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Moller, Georg; Gladbach, Ernst
Denkmähler der deutschen Baukunst (Band 1): Beiträge zur Kenntniss der deutschen Baukunst des Mittelalters: enthaltend eine chronologisch geordnete Reihe von Werken, aus dem Zeitraume vom achten bis zum sechszehnten Jahrhundert von Georg Moller — Darmstadt, 1821

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https://doi.org/10.11588/diglit.8366#0033
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Die zweite Hypothese nach welcher diese Bauart eine Nachbildung der aus
Baumzweigen geflochtenen Hütten seyn soll, und welche der Engländer Herr Hall
in einem eignen Werke (*) mit vielen Beispielen glaubwürdig zu machen sucht, hat
nicht mehr Haltbarkeit, und ist aus den so eben augeführten Gründen unstatthaft. Erst
die spätesten und schon ausgearteten Werke des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhun-
derts zeigen diese Nachbildung der Baumzweige. (**)

Die dritte Hypothese nimmt an, die Holzkonstruction sey die Veranlassung zur
Erfindung des Spitzbogenstyls gewesen. Eine Untersuchung der Gebäude zeigt, dafs
die ältere Kirchenbauart vornämlich die Kunst Gewölbe aufzuführen voraussetzt, und
mithin sich auf eine reine Steinkonstruktion gründet. Der spätere Spitzbogenstyl ist
aber aus jener alteren Bauart entstanden und obgleich dessen Formen von dieser letztern
verschieden sind, so beziehen sich doch dieselben alle auf das Gewölbe und den Bogen.
Steine sind daher auch bei dieser Bauart das Material, welches bei der Aufführung der
Kirchen gebraucht wurde, und nur das Sparrwerk der Dächer war von Holz und ein
Werk der Zimmerkunst. Die alten von Holz aufgeführten Wohngebäude oder Rathhäu-
ser des fünfzehnten oder sechszehnlen Jahrhunderts haben auf keine Weise Aehnlichkeit
mit dem Baustyl der Kirchen des Mittelalters, sondern ihre Formen sind sehr verstän-
dig der Construktionsweise der Zimmeimannskunst angepafst. Gerade hierin, dafs die
Formen der Gebäude und deren einzelne Theile der Construction und dem Material
angemessen sind , und dafs Holz nicht Quadersteine oder' Quadersteine nicht Holz vor-
stellen sollen, besteht ein Hauptvorzug jeder folgerecht ausgebildeten Baukunst. In meh-
reren Ländern Teutschlands bat der Herausgeber einfeemale hölzerne Häuser angetroffen,
an denen einzelne Theile, z. B. die Hausthüren im Spitzbogen geformt waren, aber
diese Nachahmung der Steinbauart bleibt immer unpassend. (***)

Der Herausgeber der berühmten Werke über das Kloster Bathalha in Portu<ral und
der maurischen Gebäude in Spanien, Herr Murphy, will den Spitzbogenstyl von den
aegyptischen Pyramiden ableiten und stellt desfalls folgende Sätze auf: (****) „Die Py-
ramiden der Aegypter sind Grabmähler; in den Kirchen werden Todte begraben,
und auf den Thürmen derselben stehen pyramidenalmliche Spitzen, folglich deuten

(*) Essay 011 tlie origia, history and principles of Coline arehitecture liy I, Hall. London 1813.
C**) S. das Fac simile der Tabernakel in den Denkmälern.

(***) Es wird scliicklich seyn, bei dieser Gelegenheit Etwas über das bei vielen Baumeistern belieble logenannte Maskiren
zu sagen. Man glaubt etwas recbl Sinnreishes gemacht zu haben , wenn ein Stall oder ein Magezill von aussen wie ein "Wolin-
haufs aussieht, oder wenn ein hölzernes Haus hübsch übertüncht und mit Quadersteinen beinab.lt ist. Wenn dann nach eini-
gen Jahren der Mörtel abfällt, so zeigt sich der ärmliche Betrug. — Die hölzernen Häuser unserer alten Städte, oder u;e
Bauernhäuser in Tirol und der Schweitz, welche die ganze Holzkonstruklion zeigen, gefallen dagegen weit mehr, u„d sind
»elbst weil dauerhafter als jene übertünchten. Der wahre gute Geschmack verwirft allen diesen falschen Schein. Jedes Werk
mag das eigentümliche durch seine Bestimmung und das Baumaterial ihm angemessene Aeufsere erhalten.

I. Murphy plan, elevalion« and seclious of the church of Bathalha in Portugall. London 1795. pag, |3, j^, jg,

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