und einem Knaben nach
London reist!“
Da lüftete der Wind für eine Sekunde
den Mantel des Knaben.
„By Jove, hast du je einen so bild-
schönen Jungen gesehen, Dick?“ rief der
eine Student.


R. F. Curry.
Phot. Franz Grainei*, München.
 
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