Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

DOI article:
Rüttenauer, Benno: Andrea del Castagno
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0161
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
128

lieh des Bildes wie der ganzen Kapelle, in der
sich das Bild befindet, private Rechte besitzt, war,
so scheint es, bei dem Vorgehen gar nicht befragt
worden. Sie machte nachträglich ihre Rechte
geltend und setzte es durch, dass der frühere Zu-
stand wieder hergestellt wurde. Und so prangt
denn aufs neue über dem Fresko Castagnos eine
pompöse Leinwand mit Michel-Angelos Jüngstem
Gerichte in einer Copie von Allori. —Jedem Narren
gefällt seine Kappe.
Die Aufdeckung hatte aber wenigstens das
Gute, dass wir nun vortreffliche Photographien von
dem Werk besitzen. Das auffallendste daran ist
auch wieder, was wir schon durch Vasari wissen
konnten, die perspektivische Verkürzung. Christus
und sein Kreuz ragen fast horizontal aus dem
Bildraum. Von den Heiligengestalten unten ist
der Hieronymus weitaus die bedeutendste. Er
hat einen Asketenkopf, der typisch geworden ist.
Individualisierung und Wucht des Ausdrucks gehen
in diesem Kopf erstaunlich weit. So etwas hat
vor Castagno keiner gemalt. Den Farben des
Bildes spendet Brockhaus vollen Beifall.
IV.
Was Castagno in Wahrheit zu fehlen schien,
war nicht sowohl die Farbe als etwas anderes.
Man könnte es die Poesie nennen. Aber unter
diesem Wort versteht in der deutschen Sprache
jeder etwas verschiedenes. Nennen wir es die
heitere, leichtschöpferische Phantasie, verbunden
mit erhöhter seelischer Wärme. Die fehlte ihm.
Er war ein grosser, mächtiger Gestalter, er reicht
als solcher an die grössten hin; aber er war, in
unserem Sinn des Wortes, kein Poet.
Und damit hängt es zusammen, warum dieser
grosse Kerl, trotz seiner geradezu bahnbrechenden
Werke, sich einen weniger glanzvollen Namen in
die Geschichte eingeschrieben hat als viele, warum
er namentlich die Phantasie und die Herzen der
Menschen in weniger hohem Grad sich erobert hat,
als z. B. die beiden andern Florentiner Naturalisten
der ältern Generation, Masaccio und Fra Philippo-
Lippi, die nicht nur grosse Maler, sondern auch
grosse Poeten waren, ohngeachtet, dass sie an
plastischer Kraft und monumentaler Auffassung
hinter Castagno zurückstehen.
* *
*
Immerhin wird man sich eher vor einer Unter-
schätzung als einer Ueberschätzung Castagnos zu
hüten haben. Seine Bedeutung für die Entwicklung
der florentinischen, d. h. hier der italienischen
Kunst, ist grösser, als gemeinhin angenommen wird.
Nur noch eine spezielle Thatsache will ich
hervorheben. Seit 1439 arbeitete Piero della Francesca
neben Castagno in S. Maria Nuova. Es ist wahr,

Piero arbeitete als Geselle des Veneziano. Aber
das schliesst nicht aus, dass er mehr gelernt hat
von Castagno, als von seinem eigenen Meister.
Ja, seine Malereien wie seine Schriften (über Per-
spektive) machen dies eigentlich zur Gewissheit.
Pieros Schüler aber war der gewaltige Signorelli.
Dies nur eine flüchtige Hinweisung auf
Wirkungen, die ganz sichtbar von Castagno aus-
gehen, ohne bis jetzt allzusehr beachtet worden
zu sein.
So viel ist sicher: Castagnos Bedeutung wäre
zu aller Zeit ganz anders angenommen und ein-
geschätztworden, wenn nichtein grausames Geschick
den wichtigsten Teil seines Werkes frühzeitig zer-
stört hätte.
Ganz gleichalterig mit Castagno war Fra
Angelico. Von diesem Künstler kann man nicht
hoch genug denken. Er gehört zu den grössten
Wundern der Weltgeschichte. Und nach meiner
spezifisch katholischen Ueberzeugung war es eine
bedauerliche Verfehlung der Kirche, dass sie diesen
Vertreter der Kunst nicht mit allem ihr zu Gebote
stehenden Eklat heiliggesprochen hat. Er hat die
Religion eindringlicher und wirkungsvoller gepredigt,
als so viele Verkündiger „des Wortes“, die dafür
kanonisiert worden sind.
Aber für die Entwicklung der Kunst war dieser
Fra Angelica nichtsdestoweniger eine grosse Ge-
fahr. Zunächst muss betont werden, dass er nichts
neues bringt. Worin die Stärke der Giotto-Schule
lag, in der Darstellung der beseligt religiösen Seele,
dieses Wort als symbolischer Sammelbegriff ver-
standen, darin lag auch die des Frate. Er besass
aber diese Seele selber in solcher Reinheit und
Mächtigkeit, dass er in der Darstellung derselben
alle seine Vorgänger weit überholen und übertreffen
konnte.
Das ist sein Ruhm. Er ist kein Neuerer in
der Kunst, sondern er gehört zu jenen welthisto-
rischen Erscheinungen, die, ohne neue Ausdrucks-
mittel, dem Gefühl dennoch Neues zu sagen wissen,
die nicht Anreger einer Entwicklung sind, die nicht
Keime einer solchen in sich tragen, sondern die
deren höchste Blüte darstellen, die, in anderem
Bild gesprochen, die höchste Summe einer Reihe
repräsentieren.
Raphael war ein solcher Künstler. Auf ihn
kam der Verfall. Fra Angelico war ein Raphael
vor Raphael. Dass auf ihn kein Verfall kam, das
ist nicht sein Verdienst, das ist ihm nicht anzu-
rechnen, so wenig man den spätem Raphael für
den wirklich erfolgten Verfall verantwortlich machen
darf. Dass auf Fra Angelico nicht ein süsslicher
Neubyzantismus folgte, sondern eine naturverjüngte
urkräftige Kunst, wie sie vertreten ist durch Fra
Filippo und Piero della Francesca, durch Ghirlandajo,
Signorelli und Botticelli, das ist das Verdienst der
beiden Antipoden des Angelico, das Verdienst des
Masaccio und des Andrea del Castagno.
 
Annotationen