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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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22. Heft
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Anwand, Oskar: Vom Impressionismus zum Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0670

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282

MODERNE KUNST.



Edvard Munch: Sommerabend.

Aus der Munch-Ausstellung
bei Fritz Gurlitt, Berlin.

Fläche mit vollklingenden Farbenakkorden. Aber gerade der Zufall, daß Gauguin
dunkelfarbige Menschen malte, also der stoffliche Gehalt seiner Gemälde, hat viele
Nachahmer gefunden — in einer Zeit, die doch ständig behauptet, daß das Motiv
für die Malerei nichts bedeute. So erfreut sich der Wilde bis zum Neger herab bei
unsern Jüngsten starker Beliebtheit.
Eine ungleich stärkere geistige Welle als aus Cezannes und Gauguinis Schaffen,
schlägt dem Beschauer der Werke Vincent van Goghs und vor allem Edvard Munchs
entgegen. In ihnen beiden ist der Impressionismus der
Außenwelt zu einem Impressionismus der Innerlichkeit
geworden. Mit einer Leidenschaft, die an Heinrich von
Kleist erinnert, an den ja auch Vincent van Goghs
Selbstmord denken läßt, hat sich dieser Maler auf die
Natur und die Kunst gestürzt. Auch er ergriff nicht von
vornherein seinen eigentlichen Beruf, sondern schwankte
zwischen Theologie, Jugenderziehung und dem Kunst-
handel. Um so stürmischer wollte er dann in den
sieben kurzen Jahren seiner größten Produktivität die
verlorene Zeit einbringen, bis er an der Unmöglichkeit
zerschellte, allen Problemen, die ihn bedrängten, Aus-
druck zu geben. Wie ein Panther ging er in wildem
Sprung das Stück Natur an, das ihm vorschwebte, und
malte unter der sengenden Sonne Südfrankreichs
stundenlang ohne Kopfbedeckung, was vielleicht eine
der Ursachen seines ausbrechenden Wahnsinns wurde.
Wenn er aber in der Natur den unerreichten Gipfel
und die Spenderin aller Kraft sah, so goß er doch
sein Empfinden tief in sie hinein. Ja, er tat dies so
stark, daß aus manchen Werken seiner letzten Zeit der
Wahnsinn unverkennbar spricht. Bäume, die sich kraus
und drohend unter trostlosem Himmel erheben, Land-
schaften, die in wildem Rhythmus durchcinanderwirbeln
oder gleich Fratzen wirken, und Porträts, wie z. B.
das fürchterliche Selbstbildnis van Goghs mit dem
offenen Munde und den Augenlöchern, das an drohende
Schicksalsmasken erinnert, reden eine erschütternde
Sprache.
Was hier aus dem Rahmen der Kunst heraustritt
und sich auf das Gebiet des Problematischen und Patho-
logischen verliert, entspringt der gleichen Quelle, die
des Künstlers Malerei in seiner besten Zeit mit tiefstem

Empfinden speiste. Diese Landschaften mit dem Rhythmus der Felder-
einteilungen, Bäume und Wege, über denen Wolken ziehen, diese Parke
und Gärten mit der leuchtenden Farbenglut des Laubes und der Blumen-
beete, diese Brücken und Deiche, die in schwerem Schlummer zu liegen
scheinen, diese Abendstimmungen mit den dunklen Silhouetten, diese
Männer und Frauen seiner Bildnisse, die monumental die Fläche be-
herrschen, ohne von kleinlichem Beiwerk gestört zu werden — sie alle
stammen aus einer höheren, volleren, leidenschaftlicheren Welt als der
Wirklichkeit — aus der Seele ihres Künstlers. Und keine Mühseligkeit
haftet van Goghs Technik mehr an; hier spricht sich innere Anschauung
mit schaffenden Mitteln frei aus. Ein neuer Weg war also gewiesen, mochte
auch kein letztes Ziel erreicht sein.
Aus einem ähnlichen Brunnen fließt die Kunst des Norwegers Edvard
Munch, der noch bewußter von einem seelischen Stimmungsgehalt ausgeht.
Deshalb blieb ihm auch der heute so beliebte Vorwurf, daß seine Kunst
einen novellistischen Anstrich habe, nicht erspart, als ob die Phantasie
nicht ein für alle Künste gemeinsames Element sei, wie für die Bäume
und Blüten die Sonne. Was Edvard Munch gleichfalls vom Impressionis-
mus scheidet, ist der konstruktive Zug seiner Malerei. Die Kleinlichkeit
und Zufälligkeit der Formen sieht man in zusammenfassende einheitliche
Linien aufgelöst. Und diese Formen und Farben reden eine gewaltige
Sprache wie mit Urtönen; ein geheimnisvolles Raunen, Fragen und be-
deutsames Schweigen dringt zu uns. Es ist fast, als kämen diese Ge-
stalten und Dinge nicht aus unserer Welt, sondern aus dem Reiche
platonischer Ideen oder der Faustschen Mütter, die alle Erscheinungen
aus sich gebaren und von Beginn enthielten. Freilich, auch hier wird man
eine gewisse Beklemmung nicht los. Zwar sind Wahnsinn und Tod durch-
aus nicht die fürchterlichen Themen aller Werke Munchs; aber eine tra-
gische Stimmung spricht fast stets aus ihnen. Man denkt wohl an
nordische Balladen, an Geisterstimmen, die im Sturme heulen, an die
Ewigkeit, die gleich einem Gott uns unmittelbar anschaut, so daß wir
erstarren, an Mann und Weib, die auseinander müssen und von Furien des
Schmerzes und der Verzweiflung ergriffen werden, oder an andere Liebende,
die vom Blute zueinander gepeitscht sind unt nun in zerfleischender
Reue ins Grauen der Zukunft starren, oder man sieht wohl auch Stim-
mungen, wie sie die Nervenangst in uns hervorruft, die einen wilden Rausch
begleitet. Es ist kein Wunder, daß Munch das ungewisse Zwielicht der
Dämmerung liebt, das den Formen der Natur, der Häuser, Wege und'
Menschen einen mystischen Anstrich verleiht. Damit erzielt er auch die
Stimmung sanfter lyrischer Balladen, die z. B. in seinem „Sommerabend“ zum Aus-
druck gelangt. Wenn der Impressionismus die Augenblickswirkung’festhielt, ist hier
der typische Eindruck, dem etwas Ewiges anhaftet, gewahrt. Auch die Dreizahl der
Mädchen, die das Volkslied so sehr liebt, erscheint bedeutsam. Weit wichtiger für die
Kunst ist natürlich der Stil der Malerei Munchs, der zum Einfachen und Dekorativen
hindrängt und diesen Zug auch im Porträt nicht verleugnet. Eine starke Innerlichkeit
spricht sich in bedeutsamen Farbenklängen aus, die sie harmonisch-rhythmisch bändigt.

Paul Cezanne: Straßenkriimmung.

Aus dem Verlag Paul Cassirer, Berlin,
 
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