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Monatsberichte über Kunst und Kunstwissenschaft — 3.1903

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Rüttenauer, Benno: Andrea del Castagno
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https://doi.org/10.11588/diglit.47725#0160

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127

Urteil einerseits auf Unkenntnis, anderseits auf
Missverständnis beruht. Er hatte offenbar ver-
schiedene Werke Castagnos nicht mit eigenen
Augen im Original gesehen. Ueber die Wand-
malereien Castagnos in der Villa Carducci, später
Pandolfini, berichtet Vasari auffallend kurz und
sichtbar ohne inneres Interesse. Schon das liesse
eigentlich darauf schliessen, dass ihm dieses Werk
unbekannt geblieben ist. Es mag ja eine gewagte
Annahme sein, dass ein Mann wie Vasari nie nach
Legnajo in die Villa Pandolfini gekommen sein
soll. Aber möglich ist es doch, und ich neige sehr
dazu, dass er jenes wichtige Werk Castagnos ent-
weder gar nicht oder vielleicht eben nur flüchtig
und oberflächlich gesehen hat. Sein Urteil über
Castagnos Farbe wäre sonst, wenigstens sollte man
es meinen, anders ausgefallen. Er ist aber auch
hinsichtlich seines Farbenurteils einmal in direktem
Widerspruch mit sich selber. Von jenem gegeisselten
Christus sagt er, nell corpo del quäle pare ehe
Andrea tentasse di mostrare il patir della carne.
Man sollte meinen, dass nur ein feinberechnetes
und feingestimmtes Kolorit diese Empfindung habe
hervorrufen können.
III.
Von den wenigen erhaltenen Werken Castagnos
— es sind ausschliesslich Fresken — befinden sich
noch zwei an ihrem ursprünglichen Bestimmungs-
ort. Das eine ist das Reiterbild des Niccolo da
Tolentino im Dom. Vergleicht man dieses Pferd
mit den zahlreichen Pferden der Capelle degli
Spagnoli, so fühlt man sich zwei Weltaltern der
Kunst gegenüber. Und Mittelglieder sind schwer
nachzuweisen. Die Schule des Giotto ist ein volles
Jahrhundert lang ihrem Charakter ziemlich treu
geblieben. Ein Pferd wie das von Castagno war
vorher nie gemalt worden. Dieses Pferd bedeutet
ein Programm. Auf diesem Pferd hielt der
Naturalismus seinen sieghaften Einzug in die Kunst.
Das andere Werk Castagnos, das sich noch an
Ort und Stelle befindet, ist sein „Abendmahl“ (Taf. 24)
im ehemaligen Cenacolo von S. Apollonia, dem
heutigen gleichnamigen Museum. Man muss sich
darüber verwundern, dass dieses Fresko nicht be-
rühmter ist. Denn alle späteren Darstellungen
dieses Gegenstands bis auf Lionardo gehen, wenn
nicht unmittelbar, so doch durch Zwischenglieder
hindurch auf Castagno zurück.
Als Raumschöpfung hatte dieses Bild in seiner
Zeit nicht seines Gleichen. Die Plastik der Ge-
stalten ist ganz erstaunlich. Die Köpfe sind von
einer fast erschreckenden naturalistischen Wucht
und Wahrheit. Sie sind nicht so fein individualisiert
und haben nicht so viel innerliches persönliches
Leben als wie die Köpfe des Masaccio in der
Brancacci - Kapelle, niemand wird das leugnen
wollen; aber sie neigen dafür auch weniger nach
der Seite des gemütlich genrehaften, sie wirken
monumentaler.
Von diesem Fresko mag Vasari sein Urteil
über Castagnos Farbe hergenommen haben. Wirk-
lich hat die Färbung in diesem Werke etwas kaltes

und hartes, auch etwas düsteres, durch die schwarzen
opaken Schatten verursacht. Diese letztere Wirkung
ist aber wahrscheinlich beabsichtigt. Sie entspricht
durchaus dem Gegenstand. Der düstere Ernst der
Situation findet so auch in der Farbe seinen
Ausdruck.
Dass Castagno in der Farbe auch licht und
heiter und leicht sein konnte, das beweisen be-
sonders die Fresken aus der Villa Pandolfini, die
heute die drei übrigen Wände dieses Cenacolos
ausfüllen. Hier schlägt er höhere, wärmere, zartere
Töne an. Dies gilt vor allem von den drei weib-
lichen Gestalten, unter denen wieder besonders
die eine Halbfigur (die über die Thüre gemalt war)
unsere Bewunderung herausfordert. Sie steht an
zarter Lieblichkeit den spätem weltberühmten
Frauenbildnissen Ghirlandajo’s wenig nach. Diese
Sibyllen und Königinnen, diese Dichter und Helden
(Taf. 25, 26), sind zugleich von derselben Grossheit
in der Gestalt, von derselben Wucht der Zeichnung,
mit einem Wort, von derselben strengen Monumen-
talität (trotz ihrer zartwarmen Farben), wie die
Apostel des Abendmahls, und sie beweisen nur,
wie unrecht Vasari hatte mit seinem Urteil über
Castagnos mangelnde Begabung für die Farbe.
Auch das eingangs erwähnte Kreuzigungsbild
in den Uffizien ist von hellen, leuchtenden Farben.
Ebenso die Kreuzigung und Grablegung in S. Apol-
lonia über dem Abendmahl.
Nur auf stoffliche Pracht lässt sich Castagno
noch nicht ein. Prächtige Gewandstoffe und der-
gleichen, womit die späteren Quatrocentisten die
Welt entzückten, scheinen für ihn so wenig zu
existieren wie für Giotto. Sein streng auf die Form
gerichteter Sinn liess ihn auf solche Dinge nicht
achten. Es geht ihm darum, das ist nicht zu leug-
nen, mancher Reiz ab, der uns seine Nachfolger
so wert macht. Dafür sind aber auch seine Bilder
noch weniger „verweltlicht“ und wirken in ihrer
ernsten, fast protestantischen Schlichtheit nicht nur
religiöser, im christlichen Sinn, sondern auch monu-
mentaler.
* *
*
Äusser den genannten ist noch ein anderes
sehr bedeutendes Werk Castagnos wohl erhalten
auf uns gekommen. Auch dieses ist ein Fresko
und es wurde nie von seinem Ort gerückt.
Es ist nur nicht sichtbar.
Ich meine das Dreifaltigkeitsbild in der An-
nunziata. Wie dieses hervorragende Werk unsicht-
bar wurde, darüber giebt schon Vasari Bericht.
Wie es aber, vor einigen Jahren, auf kurze Zeit
wieder das Licht der Welt erblickte, das erzählt
Professor Brockhaus in seinen „Forschungen über
Florentiner Kunstwerke“. Er hat selber die Auf-
deckung veranlasst.
Certamente, schrieb damals eine Florentiner
Zeitung, lo scoprimento dell’ affresco di A. del
Castagno e un avvenimento importante per tutto’
il mondo artistico e sarä salutato con gioia dalla
cittä di Firenze.
Heute ist das Fresko wieder zugedeckt. Die
Familie, die als Nachfolgerin des Stifters hinsicht-

2*
 
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