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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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22. Heft
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Anwand, Oskar: Vom Impressionismus zum Expressionismus
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Buss, Georg: Das Motiv in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0671
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MODERNE KUNST.

283

So mündete der Impressionismus in eine neue Kunst des Stils und der Beseelung
aus, kurz, in eine Kunst, die über die Wirklichkeit hinausverlangte. Daß dieser Auf-
stieg schwer war, beweist das Krampfhafte und Problematische der Werke van Ooghs
und Munchs. Es ist kein Zufall, daß der erste dem Wahnsinne verfiel, und daß in
Munchs Werken Stimmungen stärkster Nervenerregungen vorwiegen. Blickt man
nach der Schweiz hinüber, so läßt sich auch Ferdinand Hodlers Werk nicht von Krampf-
haftigkeit des Stils freisprechen. Die sichere, schöne Harmonie der Vergeistigung

fehlt hier noch. In Deutschland wurde vor allem der innerlichere Ludwig von Hof-
inann, den man wieder an Hans von Marees anreihen könnte, ein Vorbild der Jugend.
Kurz, die Romantik dringt auf der ganzen Linie vor und hat den Impressionismus,
als Kunst äußerer Eindrücke, zurückgelassen, nachdem sie an seinem Brunnen
stärkender Frische getrunken. Aber der Sieg, zu dem sie auszieht, konnte bisher
noch nicht errungen werden; die Losung lautet, über die Führer, die zunächst
Bahn gebrochen haben, hinwegzuschreiten.


Motiv

in der

Kunst.



Von Georg Buß.

^ie vom Kaiser Friedrich-Museums-Verein in der Königlichen Akademie zu
Berlin veranstaltete Ausstellung von Werken alter Kunst aus Privatbesitz
enthielt ein ausgezeichnetes Bild des merkwürdigen Holländers Cornelis Troost.
Dargestellt war ein ele-
ganter Salon im Barock-
geschmack Ludwigs XIV.
mit einigen Personen —-
vorn ein jugendschönes
Paar, Sänger und Sängerin,
und rechts, hinten in der
Ecke, bei dem mit Phiolen,
Karaffen und Gläsern be-
setzten Tisch als aufmerk-
sam lauschendes Audi-
torium ein im Lehnstuhl
sitzender Kranker mit zwei
Gästen. Das Bild hatte
gefährliche Nachbarschaft,
hing zwischen zwei schönen
venezianischen Ansichten
des farbenfreudigen Fran-
cesco Guardi, machte sie
aber vermöge der erstaun-
lichen Leuchtkraft seines
Kolorits vollkommen tot.
Zu den warmroten Farben-
tönen des großen Fuß-
teppichs und der mäch-
tigen Reifrockrobe der
Sängerin mischten sich der
Schein des Kaminfeuers,
das transparente Blau
eines zugezogenen Fenster-
vorhanges und die mysti-
schen Reflexe am braunen
Wandgetäfel und das selt-
same Geflimmer am Gold-
rahmen des Kaminspiegels
und der Supraporte,
während durch die halb-
geöffnete Seitentür und
vom Hintergründe her,
durch ein unverhängtes
zweites Fenster, Sonnenlicht strömte — ein stiller Kampf zwischen gedämpfter
Interieur- und heller Tagesstimmung, aber insgesamt ein wundervoller Zusammen-
klang von feinster Harmonie, verschönt durch eine bis in die Fingerspitzen
vollendete Zeichnung.
Wohl viele haben sich dem berückenden Zauber des Bildes hingegeben, ohne
nach der Novelle zu fragen. Wer jedoch einen Blick in den Katalog für notwendig
hielt, fand die kurze Notiz: „Szene aus Molieres: Eingebildeter Kranker“. Er-
gänzend sei bemerkt, daß es die sechste des zweiten Aktes ist, in der die beiden
Schlauberger Cleantes und Angelika, er in der Maske eines Gesanglehrers, mittelst
eines Duetts mit untergeschobenem Stegreiftext sich ihre Liebe gestehen, ohne
daß Angelikas Vater Argan und die beiden Diafoius, von denen der junge so-
eben um des anmutigen Mädchens Hand anhielt, die Komödie durchschauen.
Cornelius Troosts reizvolle Schöpfung lehrte wieder so recht erkennen, wie
die Kunst im „Wie“ und nicht im „Was“ liegt, oder mit anderen Worten: wie
die Qualität, nicht der Gegenstand der Darstellung den Kunstwert bestimmt.
Die großen alten Meister sind sich dieser Binsenwahrheit vollkommen bewußt
gewesen, und die modernen Künstler haben sich zu ihr, die etwas in Vergessenheit
geraten war, gleichfalls bekannt. Es läßt sich ja nicht leugnen, daß viele Bilder
des 19. Jahrhunderts mehr durch ihren historischen oder dramatisch, novellistisch,
humoristisch oder witzig zugespitzten Vorwurf als durch Zeichnung und Kolorit
großen Beifall errungen haben — Bilder, denen man in unseren Tagen sehr kühl
gegenübersteht, weil sie das wichtigste, die große Note der Kunst, vermissen

Edvard Munch: Schneelandschaft.

[Nachdruck verboten.]
lassen. Besonders hatte der Gegenstand im sogenannten Genre, sofern er an das Mit-
leid oder an die Lachmuskeln des Beschauers appellierte, über die Kunst den Sieg
errungen, wie denn Anselm Feuerbach bitter klagte, daß ein lustiges Anekdötchen
Trumpf sei. Wie sehr der
Gegenstand bei der Be-
wertung eines Kunstwerkes
bemessen wurde, lehrt auch
die schematische Einteilung
in Historien-, Bildnis-,
Landschafts-, Genre- und
Stillebenmalerei. Es waren
gewissermaßen Rangunter-
schiede, bei denen der
Künstler, der Frucht- oder
Blumenstücke malte, moch-
ten sie künstlerisch auch
noch so trefflich gelingen,
recht schlecht abschnitt,
denn er galt gegenüber
denen, die sich mit
„höheren“ Gegenständen
befaßten, als minderwertig.
Hoch über ihm thronte an
erster Stelle der Herr
Historienmaler, mochten
dessen Historien auch noch
so schlecht gemalt sein.
Wie die Chinesen laut ihres
Buches Liki die Scheidung
der Sprachen als kosmisches
Unheil ansehen, weil sie
die Harmonie unter den
Völkern der Erde gestört
habe, so läßt sich auch von
jener schematischen Klassi-
fizierung sagen, daß sie der
Kunst, den Künstlern und
dem Publikum unendlich
geschadet hat. Wenn ihr
die modernen Maler den
Krieg erklärt und das
AusMem Verlag Paul Cassirer, Berlin. Schwergewicht wieder in
den reinen Kunstwert ge-
legt haben, so bedeutet diese Tat einen nicht genug zu preisenden Umschwung.
Jede neue Bewegung im künstlerischen Schaffen zeugt auch extreme Ele-
mente, die über die zulässigen und möglichen Grenzen hinauszugehen suchen.
Man hat ja nur an die Futuristen zu denken. Es sind sogar Maler erstanden,
denen als höchstes Ideal vorschwebt, ihre Farbenträume ohne realen Vorwurf
auf die Leinwand zu bannen. Aber Wesen des Ideals ist, daß es sich niemals ver-
wirklicht. Was jene Phantasten erträumen, ist praktisch undurchführbar, denn
ohne Gegenstand kein Bild. Der Gegenstand, der Vorwurf, das Motiv, wie wir
es nennen wollen, ist für die Kunst gleichsam das notwendige Knochengerüst,
an dem ihr zu zeigen vergönnt ist, wie sie blühendes Fleisch und charaktervolles
Leben schafft. Sie vermag ihn in der Welt der Kompromisse nicht zu entbehren
und muß den Pakt unbedingt mit ihm schließen, aber sie kann über ihn trium-
phieren, indem sie sich als die überlegene, höhere, von der Gottheit inspirierte
Macht erweist. Und sie vermag es um so mehr, wenn ihren Jüngern die volle
Freiheit in der Wahl des Gegenstandes gegeben wird. Schließen sie selbst den Pakt,
so können sie ihren Aspirationen ohne das bedrückende Gefühl der Abhängigkeit
nachgehen, müssen sie jedoch einem Aufträge mit vorgeschriebenem Gegenstände
folgen, so heißt das Unterwerfung und Hemmung.
Staat, Städte und Korporationen schreiben in den meisten Fällen bei Ver-
gebung von Aufträgen den Gegenstand der Darstellung vor. Bedeutsame Ge-
schehnisse der Religionsgeschichte, vaterländischen Geschichte und Kulturge-
schichte sollen geschildert und verherrlicht werden, um das Volk zu erheben und
 
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